Zahnimplantate:Teuer - aber auch gut?

Immer mehr Menschen investieren viel Geld und lassen sich Kunstzähne in den Kiefer schrauben. Angeblich halten die Zahnimplantate gut. Tatsächlich fehlen jedoch Studien zu Komplikationen und Haltbarkeit.

Wiebke Rögener

Zum Kühemelken und Schweinefüttern sind die alten Zähne wohl noch gut genug", sagte die Magd Agda aus Astrid Lindgrens Bullerbü, als sie ein neues Gebiss erhielt. Die schönen neuen Zähne schonte sie für sonntags. Seitdem sind die Ansprüche an ästhetischen und funktionalen Zahnersatz gestiegen. Statt eines Gebisses, das nachts im Zahnputzglas dümpelt, wünschen immer mehr Patienten Zahnimplantate, die fest im Kiefer verankert sind.

Kiefermodell mit Implantaten

Ein Kiefermodell mit Implantaten. Es ist nicht klar, wie gut die Zahnimplantate im echten Kiefer tatsächlich halten.

(Foto: AP)

Zwar kann sich nicht jeder 1700 bis 4000 Euro pro Kunstzahn leisten. Aber die Zahl derjenigen steigt, die lieber viel Geld investieren, als sich mit herausnehmbaren Dritten am rosaroten Plastikgaumen abzufinden: Ende der 1990er-Jahre implantierten Zahnärzte in Deutschland etwa 100.000 künstliche Zahnwurzeln im Jahr, derzeit sollen es nach Angaben des Verbandes der Deutschen Dental-Industrie bereits rund eine Million sein.

Jeder 20. Zahnersatz ruhe auf Transplantaten, so die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung. Doch eine gemeinsame Statistik über den Erfolg ihres Tuns führen die Zahnärzte nicht. Und deshalb stehen einige Fragen im Raum: Wie oft eigentlich treten bei den Implantaten Komplikationen auf? Und wie lange halten diese überhaupt?

Insgesamt sei die Bilanz gut, versichert der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI), Gerhard Iglhaut. Die kritische Anfangsphase, bei der eine künstliche Zahnwurzel, meist aus Titan, in den Kiefer geschraubt wird und dort etwa drei bis sechs Monate einheilt, überstünden heute 98 Prozent der Implantate, schätzt er.

Danach wird über ein Verbindungsstück eine Krone auf der künstlichen Wurzel montiert. Nach fünf Jahren sollen noch 95 Prozent der Implantate an Ort und Stelle sein, nach zehn Jahren mehr als 90 Prozent.

Zahlen, die gut klingen, die aber nicht durch größere Studien belegt sind. Bei einer Tagung der DGI im vergangenen Jahr nannte Wilfried Wagner von der Universitätsklinik Mainz höhere Verluste: Rund 140.000 Implantate gingen im Jahr verloren, schätzt er. Ursache seien vor allem Entzündungen rund um das Implantat.

Zahnmediziner der Universität Tübingen wollten es genauer wissen. Sie verfolgten das Schicksal von mehr als 1700 künstlichen Zahnwurzeln über acht Jahre. In dieser Zeit gingen 15 Prozent der Implantate verloren.

Moderne Modelle schnitten dabei besser ab als ältere, berichtete Studienleiter Germán Gómez-Román. Wilfried Wagner nimmt dennoch an, dass die Verlustrate steigen wird, denn immer häufiger werde auch bei ungünstigen Knochen- und Zahnfleischverhältnissen implantiert, wo vielleicht doch eher "die gute alte Prothese" angebracht wäre.

Vergeblich sucht der Patient nach einer Übersicht, welche der rund 1300 verfügbaren Implantat-Modelle am sichersten sind: Ein umfassendes Register und damit eine zuverlässige Statistik gibt es nicht.

Zu wenige, zu kleine und zu schlechte Studien

Auch die Cochrane Collaboration, die medizinische Studien zusammenfasst und bewertet, wird bei den Implantologen nicht recht fündig. Deren Experten fahndeten nach Studien, die beispielsweise klären wollten, ob Implantate mit glatter oder rauer Oberfläche langfristig besser halten; ob es vertretbar ist, Implantate sofort zu belasten; wie eine Entzündung rund um das Implantat am erfolgversprechendsten behandelt wird; oder wie am besten vorzugehen ist, wenn der Kiefer des Patienten nicht genügend Halt bietet: Knochen verpflanzen oder lieber künstlichen Knochenersatz in den Kiefer einbringen?

Die Antwort lautete stets: Es gibt zu wenige, zu kleine und zu schlechte Studien, um solche Fragen abschließend zu beantworten.

Das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) versuchte zu ergründen, ob der Ersatz fehlender Backenzähne durch Implantate einer herkömmlichen Prothese überlegen ist. Weder für die Haltbarkeit noch hinsichtlich der Auswirkungen auf Ernährung oder Lebensqualität fanden sich genügend aussagekräftige Studien.

