Auf allen Kontinenten von Asien bis Südamerika und in Großstädten der ganzen Welt werden die Menschen am 22. April für die Wissenschaft auf die Straße gehen. Auch in Deutschland beteiligen sich 14 Städte an der globalen Demonstration, die am Samstagmittag nach Ostern ähnlich wie das Silvesterfest einmal um die ganze Erde marschieren soll. Das Datum des Science March wurde gewählt, weil am gleichen Tag der Earth Day begangen wird. Er soll das Bewusstsein für Klimawandel und Umweltzerstörung stärken.
Die größte deutsche Veranstaltung wird in Berlin erwartet. Die Demonstration soll auf der zentralen Allee der Stadt, Unter den Linden, zwischen Humboldt-Universität und Brandenburger Tor gegen alternative Fakten protestieren und zur Solidarität mit der Wissenschaft aufrufen. Zahlreiche Politiker und Wissenschaftler werden auf den Veranstaltungen in München, Hamburg, Leipzig, Dresden, Frankfurt, Stuttgart und einigen der ältesten Universitätsstädte zu den Demonstranten sprechen. Auf dem Science March in der Hauptstadt redet am Mittag der regierende Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller zu den Demonstranten. Eine Rede halten wird in Berlin auch der Moderator der bekannten Wissenschaftssendung "Quarks und Co.", Ranga Yogeshwar.
Auch in Deutschland verdrängen Emotionen manchmal die sachliche Diskussion
Den Anlass für das beispiellose Unterfangen hatten die politischen Entwicklungen in den USA gegeben. Dort waren nach der Amtsübernahme durch Präsident Donald Trump zahlreiche wissenschaftliche Informationen zum Klimawandel von den Internetseiten der Regierungseinrichtungen verschwunden. Trump und sein Team gelten als Klimawandelleugner, wiederholt hatte der Republikaner der Tatsache der Erderwärmung widersprochen, ohne seine Aussagen belegen zu können. Mike Pence, Trumps Vizepräsident, kritisiert die Evolutionstheorie, die wissenschaftlich anerkannt und tausendfach bewiesen ist, als lediglich eine weitere Theorie neben der biblischen Schöpfungsgeschichte. Dazu kam im Januar ein Interview mit Trumps Beraterin Kellyanne Conway: Im Gespräch mit dem Fernsehsender NBC bezeichnete Conway die offenkundigen Lügen des Pressesprechers im Weißen Haus, Sean Spicer, als "alternative Fakten".
Vor diesem Hintergrund und unter dem Eindruck des Women's March on Washington am 21. Januar rief zunächst eine Gruppe von Wissenschaftlern in der Hauptstadt der USA zum Protest auf. "Danach ging alles sehr schnell", erinnert sich die Berliner Ärztin Eve Craigie. Der Aufruf verbreitete sich vor allem über Twitter wie ein Lauffeuer. Schon wenige Tage später trafen sich Wissenschaftler und Interessierte in Berlin zu ersten Planungen für einen Marsch in der deutschen Hauptstadt. Nach zwei Wochen hatten weltweit mehr als hundert Städte Demonstrationen für den 22. April angemeldet. Inzwischen hat sich die Zahl auf 514 Städte verfünffacht, auch in Nigeria und Südafrika und sogar auf Grönland sind Märsche geplant. Auch, aber nicht allein wegen Trump.
"Wir erleben derzeit weltweit einen politischen Angriff auf die Wissenschaft", sagt Craigie. Die Chirurgin nennt vor allem die dramatischen Umwälzungen in Ungarn - und in der Türkei, wo Hunderte Wissenschaftler an den Universitäten entlassen oder sogar verhaftet wurden, weil sie unabhängig forschen wollten. "Wir können nicht zulassen, dass die Wissenschaft, anstatt objektiv zu bleiben, politischer Subjektivität unterworfen wird". Auf der Website des Science March Germany heißt es, die Verdrängung der sachlichen Diskussion durch Emotionen lasse sich auch in Deutschland beobachten.
Dabei wissen die Veranstalter, dass Wissenschaft von Menschen betrieben wird, und deshalb nie frei von Fehlleistungen sein wird. Kritische Selbstreflexion sei Teil der wissenschaftlichen Methode. "Es geht uns mit dem Science March bewusst um einen positiven Blick auf die heutige Wissenschaft. Es geht darum, für Solidarität zu werben", sagt Organisatorin Craigie. "Wir wollen zeigen, dass wir Wissenschaftler viele sind und dass wir etwas für die Gesellschaft leisten". Auch der Science March ist eine solche Leistung. Die Kosten für die Berliner Veranstaltung haben die Organisatoren zu einem nicht geringen Teil aus eigener Tasche bezahlt.