Süddeutsche Zeitung

Zentralasien:Die Seidenstraße war erst nur ein Trampelpfad

  • Die Seidenstraße gilt als eine der komplexesten Land-Handelsrouten der Welt. Ihre Entstehung wird noch erforscht.
  • Eine Studie legt nah: Nomadenvölker in Zentralasien sollen den Grundstein für den Weg gelegt haben.

Von Ali Vahid Roodsari

Das Hufgetrampel hunderter Kamele erfüllt die Steppe Zentralasiens. Ein paar Menschen führen die Tiere, gekleidet in exotischen Stoffen aus dem fernen Osten. Der Karawane folgt ein Begleitschutz, bewaffnet bis an die Zähne. Die Kamele tragen eine wertvolle Ware mit sich: Seide aus China. Ihr Ziel ist Persien. Von da aus werden die Stoffe weiter gehandelt, bis sie schließlich auf den Märkten von Paris und Rom landen.

Tausende solcher Karawanen zogen einst entlang der Seidenstraße - ein etwa 10 000 Kilometer langer Handelsweg von China aus über Zentralasien, den Nahen Osten, zum Mittelmeer und nach Europa. Ab dem zweiten Jahrhundert vor Christus nutzten Kaufleute die Wege. Als der Seehandel immer stärker wurde, verlor die Seidenstraße an Bedeutung.

Doch wie entstand das komplexe Wegenetz? Eine Studie der Washington University in St. Louis belegt nun: Nomaden im Hochgebirge Zentralasiens haben vor bereits rund 4500 Jahren das Fundament für die Handelsroute gelegt. Ihr Ergebnis präsentierten die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature.

Hirten suchten nach Weideland und ebneten dem Handel den Weg

Die Anthropologen konzentrierten sich für ihre Analyse auf die bergige Region Zentralasiens - und die Nomaden, die einst mit ihren Ziegen und Schafen im unwirtlichen Gebirge umherzogen. In der Region sind die Sommer trocken; die Viehtreiber waren darum gezwungen, mit ihren Herden höhere Gebiete zu suchen, wo genügend Gras wächst. Im Winter wanderten sie die Pfade wieder zurück. Die Analyse der Forscher zeigt, dass so im Laufe der Zeit feste Routen ausgetrampelt wurden, die Händler, Mönche und Pilger 2000 Jahre später für ihre Wanderungen auf der Seidenstraße nutzen konnten.

Für ihre Erkenntnis verwendeten die Anthropologen ein komplexes Berechnungsmodell aus der Strömungsanalyse. Damit bestimmen Wissenschaftler normalerweise die Flussrichtung von Gewässern. Frachetti und sein Team passten das Modell an, so dass sie es auf Hirten anwenden konnten.

Nomaden prägten die Seidenstraße

Die Marschrichtung der Nomaden, das zeigen die Berechnungen, wurde von den Weideflächen beeinflusst. Ihre Trampelpfade bildeten dann das Grundgerüst der 4000 Kilometer langen Bergkorridore, durch die sich später die Seidenstraße schlängelte. Das Ergebnis verglichen die Forscher mit bestehenden archäologischen Fundstätten in der Region: Tatsächlich überlappten 192 der 258 bekannten Handelsposten in dem Gebiet mit den berechneten Hirten-Wegen. Kleinere Pfade vereinten sich dabei in niedrigeren Gebieten zu größeren Routen. Ebenfalls offenbarte die Kartierung einen wohl in Vergessenheit geratenen Korridor der Seidenstraße in das tibetische Plateau.

Das Modell der Forscher zeigt, dass die eigentlichen Wege im Gebirge Zentralasiens schon lange vor dem Fernhandel entstanden. Die Händler nutzten dabei zu Beginn die Pfade im Hochland als Verbindungen über kurze Distanzen. Erst später, als der Handel florierte, entwickelten sich die Routen zum festen Bestandteil der Seidenstraße.

"Unser Modell zeigt, was für einen Einfluss kleine Mobilitätsmuster für ein größeres Netzwerk haben können", schreiben die Wissenschaftler um den Anthropologen Michael Frachetti in der Studie. "Man könnte sogar behaupten, dass die großen Handelspunkte westlich und östlich Zentralasiens ohne die Nomadenwege nie aufgeblüht wären."

Seidenstraße wird schon lange erforscht

Wissenschaftler erforschen schon seit langem die Entstehung der Seidenstraße. Im 19. Jahrhundert prägte der deutsche Geograph Ferdinand von Richthofen den Begriff. Richthofen wählte diese Bezeichnung, da Händler über die Wege wertvolle Seide aus Asien nach Europa transportierten.

In früheren Untersuchungen konzentrierten sich Forscher meist auf Verbindungen von Handelspunkten im Flachland. Dazu berechneten sie den kürzesten Weg zwischen den beiden Punkten. "Diese Methode ergibt Sinn fürs Flachland", sagt Frachetti. "Aber im Hochland haben sich die Hirten anders fortbewegt."

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