Süddeutsche Zeitung

Wissenschaftskommunikation:Die Wahrheit säuft in unserer Diskussionkultur ab

Wissenschaftler werden mal wieder aufgefordert, Debatten anzustoßen. Ein nutzloses Ritual: Die Forschung findet keine Sprache, um in den hitzigen Auseinandersetzungen von heute gehört zu werden.

Kommentar von Sebastian Herrmann

Angeblich leben wir ja in einer Wissensgesellschaft - aber wir wissen nicht einmal, wie wir miteinander reden sollen. Statt Argumente auszutauschen, schreien sich die Teilnehmer der täglichen Wortgefechte gegenseitig an und übertreffen sich darin, einander als Unmensch zu beschimpfen. Alles ist von Empörung getrieben - und wer in diesem Klima ein nüchternes Argument in den Raum stellt, über das die Zuhörer auch noch etwas nachdenken müssen, kann gleich stumm bleiben: Im besten Fall hört ihm niemand zu, im schlimmsten Fall fühlt sich jemand auf die Füße getreten und dann regen sich wieder alle auf.

Das mag eine recht düstere Sicht der derzeitigen Debattenkultur sein, die in ihrer überspitzten Form bei Twitter, Facebook oder in der Fernseh-Talkshow-Ödnis gepflegt wird. Doch es ist die Arena, in der ausgerechnet Wissenschaftler begeistern sollen. Gerade hat das World Economic Forum einen Ethik-Code für junge Forscher veröffentlicht, an dessen erster Stelle - mal wieder - gefordert wird, mit der Öffentlichkeit in Austausch zu treten, die eigene Arbeit zu erklären, in einen gesellschaftlichen Rahmen einzubetten und Debatten anzustoßen. Laborbesatzungen sollen die Shitstorm-Piloten und Streithennen dieser Welt inspirieren? Klar, das ist richtig, das sollte geschehen und doch löst die Forderung nur zynische Resignation aus: Es wird nicht klappen.

Die wichtigen, großen Themen finden keine Bühne, weil sie zu komplex für Twitter sind

Wer Forschungsfunktionären lauscht, die von gesellschaftlicher Verantwortung sprechen und davon reden, den Menschen ihre Arbeit zu erklären, wird von bleierner Müdigkeit gepackt. Sie haben ja recht, aber sie finden keine Sprache, um diese Menschen da draußen zu erreichen. Dazu müssten sie popularisieren, vereinfachen, emotionalisieren - und das geht nur auf Kosten wissenschaftlicher Präzision. Wer die Öffentlichkeit inspirieren will, muss Unschärfe aushalten. Das aber beißt sich mit den Prinzipien der Wissenschaft, wie sie auch das World Economic Forum betont: Suche die Wahrheit. Die ist dummerweise so irre komplex, dass sie in Debatten sofort absäuft.

Ja, es sollte über gigantische Themen debattiert werden, wie künstliche Intelligenz, Genome-Editing, Klimawandel, Energiewende und viele andere Entwicklungen, die das Leben der Menschheit gerade auf den Kopf stellen. Doch diese Themen sind so kompliziert, dass sie kaum einer versteht oder eben erklären kann. Und schließlich geht es darum, ob große, abstrakte Ideen Raum finden, um gehört zu werden. Es blockieren nämlich Themen die Bühne, die emotional aufgeladen sind - aber für die Zukunft der Menschheit eher, sagen wir: zweitrangig sind. In diesem Umfeld von der Wissenschaft zu verlangen, sie möge sich mit der Gesellschaft austauschen, ist alleine eine rituelle Phrase. Wie frustrierend.

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Quelle:
SZ vom 03.03.2018/jhs
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