Wohlstand und Körpermaße:Erst klein, dann groß, dann dick

Größe und Lebenserwartung des Menschen haben sich in den vergangenen drei Jahrhunderten stärker verändert als in vielen Jahrtausenden zuvor. US-Wissenschaftler wissen nun, woran das liegt.

Christian Weber

Es gehört sich bekanntlich nicht, wildfremde Menschen nach ihrem Einkommen zu befragen. Doch wenn der Wirtschaftshistoriker Robert Fogel von der Universität Chicago recht hat, gibt es auch einfachere Mittel, den Wohlstand von Menschen, ja von ganzen Nationen abzuschätzen: Gemeinsam mit seinen Co-Autoren Roderick Floud, Bernard Harris und Sok Chul Hong hat der Nobelpreisträger von 1993 ein Plädoyer für den Gebrauch relativ simpler Messinstrumente in der ökonomischen Analyse verfasst: des Maßbandes und der Waage.

Wohlstand und Körpermaße: Die Körpergröße der Menschen hat sich im Westen in den vergangenen drei Jahrhunderten verändert. Grund dafür ist offenbar vor allem die bessere Ernährungslage.

Die Körpergröße der Menschen hat sich im Westen in den vergangenen drei Jahrhunderten verändert. Grund dafür ist offenbar vor allem die bessere Ernährungslage.

(Foto: AP)

In dem im Mai erscheinenden Buch "The Changing Body: Health, Nutrition and Human Development in the Western World Since 1700" (Cambridge University Press, 2011) haben die Autoren alle Daten zusammentragen, die sich finden ließen über den Zusammenhang von ökonomisch-sozialer Entwicklung sowie der Form und Größe des menschlichen Körpers in den vergangenen 300 Jahren; in einer soeben erschienenen Publikation des amerikanischen National Bureau of Economic Research (NBER Working Paper Series,16938) gab Fogel eine Zusammenfassung seiner Thesen, die er buchstäblich zentimetergenau begründet.

So habe etwa 1850 der durchschnittliche männliche Amerikaner 1,70 Meter gemessen und etwa 66 Kilogramm gewogen. In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts lagen die entsprechenden Größen bei 1,77 Meter und 79 Kilogramm.

Mit der Körpergröße verbesserte sich auch die Gesundheit: So hatten weiße Amerikaner noch gegen 1850 eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur 40 Jahren, Schwarze von 23 Jahren. Ähnliche Entwicklungen finden sich überall in der industrialisierten Welt: Der typische französische Mittdreißiger hat seit der Französischen Revolution 27 Kilogramm Gewicht zugelegt; norwegische Männer waren Ende des 20. Jahrhunderts 14 Zentimeter größer als im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts.

Grund dafür sei vor allem die bessere Ernährungslage, gemessen an Qualität und Brennwert der verfügbaren Nahrung. Auch wenn Krisen und Kriege immer wieder zu Einbrüchen führten, geht der langfristige Trend nach Ansicht Fogels nach oben: "Die Größe, die Form und die Lebenserwartung des menschlichen Körpers haben sich in den letzten drei Jahrhunderten wesentlicher und schneller verändert als in vielen Jahrtausenden zuvor", schreibt Fogel.

Fortschritte in der Lebensmittelproduktion und in der öffentlichen Gesundheitsversorgung hätten zu einer "techno-physischen Evolution" geführt, die sehr viel schneller ablaufe als die biologische Evolution.

Dabei sehen die Wirtschaftshistoriker um Fogel den veränderten Körper nicht nur als Folge und Indikator des wachsenden Wohlstandes in der Welt, sondern auch als einen wichtigen Faktor, damit die Wirtschaft überhaupt so schnell wachsen konnte:

Zwar haben nach gängiger Sicht vor allem dampfgetriebene Maschinen die Industrialisierung in Gang gesetzt; dennoch war die manuelle menschliche Arbeitskraft noch lange Zeit von entscheidender Bedeutung für die Produktivität: Wer groß und stark war, konnte mehr leisten und schließlich auch mehr verdienen.

In Entwicklungsländern gelte das noch heute: Fogel zitiert eine Studie des Ökonomen Paul Schultz von der Yale University aus dem Jahre 2005, wonach mit jedem Zentimeter mehr an Körpergröße die Einkommen um fünf bis zehn Prozent höher lagen.

Auch Effekte biologischer Faktoren

Vernünftigerweise warnen die Forscher vor Vereinfachungen - die jeweils verfügbare Kalorienzahl lässt sich nicht einfach mit dem Bruttosozialprodukt korrelieren, schon aus biologischen Gründen: So weiß man, dass Körpergröße und Konstitution stark von der Ernährung in Schwangerschaft und den ersten Lebensjahren abhängen.

Die Effekte - positive wie negative - treten also mit deutlicher zeitlicher Verzögerung auf. Es kommt zu Regelkreisen, die sich selbst verstärken. Manche Phänomene kann die Theorie zudem nicht erklären: Wieso etwa, fragt der Ökonom Angus Deaton in der New York Times, sind Afrikaner im Durchschnitt größer als Inder, die im Schnitt deutlich wohlhabender sind?

Robert Fogel sieht die kommende Herausforderung eher in einem neuen Körpertrend, den die Gesundheitswissenschaftler mit Besorgnis betrachten: das Wachstum in die Breite.

Wie der Epidemiologe Mariel Finucane vor kurzem im Fachmagazin The Lancet berichtete (Bd. 377, S. 557, 2011), steigt die Zahl der Übergewichtigen seit 1980 weltweit beständig an, Folgen für die Gesundheit sind zu erwarten. Vielleicht auch für die Wirtschaft.

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