Wissenschaft:Überflieger sind auch nur Menschen

Lesezeit: 2 min

Klar, wer wünscht sich nicht auch magische Überflieger-Kräfte? (Foto: JAVIER SORIANO/AFP)

Im Alltag wird die "Raketenwissenschaft" gerne verklärt. Sind jene, die den Weltraum erobern, wirklich so schlau?

Von Werner Bartens

Floskelalarm ist schnell gegeben. Nachdem Politiker im Kampf gegen die vierte Welle und in Erwartung der Omikron-Variante mehrfach angekündigt haben, den "gesamten Instrumentenkasten" nutzen oder wahlweise "den Werkzeugkasten" herausholen zu wollen, fragt sich der Beobachter, wie musikalisch Regierung und Ministerpräsidenten wohl tatsächlich sind und was sie als Heimwerker taugen. Vor jeder Auslosung im Europapokal ist zu hören, dass die Champions League "kein Wunschkonzert" sei, was allerdings wortwörtlich zutrifft, da zu Beginn der Spiele immer die gleiche Hymne von Tony Britten zu hören ist, die auf einer Melodie Georg Friedrich Händels basiert.

Ähnliche Klassiker des Schwadronierens sind die Umschreibungen für eine Aufgabe, die leicht von der Hand geht, also keine Hexerei ist und deshalb wahlweise "keine Raketenwissenschaft" oder "keine Hirnchirurgie" sei. Beide Ausdrücke stammen vermutlich aus den Fünfzigerjahren oder früheren Zeiten, als deutsche Ingenieure den Wissenschaftlern der Nasa dabei halfen, den Weltraum zu erobern, und wagemutige Neurochirurgen für den Fortschrittsoptimismus in der Medizin standen. Kühne Pioniere waren das. Mit messerscharfem Verstand, unbestechlicher Logik und feinmotorischem Geschick brachten sie die Menschheit voran - zumindest entstand dieses Bild in der Öffentlichkeit.

Doch leider, leider sind die Zuschreibungen so veraltet wie manche Heldentaten der bewunderten Berufsgruppen. Seit 1972 ist kein bemannter Flugkörper mehr auf dem Mond gelandet, und mittlerweile lässt sich jeder publicitysüchtige Milliardär seine eigene Rakete zusammenbasteln. Und die Neurochirurgie schafft es trotz beachtlicher Erfolge im Detail längst noch nicht, alle Hirntumore zu entfernen; zudem wird sie zunehmend per Joystick und von Robotern gesteuert.

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Als ob diese Entwicklungen nicht schon kränkend genug wären, haben britische Forscher nun Zweifel am überlegenen Intellekt und anderen Fähigkeiten der Raketenwissenschaftler und Hirnchirurgen geweckt. In der für seine originellen Studien bekannten Weihnachtsausgabe des British Medical Journal zeigen die Mediziner, dass beide Berufsgruppen in kognitiven Tests kaum besser abschneiden als der Durchschnitt der Bevölkerung. Sie sind demnach keineswegs begabter als andere Menschen. Lediglich in zwei der sechs Kategorien gab es überhaupt geringfügige Unterschiede: Die Hirnchirurgen konnten etwas schneller sprachliche Probleme lösen - waren aber langsamer, wenn es darum ging, sich zu erinnern.

Aus Sicht der Studienautoren werden Raumfahrtingenieure wie Hirnchirurgen "unnötigerweise auf ein Podest gestellt". Den Forschern ging es allerdings nicht darum, das Image der Berufe und damit eine weitere Illusion zu zerstören. Sie beklagen vielmehr, dass Bewerbungen für operative und technische Fächer vielerorts zurückgegangen seien, was am Klischee vom smarten Hirnchirurgen oder Raketenkonstrukteur liegen könnte. Statt sich davon abschrecken zu lassen und diese Tätigkeiten sprachlich zu glorifizieren, schlagen die Forscher vor, für eine unkomplizierte Aufgabe lieber den Ausdruck zu benutzen: "Das ist ein Spaziergang."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPsychologie
:Was es braucht, um ein weiser Mensch zu sein

Weise Menschen sind eher zufrieden und gesund. Aber woran erkennt man sie? Und was genau ist eigentlich Weisheit? Aus einer Studie ergeben sich sieben Persönlichkeitsmerkmale, die weise Menschen auszeichnen.

Von Sebastian Herrmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: