Wissenschaftsethik:"Es mussten unbedingt bahnbrechende Ergebnisse produziert werden"

Eine bekannte Bremer Diabetesforscherin steht unter dem Verdacht, Darstellungen ihrer Ergebnisse manipuliert zu haben. Dennoch erhält sie bald eine renommierte Professur.

Von Astrid Viciano

Wie grandios wäre es doch, eine der großen Volkskrankheiten auszurotten. Millionen Menschen würden von ihrem Leiden befreit, und der Entdeckerin des Heil bringenden Mechanismus wäre für immer ein Platz gesichert in der Ahnenreihe weltberühmter Wissenschaftler. Für die Pharmakologin Kathrin Mädler schien bereits ein solcher sicher zu sein, schon bei Veröffentlichungen zu ihrer Doktorarbeit vor 15 Jahren horchte die Forschergemeinde auf. Niemand konnte damals ahnen, dass es eines Tages massive Zweifel an ihrer Arbeit geben würde.

In mehr als 20 ihrer Fachartikel stehen inzwischen die Abbildungen verschiedener Experimente in der Kritik, und die Universität Bremen hat eine Untersuchungskommission einberufen.

Die Aufregung unter Wissenschaftlern ist groß, versprachen ihre Forschungsergebnisse doch, den mehr als sechs Millionen Diabetes-Patienten in Deutschland bald eine neue Therapie bieten zu können. Vielen von ihnen droht im Laufe der Jahre ein Herzinfarkt oder Schlaganfall, manche verlieren ihr Augenlicht, anderen müssen die Ärzte Zehen, Füße oder gar Unterschenkel amputieren. Dies zu verhindern, gilt als eine der größten Herausforderungen der modernen Medizin. "Mit ihrer Forschung hat Kathrin Mädler völlig neue Wege aufgezeigt", sagt Amar Abderrahmani, Zellbiologe an der Universität Lille.

Kathrin Mädler wäre nicht die erste Forscherin, deren wissenschaftliche Laufbahn sich auf zumindest verdächtige Daten stützt. In diesem Frühjahr stellte sich heraus, dass die spanische Biologin Susana González Daten ihrer Studien manipuliert hatte, im vergangenen Jahr wurde der französische Superstar der Pflanzenbiologie, Olivier Voinnet, des Betrugs überführt. Seit 1975 hat der Anteil der pro Jahr wegen Unregelmäßigkeiten bis hin zu Betrugsfällen zurückgezogenen Fachartikel um das Zehnfache zugenommen, berichteten Wissenschaftler der Uni Stanford im Jahr 2012.

Das gleiche Team hatte im Anschluss mehr als 20 000 Fachartikel analysiert, hatte darin 552 Publikationen aufgespürt, in denen Abbildungen nicht nur kopiert, sondern auch bearbeitet worden waren. "Positive Ergebnisse sind leichter zu veröffentlichen als negative, vor allem wenn sie richtig gut aussehen", sagt Décio Eizirik, Leiter des Zentrums für Diabetesforschung an der Freien Universität Brüssel.

Noch immer müssen Forscher viele Studien in möglichst renommierten Fachjournalen veröffentlichen, um Karriere zu machen. Und Kathrin Mädler publiziert viel, sie gilt seit Jahren als eine der Großen ihres Fachs. Mit ihrer bisherigen Forschung will sie nämlich Wege aufgezeigt haben, den Untergang bestimmter Zellen der Bauchspeicheldrüse zu verhindern.

Das Hormon Insulin senkt den Blutzuckerspiegel und wird von den körpereigenen Betazellen produziert. Bei Typ-2-Diabetes, der vor allem in höherem Alter vorkommt, stumpfen andere Körperzellen zunehmend gegen Insulin ab. Die Betazellen produzieren daher mehr Insulin - bis sie irgendwann aufgeben und zugrunde gehen. Mädlers Studien legten nahe, dass Ärzte dieses Absterben bald verhindern könnten.

Im Jahr 2008 erhielt Mädler die Möglichkeit, an der Universität Bremen ihr eigenes Forschungslabor aufzubauen. In den Folgejahren erhielt die Pharmakologin bedeutende Auszeichnungen, den renommierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis etwa und den Ferdinand-Bertram-Preis. Und aus Kreisen der Universität Bremen heißt es, dass sie von 2010 bis 2015 fast sechs Millionen Euro an Drittmitteln zur Finanzierung ihrer Arbeit eingeworben hat.

Die Ungereimtheiten finden sich in Fachartikeln aus den Jahren 2001 bis 2014

Umso mehr wundern sich Kollegen über die Merkwürdigkeiten in ihren Fachartikeln. Mal fiel nur auf, dass Abbildungen in manchen Studien falsch beschriftet sind. Mal fanden sich auch besagte ähnliche Abbildungen in Studien, die Ergebnisse verschiedener Experimente darstellen sollen. Und mal sollen unterschiedliche Bilder die Resultate derselben Experimente zeigen. Ähnlich wie bei Fotos verschiedener Familien, auf denen stets die gleiche Tante auftaucht. Oder Bilder einer Familie, auf denen unterschiedliche Damen vorgeben, ein und dieselbe Tante zu sein.

In den umstrittenen Abbildungen stellt Mädler vor allem sogenannte Western Blots dar. Mit diesem Verfahren finden Forscher heraus, welche Proteine in einer Zelle in welcher Menge vorhanden sind, und versuchen damit, Rückschlüsse auf molekulare Prozesse zu ziehen. Western Blots sehen in etwa so aus wie ein Strich schwarzer Wasserfarbe, der auf einem feuchten Blatt Papier verläuft. Mal stellen sich die Streifen schmäler, mal breiter dar, mal dünner oder dicker, mal intensiver oder blasser. In jedem Fall ist die Form jedes Streifens - der sogenannten Bande - sehr individuell.

"Keine Unregelmäßigkeit in den Bandenformen kommt zweimal vor", sagt die Biologin Karin Wiebauer, die vor Jahren zufällig auf veränderte WesternBlot-Daten in Artikeln aus ihrem damaligen Forschungsgebiet stieß. Seither hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Glaubwürdigkeit veröffentlichter Versuchsergebnisse zu prüfen und dafür zu sorgen, dass nachweislich verfälschte Veröffentlichungen wegen der verwendeten Grafiken zurückgezogen werden.

Wie also kommt es zu den merkwürdig ähnlichen Bildern? Einige der Auffälligkeiten in den Arbeiten Mädlers könnten im Einzelfall ein Versehen sein. Abbildungen wurden vielleicht kopiert oder verwechselt oder auf dem Computer falsch abgespeichert. "Diese Merkwürdigkeiten könnten ein Anzeichen für schlampiges Arbeiten sein", sagt eine Wissenschaftlerin der Uni Bremen, die unerkannt bleiben möchte. "Es sind tatsächlich Fehler passiert, die für mich zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen nicht offensichtlich waren", schreibt Mädler in einer Stellungnahme auf der Website Retraction Watch: "Wir haben aber die nötigen Schritte unternommen, um dies künftig zu vermeiden."

Allerdings ziehen sich die Ungereimtheiten durch Fachartikel aus den Jahren 2001 bis 2014 - zu sehen vor allem auf der Website Pub Peer, auf der Wissenschaftler anonym Forschungsergebnisse diskutieren und infrage stellen können.

Und die Vorwürfe beschränken sich bei Weitem nicht auf mögliche Verwechslungen. In manchen Arbeiten nämlich wurden nicht nur frappierend ähnliche Western-Blot-Banden in Abbildungen zu verschiedenen Experimenten entdeckt. Die verdächtigen schwarzen Streifen sind teilweise sogar spiegelverkehrt dargestellt. "Ein Versehen kann die Spiegelung kaum sein", sagt ein weiterer Bremer Forscher, der sich intensiv mit den Abbildungen beschäftigt hat. Zumal in einigen Abbildungen die verdächtigen Banden vergrößert oder verkleinert auftauchen, heller oder dunkler, mal sind die dunklen Streifen lang gestreckt, mal zusammengestaucht. Als würde die besagte Tante mal schrumpfen oder sich mächtig strecken, sich in hellem oder dunklem Kleid auf den Bildern unterschiedlicher Familien unter die Verwandtschaft mischen. Und manchmal sogar vorgeben, nicht nur die Tante, sondern auch noch die Cousine oder Großmutter zu sein.

"Die Vorwürfe gegen mich lassen mich eine aggressive Kampagne gegen mich als Person vermuten, da diese in keinem Fall falsche veröffentlichte Daten gefunden haben", erklärt Mädler auf Retraction Watch.

