Zikaden-Invasion in den USA:17 Jahre im Untergrund

Cicadas Emerge in Eastern USA

Siebzehnjahr-Zikaden (Magicicada septendecim) im Osten der USA

(Foto: AFP)

Als die Eier gelegt wurden, aus denen in den USA nun Milliarden Zikaden geschlüpft sind, war Bill Clinton US-Präsident und Deutschland Fußballeuropameister. Nach 17 Jahren Entwicklungszeit tauchen die Insekten nun auf - mancherorts bringen sie es auf bis zu drei Tonnen Krabbeltier-Masse je Hektar.

Von Sebastian Herrmann

Die Schläfer erwachen, die Invasion aus dem Untergrund beginnt. Im Osten der USA besetzen gerade Abermilliarden Zikaden das Land auf einem Bogen von Georgia bis New Jersey.

Die etwa zwei Zentimeter großen Insekten mit blutroten Augen und schwarzem Körper hocken überall - auf Bäumen, Böden, Briefkästen und Häusern.

Die Zikaden haben lange auf diesen Moment gewartet, ganze 17 Jahre. Es war 1996, als sich ihre Eltern gepaart und Eier gelegt hatten. Bill Clinton war Präsident der USA, Deutschland wurde Fußballeuropameister und in Großbritannien löste sich eine Band namens Take That auf.

Als die Larven damals geschlüpft waren, gruben sie sich im Boden ein und warteten auf ihren Moment. Nun sind die 17 Jahre abgelaufen, die Schläfer sind erwacht.

Die sogenannten Periodischen Zikaden drängen gleichzeitig an die Oberfläche. "Das ist ein unglaubliches Ereignis", sagt der Göttinger Zikadenforscher Herbert Nickel, "bei europäischen Zikaden gibt es nichts Vergleichbares."

Biologen fasziniert der eigenwillige Lebensrhythmus der Tiere. Warum verharren die Larven so lange im Erdreich?

Bei der Generation, die gerade aus dem Untergrund krabbelt, waren es 17 Jahre, bei anderen Zikadenarten in den USA wiederholt sich das Schauspiel alle 13 Jahre.

"Das ist Teil ihrer Überlebensstrategie", sagt Nickel. Der lange Lebenszyklus verhindere, dass sich Fressfeinde auf die Zikaden spezialisieren können, vermuten Wissenschaftler. Dass die Tiere dabei in einem Primzahl-Jahresrhythmus auftreten, bietet ihnen offenbar besonderen Schutz:

Die meisten Zikadenfresser pflanzen sich in einem Zyklus von zwei, vier oder sechs Jahren fort. Weil 17 oder 13 nicht durch diese Zahlen teilbar sind, ergeben sich weniger Überschneidungen. Feinde und Opfer treffen seltener aufeinander.

Die Überlebensstrategie der Periodischen Zikaden in den USA hat eine zweite Komponente: "Shock and Awe". Die Tiere überwältigen durch ihre schiere Masse. Milliarden Individuen tauchen auf einmal auf. Die Zikaden bringen es auf bis zu drei Tonnen Masse - je Hektar. Das sind 3000 Kilogramm krabbelnde Viecher auf einem Areal von 100 mal 100 Metern.

"Gelegenheitsfresser wie Vögel und andere Tiere machen sich zwar über die Zikaden her, aber die können höchstens ein paar Promille der Population fressen", sagt Nickel. Die Amerikaner wehren sich teils mit Tennisschlägern gegen die Invasion, bahnen sich mit Besen einen Weg durch das Kerbtiergetümmel und versuchen, das bis zu 100 Dezibel laute Zirpen der Tiere irgendwie zu ertragen - das entspricht etwa dem Pegel eines Presslufthammers aus einem Meter Entfernung.

So plötzlich wie er begonnen hat, wird der Spuk irgendwann im Juni enden. Nach der Paarung legen die Tiere Eier in Bäumen ab und sterben. Für die toten Insektenkörper werden vielerorts eigene Müllcontainer aufgestellt.

Schlüpfen die Larven aus den Eiern, regnen sie in Massen auf den Boden herab. Dann krabbeln sie an eine geeignete Stelle, graben sich 30 Zentimeter in die Tiefe und bohren dort Wurzeln an, von deren Saft sie sich ernähren. Sobald die Signale stimmen und ihre Gene den Befehl erteilen, werden sie an die Oberfläche zurückkehren - im Jahr 2030.

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