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Zähne zeigen:Wer lacht, beißt nicht

Kichern, gackern, prusten - Menschen lachen auf unzählige Weisen. Und das hat seinen Grund: Die Ausdrucksform Lachen hat dem Menschen im Lauf der Evolution einen einen entscheidenden Überlebensvorteil gesichert, meinen Wissenschaftler.

Von Tina Baier

Der alte Gorilla blieb regungslos. Direkt neben seinem Ohr hatte ein Mann mit geballter Faust gegen das Panzerglas geschlagen. Der Silberrücken blieb sitzen, als sei nichts geschehen. Die Schläge des Zoobesuchers wurden stärker. Der Affe zuckte mit keinem Muskel. Da drückte der Mensch seine Nase gegen die Scheibe und trommelte mit beiden Fäusten gegen das Glas. In diesem Moment kam der Gegenschlag.

Mit voller Wucht donnerte der Affe seine Faust gegen die Scheibe. Der Mensch sprang vor Schreck einen riesigen Satz zurück und fiel hintenüber. Dem Gorilla war die Freude im Gesicht abzulesen: "Er saß einfach da und grinste", erzählt der Berliner Humanbiologe Carsten Niemitz, der die Szene im Zoo selbst beobachtet hat.

Niemitz ist einer der wenigen Wissenschaftler in Deutschland, die sich mit dem Phänomen des Lachens beschäftigen. Er und seine Lachforscher-Kollegen stellen sich Fragen wie: Welchen Sinn hat es, dass Menschen im Schnitt 20-mal am Tag laute Ton-Salven von sich geben und dabei spastisch zucken?

Lächeln oder Angstgrinsen?

Was hat Lächeln mit Lachen zu tun? Und wann und wie in der Evolutionsgeschichte des Menschen ist beides entstanden? Um Antworten darauf zu finden, ist es sinnvoll, die nächsten Verwandten des Menschen zu beobachten: die Affen.

Durch den Vergleich der Affen-Mimik mit der des Menschen hat man herausgefunden, dass Lachen und Lächeln unterschiedliche Ursprünge haben. "Das menschliche Lächeln ist wahrscheinlich aus einer Angstgrimasse entstanden", sagt der Berliner Verhaltensbiologe Dietmar Todt. Schon Halbaffen, die wahrscheinlich dem Ururahn des Menschen ähnlich sind, ziehen in brenzligen Situationen beide Mundwinkel nach hinten.

Low grin heißt dieses Grinsen in der Sprache der Verhaltensforscher. Die näher mit dem Menschen verwandten Hundsaffen, zu denen Makaken und Paviane gehören, zeigen grinsend die Zähne, wenn sie einem ranghöheren Tier begegnen. Sie signalisieren: "Tu mir nichts; ich habe nicht vor, deine Position anzufechten." Auch Schimpansen, deren Erbgut zu 98,4 Prozent mit dem des Menschen übereinstimmt, zeigen ein solches Angstgrinsen.

Entscheidender Überlebensvorteil

"Eine Ausdrucksform, die im Lauf der Evolution des Menschen derart konstant geblieben ist, muss einen entscheidenden Überlebensvorteil gehabt haben", sagt Niemitz. Die Theorie: Wer von unseren Vorfahren lächeln konnte, geriet weniger in Auseinandersetzungen.

Wer nicht fähig war, seine friedlichen Absichten durch ein Lächeln zu demonstrieren, wurde öfter in Kämpfen verletzt und fiel dann für eine oder mehrere Fortpflanzungsperioden aus.

Auch heute noch erfüllt das Lächeln im menschlichen Umgang die Funktion, angespannte Situationen zu entschärfen - zum Beispiel als Entschuldigung, wenn man jemandem versehentlich auf den Fuß getreten ist.

Die Salzburger Emotionspsychologin Eva Bänninger-Huber hat Paare systematisch beim Streiten beobachtet. Dabei hat sie herausgefunden, dass immer wieder dasselbe Verhaltensmuster abläuft, wenn die Situation zu eskalieren droht: Sie macht einen Witz und schaut ihn dabei an - er schaut zurück - sie lächelt - er nimmt das Lächeln auf - beide lachen gemeinsam. "Diese Methode, über ein Problem hinwegzukommen, beherrschen sogar schon Kleinkinder", sagt Bänninger-Huber.

Das Swissair-Lächeln

Eine zentrale Funktion des menschlichen Lächelns sei aber auch zu signalisieren: "Was du tust, gefällt mir. Mach weiter so." Das zeigt unter anderem das Visual-Cliff-Experiment mit Babys und ihren Müttern. Dabei krabbeln Säuglinge über einer Fläche, auf der mit Hilfe eines Schachbrettmusters optisch ein Abgrund simuliert ist.

Wenn die Babys an diese Stelle kommen, schauen sie ihre Mutter an. Macht sie ein ängstliches Gesicht, zögern die meisten Kinder; lächelt sie, krabbeln sie fröhlich über den vermeintlichen Abgrund hinweg.

Anders als Tiere und Säuglinge kontrollieren Erwachsene ihren Gesichtsausdruck und auch ihr Lächeln.

Psychologen haben herausgefunden, dass es mindestens 15 verschiedene Formen des Lächelns gibt. Das spontane echte Lächeln (felt smile) unterscheidet sich demnach deutlich vom maskierenden Lächeln (masking smile), das dazu dient, negative Emotionen zu verstecken oder vom Swissair-Lächeln, das bewusst eingesetzt wird, um eine positive Atmosphäre zu schaffen.