Die Analysen der Biologin Wiebauer ergaben dagegen unter anderem, dass in fünf Artikeln aus den Jahren 2006 bis 2011 immer wieder in Bandenform und Bandenmuster gleich aussehende Western-Blot-Abbildungen auftauchen. Inzwischen hat Kathrin Mädler bereits für vier Fachartikel Korrekturen ihrer Bilder veröffentlichen müssen, darunter nicht nur Streifen in Western Blots.

782 Studien

mit Auffälligkeiten fanden amerikanische Wissenschaftler, als sie Abbildungen in 20 621 Fachartikeln aus 40 Fachjournalen aus den Jahren 1995 bis 2014 durchsuchten. Sie fanden 230 Veröffentlichungen, in denen Abbildungen wieder verwendet wurden, aber angeblich unterschiedliche Experimente darstellen sollten. In 356 Weiteren wurden die Darstellungen zusätzlich gedreht oder verschoben. Und in den übrigen 196 wurden die Bilder sogar gezielt verändert.

Auch frappierend ähnliche Immunfärbungen musste Mädler inzwischen berichtigen, in Publikationen aus den Jahren 2002 und 2004. Am 13. November 2015 zieht das Journal of Biological Chemistry sogar einen Artikel der Pharmakologin zurück. Abbildung 1E des Fachartikels enthalte Abbildungen, die zwei verschiedenen Fachartikeln Mädlers aus früheren Jahren entstammten, so schreiben Vertreter des Fachjournals in einer Erklärung. Als wenn man aus verschiedenen alten Puzzles ein neues erstellen wollte. Mädler dagegen schreibt für Retraction Watch, dass sie die Experimente in der Zwischenzeit wiederholt und bestätigt habe. Der Fachartikel war im Jahr 2011 erschienen, drei Stipendien hatten die Forschung finanziert.

Tests an Patienten

Und seit drei Monaten drängt der Endokrinologe Philippe Froguel vom Imperial College in London darauf, eine mit Kathrin Mädler publizierte Studie zurückzuziehen. In dem Fachartikel fanden sich gleich mehrere mögliche Ungereimtheiten. Doch am 16. April 2016 weigert sich Mädler per E-Mail, ihre Zustimmung für den Rückzug zu geben - und ohne die sind Froguel die Hände gebunden. "Unsere gemeinsam veröffentlichten Daten sind vollkommen ehrlich dargestellt", schreibt Mädler an Froguel. In anderen Publikationen allerdings habe eine frühere Mitarbeiterin gleiche Banden für die Darstellung verschiedener Ergebnisse wiederverwendet.

Das erinnert an den Forschungsskandal um die Immunologin Silvia Bulfone-Paus vom Leibniz-Zentrum in Borstel vor ein paar Jahren, den die Biologin Wiebauer aufdeckte. Damals stellte sich heraus, dass eine Mitarbeiterin die Daten manipuliert und die Institutsleiterin die Echtheit der Darstellungen nicht sorgfältig genug geprüft hatte. Doch der Diabetologe Froguel wehrt ab: "Kathrin Mädler weiß über die Art der Experimente sehr gut Bescheid, das würde ihr nicht passieren." Auch eine ehemalige Mitarbeiterin aus dem Bremer Labor bestätigt: "Frau Mädler kennt sich mit den Abbildungen der Western Blots hervorragend aus." Bei den Labortreffen, die immer montags stattfanden, habe sie Studienergebnisse der Mitarbeiter auf Anhieb mühelos und kompetent erklärt.

Als freundlich lächelnde, stets aktive Frau beschreiben Kollegen der Bremer Universität die Forscherin. Die aber hart und ausfallend werde, wenn die Forschung nicht gut vorankomme. "Es mussten unbedingt bahnbrechende Ergebnisse produziert werden", erinnert sich eine ehemalige Mitarbeiterin. Sehr viel habe Mädler gearbeitet, oft bis nachts, meist allein in ihrem Büro. "Sie war sehr schnell, und ihre Ergebnisse waren immer eindeutig", beschreibt der Diabetologe Froguel seine Zusammenarbeit mit Mädler.

Unter anderem auf Basis der umstrittenen Studien fanden Tests an 1800 Patienten statt

Im März 2014 erschien schließlich eine Studie Mädlers im Fachblatt Nature Medicine. Jede Publikation in diesem Fachmagazin verspricht Ruhm in der Forscherwelt. Wieder ging es in dem Fachartikel um den Untergang der Betazellen in der Bauchspeicheldrüse von Diabetes-Patienten. Und erneut stellten Mädler und Kollegen einen neuen Mechanismus vor, der den Zelltod mit auslösen soll. Den entscheidenden Schlüssel für das Absterben bei Diabetes-Patienten hätten sie entdeckt, schrieben die Wissenschaftler im Fachartikel: "Er könnte als Ziel für die Entwicklung neuer Diabetes-Therapien dienen." In einer Pressemitteilung berichtete die Universität Bremen von einem Durchbruch.

Der Zellbiologe Abderrahmani dagegen bleibt vorsichtig: "Wenn die Kollegen in dem Artikel alles korrekt dargestellt haben, dann ist das eine richtig gute Arbeit, mit vielen verschiedenen Experimenten." Doch mehren sich auch hier die mutmaßlichen Ungereimtheiten. Die Veröffentlichung Mädlers basiert auf einer Doktorarbeit, die unter ihrer Aufsicht entstand. Die Ergebnisse dieser Dissertation sind jedoch zum Teil erheblich anders dargestellt als in ihrem Fachartikel - so, als würden sich für dasselbe Familienfoto mal die eine, mal die andere Dame als ein und dieselbe Tante ausgeben. "Daher existiert die Studie für mich so lange nicht, bis sich Kathrin Mädler zu den Vorwürfen geäußert hat", sagt Abderrahmani.

Inzwischen zweifeln manche Wissenschaftler sogar an Publikationen zu Mädlers eigener Doktorarbeit - jenen Studien also, die Kathrin Mädler zu Anfang ihrer Karriere Ruhm verschafften. Der Diabetologe Décio Eizirik etwa hat schon vor Jahren vergeblich versucht, die Studienergebnisse Mädlers zu wiederholen - um die Resultate zu bestätigen. Doch Eizirik scheiterte, im Tierversuch wie auch in Experimenten an menschlichen Zellen. Sie hätten "keine einfache Erklärung" für die Widersprüche zwischen Mädlers Arbeit und ihrer eigenen, schrieben Eizirik und Kollegen damals. Mädler dagegen hält auf Retraction Watch daran fest, dass es in keinem Fall Anzeichen für Fälschungen gebe.

Pharmaunternehmen wie Novartis, Eli Lilly und Xoma haben inzwischen klinische Studien an insgesamt mehr als 1800 Patienten durchgeführt, unter anderem auf der Grundlage von Mädlers Veröffentlichungen. Mit Hilfe verschiedener Medikamente wollten die Konzerne nicht nur den Untergang der Betazellen der Bauchspeicheldrüse bei Diabetes-Patienten verhindern. Sie hofften sogar, die Ausschüttung des Insulins zu verbessern und damit den Blutzucker der Erkrankten zu senken. Während eine kleine Studie moderate Erfolge zeigte, erfüllten spätere Tests nicht die Erwartungen, so berichteten Forscher in einem Übersichtsartikel im Fachjournal Nature im vergangenen Jahr.

Kathrin Mädler selbst äußert sich auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung nicht im Detail zu den Vorwürfen. Sie schreibt: "Derzeit untersucht die Universität Bremen auf meine Bitte hin alle anonymen Vorwürfe, die in öffentlichen Netzwerken in den vergangenen zwei Jahren gegen meine Arbeit gemacht wurden. Ich habe mit allen Daten dazu beigetragen, diese Arbeit zu unterstützen und habe vollstes Vertrauen in die Untersuchungen der Universität."

Wie Mitarbeiter der Universität Bremen berichten, kam die Kommission zur Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Universität Bremen im Frühjahr zumindest vorläufig zu dem Schluss, dass trotz der Auffälligkeiten in 20 Fachartikeln kein schweres Fehlverhalten zu finden sei. Mädler erklärt dennoch, dass sie "vor Abschluss der Untersuchungen keine Auskunft geben kann". Obwohl sie zu dem Beitrag auf Retraction Watch vom 8. Juli 2016 durchaus Stellung nahm.

Stattdessen erwartet Mädler nun eine Heisenberg-Professur, die laut Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) auf eine Tätigkeit in "Leitungspositionen" vorbereiten soll. Der ehrenvolle Status wurde Kathrin Mädler bereits im November 2014 von der DFG für die Uni Bremen bewilligt. "Das damit zusammenhängende Berufungsverfahren läuft", bestätigt Bernd Scholz-Reiter, Rektor der Universität Bremen. Die Professur gilt als Ritterschlag für herausragende Wissenschaftler.

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