Martin Lacey ist von sechs Löwinnen und einem Löwen umzingelt. Fauchend sitzen die Tiere im Kreis und taxieren den Dompteur, über ihnen die blaue Zeltkuppel des "Circus Krone". Ein Gitter rund um die Manege trennt die Raubkatzen von den Zuschauerrängen. Auf Laceys Kommando hin springen die Löwinnen über silberne Podeste. "Good girls!", lobt Lacey mit sanfter Stimme und belohnt sie mit faustgroßen Fleischbrocken.
Zwei Wochen zuvor tobten auch auf der Straße vor dem Zirkuszelt wilde Tiere: Als Zebras und Löwen verkleidet, forderten Demonstranten im Zentrum Münchens ein Wildtierverbot für deutsche Zirkusse. "Europas größter Zirkus, Circus Krone, führt die Riege der Tierzirkusse an. Gold und roter Samt verkaufen Unterdrückung als gehobene Unterhaltung", hieß es in der Facebook-Einladung zu der Veranstaltung. Mehrere Hundert Teilnehmer versammelten sich vor der Universität und zogen in einem Protestmarsch bis vor das Winterquartier des Circus Krone. Der Veranstalter, die Tierrechtsorganisation "Animals United", sprach später von der "deutschlandweit größten Demo, die es jemals zum Thema Tiere im Zirkus gab".
"Generell kann ein reisender Zirkus Tieren niemals ein artgerechtes Leben bieten"
Das Thema ist in den vergangenen Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Grund dafür sind die zunehmende gesellschaftliche Sensibilisierung für Tierschutz und aktuelle Debatten um vermehrte städtische Wildtierverbote für Zirkusse. Dabei geht es eigentlich um verhältnismäßig wenige Individuen. Rund 430 mobile Zirkusbetriebe, Tierschauen und Varietés gab es im Jahr 2012 in Deutschland, 141 davon reisten nach Erkenntnis der Behörden mit wilden, also nicht domestizierten Tieren. So steht es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen an die Bundesregierung aus dem Jahr 2014; aktuellere Zahlen gibt es laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft nicht.
Insgesamt lebten im Jahr der Erhebung 1400 Tiere in deutschen Zirkussen, davon mehr als 900 Wildtiere. Darunter waren 148 Großkatzen, 82 Elefanten, 29 Affen, 15 Robben, neun Großbären, vier Giraffen, vier Nashörner und drei Flusspferde. Amtstierärzte stellten bei fast jeder zweiten Kontrolle Verstöße gegen die Haltungsanforderungen fest - sowohl bei domestizierten als auch bei Wildtieren. Insgesamt wurden bundesweit 895 Kontrollen durchgeführt und 409 Verstöße registriert. Nicht artgerechte Tierhaltung war also eher die Regel als die Ausnahme.
Auf solche Zahlen beziehen sich Tierrechtsaktivisten, die jegliche Form der Tierhaltung im Zirkus ablehnen. "Generell kann ein reisender Zirkus Tieren niemals ein artgerechtes Leben bieten", sagt Viktor Gebhart, Geschäftsführer von Animals United. "Schon gar nicht irgendwelchen Wildtieren." Problematisch seien vor allem die konstanten Reisen in kleinen Boxen oder Gitterkäfigen. Und die Dressuren: Hier werde mit physischer und psychischer Gewalt gearbeitet.
Tierlehrer Martin Lacey vom Circus Krone kann solche Anschuldigungen nicht nachvollziehen: "Ich bin kein Tierquäler. Die Tiere sind wie meine Kinder. Wenn solche Demonstrationen gegen Zirkustiere vor unserem Zelt stattfinden, kann ich nicht schlafen und nehme das auch sehr persönlich. Das ist, als ob man Vätern oder Müttern sagen würde, sie seien schlechte Eltern." Um zu beweisen, dass seine Dressur nicht auf Angst beruht, führt er seine Peitsche knapp am Gesicht der vor ihm sitzenden Löwin vorbei, ohne dass sie zusammenzuckt. Wenn ein Tier Angst habe, sei das sehr gefährlich, erklärt Lacey. "Viele falsch informierte Tierschützer denken, unsere Löwen würden durch Feuerreifen springen und die Elefanten im Ballettröckchen auftreten. Aber alle unsere Tiernummern basieren auf natürlichen Bewegungen."
Um die Anschuldigungen auszuräumen, bietet Krone regelmäßig öffentliche Tiertrainings sowie die Besichtigung der Haltungsbedingungen im Münchner Winterquartier an. "Wir sind der meistkontrollierte Tierhalter in Deutschland überhaupt", sagt Frank Keller, Tierschutzbeauftragter des Circus Krone. "Kein Zoo und kein anderer Zirkus wird so oft überprüft." Laut Münchner Veterinäramt wird der Zirkus im Winterquartier mindestens zweimal im Monat kontrolliert, in der Regel unangekündigt. Beanstandete Mängel würden meist umgehend beseitigt.
Für viele Zirkusse ist der Konflikt um Wildtiere eine Existenzfrage. Die großen Tierrechtsorganisationen fordern Wildtierverbote ohne Ausnahmeregelungen. Deshalb stehen sich Befürworter und Gegner kompromisslos gegenüber. Diese Kompromisslosigkeit zeigt sich auch in rhetorischen Überspitzungen. So sagt etwa Frank Keller, Tierschutzbeauftragter bei Krone: "Die Tierrechtsorganisationen verfolgen eine Ideologie. Das hat sektenartige Züge. Die sind auch gegen Blindenhunde und Haustiere. Der nächste Schritt ist dann, dass wir alle vegan werden."