Lachende Schimpansen

Das Lachen hingegen sei in der Evolutionsgeschichte des Menschen sehr viel später entstanden als das Lächeln, sagt Carsten Niemitz. Halbaffen können es nicht. Schimpansen hingegen wahrscheinlich schon. Da ist zumindest Julia Vettin sicher. Sie hat im Rahmen einer Diplomarbeit an der Freien Universität Berlin eine Gruppe von zwölf Schimpansen im Krefelder Zoo beobachtet.

Oft hat sie gesehen, wie sich die Affen-Oma an eines der nichts ahnenden Kinder herangepirscht hat, um Sekunden später den Nachwuchs kräftig durchzukitzeln. "Ha-ch, Ha-ch", kicherte das überraschte Opfer und machte das typische Spielgesicht mit weit geöffnetem Mund: das relaxed open mouth display.

Die Mimik ähnelt dem Gesichtsausdruck eines lachenden Menschen. Deshalb können Menschen, denen man im Experiment Bilder von Schimpansen zeigt, das Spielgesicht auch als freundlichen Gesichtsausdruck einordnen. Ob sich daraus schließen lässt, dass das zugehörige Geräusch, das eher wie ein Keuchen oder Hecheln klingt, ein Vorläufer menschlichen Gelächters ist, bleibt unter den Lachforschern umstritten.

Aufforderung zum Mitmachen

Der Psychologe Jaak Panksepp von der Bowling Green State University in Ohio gehört zu denen, die überzeugt sind, dass auch Tiere hörbar lachen können. Er vermutet sogar, dass das Gequieke seiner Laborratten wenn er sie kitzelt eine Form des Lachens ist. "Beim Kitzeln machen sie die gleichen Töne wie wenn sie miteinander herumtoben, sagt Panksepp, "und das ist genau die Situation, in der auch Menschenkinder viel lachen."

"Kitzelspiele sind der Urquell des Lachens", glaubt auch Robert Provine von der Universität Maryland. Lachen ist demnach entstanden als Aufforderung zum Mitmachen und um zu signalisieren, dass eine Attacke spielerisch und nicht ernst gemeint ist. "Wer lacht, kann nicht beißen", schrieb der Soziologe Norbert Elias. "Selbst bei Menschen geht das Lachen Hand in Hand mit einer ziemlich starken Hemmung der Fähigkeit, andere körperlich zu verletzen ."

Doch auch wenn man annimmt, dass Tiere laut lachen können, gibt es einen entscheidenden Unterschied: Das Lachen des Menschen ist ambivalent.

Es ist nicht immer ein positives Signal, sondern hat viele negative Aspekte: Menschen lachen nicht nur, weil sie etwas lustig finden, sondern auch aus Schadenfreude, um jemanden auszulachen, wenn sie nervös sind und sogar wenn sie Angst haben. Besonders merkwürdig ist das Lachen in Gesprächen, das Julia Vettin in ihrer Doktorarbeit untersucht hat.

Dabei hat sie unter anderem herausgefunden, dass Menschen nicht nur nach Aussagen des Gesprächpartners lachen, sondern genauso häufig nach eigenen Statements, die oft auch noch alles andere als komisch sind ("Wenn ich Lust habe, fahre ich morgen nach Hamburg, hahaha"). "Diese Form des Lachens hat nichts mit Belustigung zu tun, sondern dient wohl eher der Regelung des Gesprächsablaufs ", glaubt Vettin.

Entspannung nach der Gefahr

"Wir lachen aus tausend verschiedenen Gründen", sagt Eva Bänninger-Huber, "aber fast nie aus Freude". Lautes Lachen sei vielmehr eine Reaktion auf Anspannung - egal ob beim Kitzeln oder beim Warten auf die Pointe eines Witzes.

Die ersten Menschen haben womöglich einst schallend gelacht, nachdem sie ein gefährliches Tier oder feindlich gesinnte Artgenossen in die Flucht geschlagen hatten. Die verschreckte Familie in der Höhle wusste dann, dass die Gefahr vorüber war.

Lachen hilft

Ob ein Mensch viel oder wenig lacht, ist nach Ansicht von Willibald Ruch, Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität in Zürich, angeboren. Es gibt Menschen, die sogar unter dem Einfluss von Lachgas kaum eine Miene verziehen. Heitere Menschen, die viel lachen, können allerdings mit widrigen Umständen besser umgehen, sagt Ruch.

Um dies zu beweisen, hat er Versuchsteilnehmer mittels Fragebogen in heitere und nicht-heitere Gemüter eingeteilt. Alle wurden dann unter dem Vorwand, der eigentliche Versuchsraum sei gerade besetzt, in einen Ausweichraum gebeten.

"Dieses Zimmer hatte schwarze Wände, von der Decke baumelte eine nackte Glühbirne, an der Wand hing ein Plakat zum Thema Aids im Knast und auf dem Tisch stand eine vertrocknete Pflanze", erzählt Ruch. Dort sollten die Probanden verschiedene Aufgaben lösen. "Was sie tun mussten, war eigentlich egal", sagt der Psychologe.

Ihm kam es darauf an, zu beobachten, ob sich die Stimmung der Versuchsteilnehmer in dem düsteren Ambiente veränderte. Ergebnis: Heitere Menschen blieben gelassener.

Acht bis zehn Prozent aller Menschen sind nicht nur nicht-heiter, sondern fürchten das Lachen geradezu und haben ständig das Gefühl, ausgelacht zu werden. Ruch glaubt, herausgefunden zu haben, warum das so ist: Er hat Probanden in seinem Labor verschiedene Arten von Lachen vorgespielt.

Den Menschen mit Lachphobie fehlte die Fähigkeit, die verschiedenen Nuancen herauszuhören. Ein fröhliches Lachen klang in ihren Ohren genauso wie ein verlegenes oder ein schadenfrohes.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2005
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