Süddeutsche Zeitung

Wissenschaftsgeschichte:Winston Churchill und die Aliens

Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs widmet sich der britische Staatsmann der fundamentalen Frage: Sind wir die einzigen Lebewesen im All? Und siehe da, er ist seiner Zeit voraus.

Von Patrick Illinger

1931 schrieb ein gewisser Winston Churchill, der seinerzeit eine Auszeit von der Politik nahm, erstaunlich kenntnisreich über Kernfusion. Mit den Wasserstoff-Atomen eines Wasserglases könne man einen 1000-PS-Motor ein Jahr lang betreiben, orakelte der Mann, der im späteren Leben Großbritannien durch den Zweiten Weltkrieg führte. Churchill sinnierte über Kernfusion zu einer Zeit, als auf den Labortischen von Otto Hahn und Lise Meitner noch nicht einmal der erste Atomkern gespalten war, geschweige denn fusioniert.

Und es war nicht die einzige wissenschaftliche Abhandlung, Churchill schrieb auch über Zellbiologie und die Evolutionslehre. Im Jahr 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs widmete er sich einem weiteren wissenschaftlichen Großthema: der Frage, ob wir Erdbewohner die einzigen Lebewesen im All sind. Elf Seiten lang ist ein Essay hierzu, der soeben in einem amerikanischen Churchill-Archiv aufgetaucht ist. Der israelische Astrophysiker Mario Livio hat das Manuskript in der Zeitschrift Nature analysiert.

Churchill glaubte an Leben auf anderen Planeten

Churchill beweist in seinem Essay erstaunlichen Weitblick. Zu einer Zeit, in der Menschen noch an Marsianer glaubten - Orson Welles hatte 1938 die Bevölkerung mit der Hörspielversion einer Invasion vom Mars erschreckt -, entfaltet der Autor eine Sichtweise, die erstaunlich deckungsgleich mit dem heutigen Kenntnisstand ist. Er hielt es für ausgeschlossen, dass die Menschen in den Weiten des Universums einzigartig seien. Ausgehend von einer Definition des Lebens (Wesen, die "gebären und sich vermehren") betont er die Notwendigkeit von Wasser für biologische Organismen. Das sei denn auch der Wegweiser bei der Erkundung extraterrestrischen Lebens.

Tatsächlich ist die Suche nach Wasser eine der zentralen Aufgaben der heutigen Marsforschung. Auch definierte Churchill in dem Manuskript, das er in den 1950er-Jahren leicht überarbeitete, was in der heutigen Astrophysik als "habitable Zone" bekannt ist: der schmale Raum rund um ein Zentralgestirn, in dem es weder zu kalt noch zu heiß für biologische Lebensformen ist. Auch geht der Staatsmann darauf ein, dass lebensfreundliche Planeten massiv genug sein müssten, um eine gasförmige Atmosphäre an sich zu binden. Er schloss richtig, dass Mars und Venus neben der Erde die einzigen Himmelskörper im Sonnensystem sind, auf denen Organismen überhaupt eine Chance hätten.

Churchill war nicht beeindruckt von der menschlichen Zivilisation

All das ist weit entfernt von den seinerzeit in der Bevölkerung noch verbreiteten Mars-Fantasien wie den 1950 erschienenen Martian Chronicles von Ray Bradbury. Stattdessen argumentiert Churchill sachlich mit der schieren Menge an Sternen und Galaxien im All, um die Vermutung abzuleiten, dass es extraterrestrische Planeten und Lebensformen geben müsste. Tatsächlich wurden erste Exoplaneten in der Mitte der 1990er-Jahre gefunden.

Er sei nicht so beeindruckt von der menschlichen Zivilisation, und hielt sie nicht für "die höchste Form geistiger wie physischer Entwicklung, die je in dieser riesigen Sphäre aus Zeit und Raum aufgetaucht ist". Churchill schneidet damit Themen an, die heute, fast 80 Jahre später noch brisant sind. Sowohl die Suche nach Planeten in fernen Sternensystemen ist in vollem Gang als auch das Abhorchen des Alls nach Signalen ferner Zivilisationen.

Auch in Kriegszeiten war Churchills Begeisterung für Wissenschaft groß. Der Britische Luftmarschall Arthur Harris fragte ihn einmal entnervt, ob man denn nun mit Waffen oder mit Rechenschiebern in den Kampf ziehe. Churchill antwortete knapp: Lassen Sie es uns mit dem Rechenschieber versuchen.

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Quelle:
SZ vom 17.02.2017/avr
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