Worte der Gewalt:Terroristen sprechen anders

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Gewaltbereite Terroristen nutzen offenbar eine andere Sprache als Ideologen, die keine Attentate planen. Nun suchen Linguisten in ihren Texten nach Hinweisen auf bevorstehende Anschläge.

Patrick Illinger

Brokkoli schmeckt ekelhaft - ein Satz wie dieser ist nach Ansicht von Lucian Gideon Conway eindimensional, eine Aussage, sonst nichts. So eine Phrase bewertet der Linguist von der University of Missoula in Montana, USA, daher mit einem Komplexitätsgrad von eins. Wird es aufwendiger - Brokkoli schmeckt ekelhaft, aber die Konsistenz ist angenehm -, vergibt Conway zwei Punkte. Auf diese Weise ließen sich noch komplexere Sätze formen, erklärte Conway während der Jahrestagung der Amerikanischen Wissenschaftsvereinigung AAAS in Washington. Mit etwas Mühe sei eine Stufe von sechs oder sieben auf seiner Skala der Komplexität erreichbar.

Lucian Gideon Conway von der University of Missoula in Montana, USA, hat Texte der Terrororganisation al-Qaida von Osama bin Laden (Mitte) mit Veröffentlichungen islamistischer Gruppen verglichen, die nicht mit Attentaten in Verbindung gebracht wurde. Das Ergebnis: Es gibt Unterschiede in der Sprachwahl mordender und nur politisch agierender Gruppen. (Foto: AFP)

Die Texte allerdings, die Conway auf ihren Komplexitätsgrad hin analysiert, handeln nicht von Gemüse, sondern von Mord und Totschlag. Im Auftrag des Heimatschutzministeriums der USA durchforsten Conway und andere Linguisten Pamphlete, E-Mails und Internetverlautbarungen radikaler islamistischer Gruppen.

Ihr Ziel ist herauszufinden, ob sich aus der Sprache der Dokumente ablesen lässt, wie gewalttätig die Autoren sind, und ob sprachliche Merkmale gar auf bevorstehende Anschläge hinweisen.

Conway unterscheidet dabei mehrere Formen von Komplexität, zum Beispiel dialektische Konstruktionen (Brokkoli schmeckt ekelhaft, aber ich esse ihn dennoch gerne) oder das Auswalzen von Argumenten (Brokkoli schmeckt ekelhaft und kratzt im Hals).

Um einen möglichen Zusammenhang von Sprache und Gewaltbereitschaft wissenschaftlich zu ergründen, braucht es allerdings Texte von Vergleichsgruppen, also von radikalen Vereinigungen, die - zumindest bisher - keine Anschläge ausgeführt haben.

Conway verglich hierzu insgesamt 320 Texte von al-Qaida mit Veröffentlichungen islamistischer Gruppen wie Hizb ut-Tahrir, die unter anderem in Deutschland verboten ist, aber bislang nicht mit Attentaten in Verbindung gebracht wurde.

Gibt es also Unterschiede in der Sprachwahl mordender und lediglich politisch agierender Gruppen? Conways Daten scheinen dies zu bestätigen. Die Komplexität von Al-Qaida-Dokumenten liegt niedriger als die anderer Gruppen. Erkennbar ist, dass sich weder die Terroristen noch die reinen Ideologen um einen hohen Grad an Dialektik bemühen. Die Unterschiede beider Gruppen zeigten sich vorwiegend im Grad der Elaboriertheit: Terroristen walzen ihre Aussagen weniger aus als Vergleichsgruppen.

Mit Mühe versuchte Conway auch herauszufinden, ob sich die Sprache radikaler Gruppen kurz vor einem Anschlag auf charakteristische Weise ändert. Tatsächlich scheinen seine Daten nahezulegen, dass Terroristen vier Wochen vor einem Attentat stärker zu Aufzählungen neigen und gleichzeitig ihre Dialektik zurückfahren. Doch dieser Effekt ist schwach ausgeprägt, weshalb Conway zur Vorsicht mahnt. Einzelne Anschläge seien mit seinem Werkzeug auf keinen Fall vorherzusagen.

Wer Anschläge plant, verwendet kürzere Begriffe

Dass Terroristen grundsätzlich eine andere Sprache sprechen als reine Ideologen, bestätigt auch James Pennebaker, ein Psychologe an der University of Texas. Er untersucht sogenannte Funktionswörter, also Bestandteile von Sprache, die keinen Informationsgehalt transportieren, sondern wie Kitt wirken. Dies sind die häufigsten Wörter in Texten, Artikel gehören ebenso dazu wie Pronomen und Füllwörter wie "bei", "um", "für", "entweder", die keine oder wenig Information enthalten.

Die Häufigkeit solcher Funktionswörter sei charakteristisch für Geschlecht, sozialen Status und Alter eines Autors, sagt Pennebaker. Frauen beispielsweise benutzen das Wort "ich" viel öfter als Männer, die hingegen häufiger Artikel verwenden. 80 Kategorien solcher Füllwörter hat Pennebaker aufgeschlüsselt und die Texte terroristischer Gruppen mit Veröffentlichungen ideologisch verwandter, aber nicht gewalttätiger Gruppen verglichen. Einige signifikante Unterschiede konnte er feststellen.

So benutzen gewaltbereite Gruppen fast doppelt so viele Personalpronomen, und etwa jedes achte Wort gehörte zur Kategorie sozial konnotierter Begriffe, bei den nicht gewalttätigen Gruppen ist es nur jedes zwölfte Wort. Terroristen benutzen zudem weniger Artikel und im Schnitt weniger lange Begriffe.

Pennebaker ist daher überzeugt, dass sich Gewaltbereitschaft in Sprache niederschlägt. Allerdings gelte dies nicht nur für islamistische Terroristen, betonte der Forscher. Seine Methoden hätten charakteristische Merkmale für Gewaltbereitschaft auch bei Staatenlenkern bemerkt: zum Beispiel bei George W. Bush, als er den Einmarsch in den Irak plante. Die offiziellen Mitteilungen aus dem Weißen Haus seien noch recht neutral gewesen, sagt Pennebaker. Aber in Pressekonferenzen sei Bush für ihn "ein offenes Buch" gewesen.

© SZ vom 23.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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