"Wir benötigen dringend bessere Studien zu Implantaten, mit größeren Fallzahlen, und zwar unabhängige Untersuchungen, die nicht von den Herstellern der Implantate gesponsert werden", betont Gerhard Iglhaut. Der Präsident der DGI, Hendrik Terheyden, fordert auch von der Industrie mehr Geld für solche Forschung.

Seit den 1980er-Jahren gelten Zahnimplantate als wissenschaftlich anerkannter Weg der Mundraum-Renovierung. Allerdings haben sich Verfahren und Materialien immer wieder geändert. Selten geworden sind dünne, blattförmige Metallverankerungen im Kiefer, die bei Belastung gelegentlich brechen. Heute wird üblicherweise eine zylinderförmige Titanwurzel in den Kieferknochen geschraubt, dann mit Zahnfleisch bedeckt. Erst nach der Einheilung wird dann in einem zweiten Eingriff eine Krone darauf befestigt.

Zurückgegangen ist hingegen die Euphorie für Schnellverfahren, bei denen die Operateure einen Stumpf in die Mundhöhle ragen lassen oder sogar gleich einen Kunstzahn draufsetzen. "Bei perfektem Knochen und Zahnfleisch ist das manchmal möglich", sagt Iglhaut. "Aber wann hat man schon perfekte Verhältnisse?" Wo die aber nicht gegeben seien, träten mehr Komplikationen auf.

"Der Werbespruch 'teeth in an hour' (Zähne in einer Stunde) war ein Marketing-Desaster", schimpft Elmar Esser von der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG). "Gar zu groß waren die damit geweckten Erwartungen, gar zu groß die Enttäuschung, wenn der Kieferknochen nicht genug Halt für Implantate im Schnellverfahren bot." Der Sprecher der Konsensuskonferenz Implantologie der Fachgesellschaften, Roland Hille, warnt: "Zwischenzeitlich hat die Öffentlichkeit häufig den Eindruck, dass es keine Misserfolge in der oralen Implantologie mehr gibt." Immer häufiger müssten sich seriöse Ärzte mit irrealen Werbeaussagen auseinandersetzen.

Die Begeisterung für Implantate, die ganz aus Keramik bestehen, ist ebenfalls verflogen. "Sie sehen zwar natürlicher aus als Implantate aus Titan", sagt Iglhaut. Aber die hübschen weißen Aluminiumoxid-Keramiken seien häufig gebrochen. Inzwischen gibt es stabilere Modelle aus Zirkonoxid, aber noch fehlen Studien zur Langzeithaltbarkeit. Ein Register aller eingepflanzten Implantate, um dem Datenmangel abzuhelfen, ist indes nicht geplant. "Der Aufwand, diese Daten zu erfassen, wäre zu groß", meint Terheyden. Zumindest aber sollten Zahnärzte Allergien gegen Implantate an eine Datenbank melden, die an der Universität München geführt wird.

Probleme bereiten indes nicht nur die Implantate selbst, sondern auch die mangelnde Qualifikation mancher Zahnmediziner, darf doch jeder Zahnarzt Implantate setzen, selbst wenn er damit keinerlei Erfahrung besitzt. Die größte Gefahr gehe von unerfahrenen Behandlern aus, warnte die DGMKG kürzlich. Entscheidend für den Erfolg sei die Erfahrung des Arztes.

Ein Implantologe solle schon 150, besser noch 300 Implantate im Jahr setzen, um die nötige Routine zu haben. Patienten sollten nachfragen, ob der Arzt hinreichend chirurgisch qualifiziert ist, sich regelmäßig fortbildet und seine Praxis von einer Fachgesellschaft zertifiziert ist. "Implantologie ist ein Bio-Handwerk, und jeder Heimwerker weiß, dass er etwas besser hinbekommt, was er schon häufiger gemacht hat", sagt DGMKG-Sprecher Esser.

Nur wer den Tätigkeitsschwerpunkt "Implantologie" auf dem Praxisschild führen möchte, muss entsprechende Fortbildungen absolviert und mindestens 200 Implantate gesetzt haben. Keinesfalls könnten technische Hilfsmittel die Fertigkeiten des Arztes ersetzen, betont Gerhard Iglhaut, auch sogenannte 3-D-Navigationssysteme nicht, die derzeit von der Industrie intensiv beworben werden. Mittels Röntgenaufnahmen und computergesteuerter Planung versprechen sie, den Implantologen ins Ziel zu führen, so wie das Navi den Autofahrer.

Dem allzu sorglosen Vertrauen auf die Technik wollen Fachgesellschaften nun entgegenwirken. Sie arbeiten an einer Leitlinie zum Einsatz der Navigationssysteme, die bis Ende dieses Jahres fertiggestellt sein soll. Ziel ist es, im Routinefall unnötige Kosten und Strahlenbelastungen für Patienten zu vermeiden.

"Wenn für viel Geld so ein Gerät angeschafft wird, ist der Druck hoch, es häufig einzusetzen", fürchtet allerdings Terheyden. Vielleicht auch dann, wenn man ohne Roboterassistenz auskommen könnte. "Da gibt es viel Wildwuchs", sagt er. "Es ist unverantwortlich, wenn die Industrie suggeriert, auch ein Anfänger könne damit problemlos implantieren."

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