Wissenschaft - Mainz:Mai Thi Nguyen-Kim fordert Update von Allgemeinbildung

Corona
Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim ist zu sehen. Foto: Linda Meiers/WDR/dpa (Foto: dpa)

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Mainz (dpa/lrs) - Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim ("maiLab") sieht bei der Verbreitung der Verschwörungstheorien in der Corona-Krise sowohl die Medien als auch jeden einzelnen in der Pflicht. Die preisgekrönte Macherin von Wissenschafts-Videos auf YouTube macht sich auch für mehr naturwissenschaftliche Bildung und eine transparentere Wissenschafts-Kommunikation stark. "Wir als Gesellschaft bewerten Naturwissenschaften als Genie- oder Freakwissen und weniger als Allgemeinwissen - und das fällt uns jetzt in der Pandemie auch mit auf die Füße", sagte die 32-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur im Mainz.

"In dem Informationszeitalter, in dem wir gerade leben, mit dem Informationsüberfluss werden Medien- und Quellenkompetenz immer wichtiger", betonte Mai. "Mit Medien- und Quellenkompetenz alleine kann man sich in diesem Mediendschungel nicht zurechtfinden", mahnte die promovierte Chemikerin. "Wenn man nicht weiß, was ein Virus ist, kann einem Attila Hildmann oder Xavier Naidoo natürlich sonst was erzählen."

In Deutschland sieht sie bei der Allgemeinbildung Defizite in den Naturwissenschaften. "Es gibt keinen Kurs in der Schule, in dem wissenschaftliches Arbeiten, die Basics, Statistiken lernen, Falsifizieren - was ist eine methodisch starke Studie, was eine schwache - gelehrt wird." Sie selbst habe auch erst in ihrem Studium in Mainz und am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA wissenschaftliches Arbeiten so richtig gelernt. "Es kann nicht sein, dass man erst in Chemie promovieren muss, damit man die wissenschaftlichen Basics versteht."

Im Umgang mit den Verschwörungstheoretikern in der Corona-Krise sieht Mai einen schwierigen Spagat für die Medien - zwischen Aufklären und einer Minderheit zu viel Raum geben. Dies beschäftige auch ihr "maiLab"-Team bei der Produktion für das nächste Video. "Wie viel ist davon im Mainstream angekommen?"

"Das ist ja eine Minderheit, die leider viel Aufmerksamkeit bekommt", sagte Mai, die auch Autorin und TV-Moderatorin ist, mit Blick auf die Demonstrationen gegen Corona-Regeln. Und: "Bei sehr irre wirkenden Gruppen sind auch immer Menschen dabei, die vernünftige Bedenken haben." Allerdings seien viele derjenigen, die vor die Kameras träten oder die sich als große Verschwörungstheoretiker initiierten, natürlich "total durchgeknallt".

"Jeder von uns trägt auch ein bisschen seine Verantwortung mit, nicht Spreader zu sein." Manches sei so absurd, dass auch für sie die Versuchung groß sei, es an ihre Freunde weiter zu leiten. "Es ist schwierig, diese Absurdität allein auszuhalten." Aber: "Es würde viele gar nicht erreichen, wenn es nicht so viele teilen würden." Denn: "Letztendlich ist das auch nur wie ein Virus."

Mai macht sich für eine transparentere Wissenschafts-Kommunikation stark. "Vor social media haben Eliten generell mehr Autorität genossen." Inzwischen hätten die Menschen mehr berechtigte Zweifel und Fragen, die im schlimmsten Teil zu Verschwörungstheorien entwickelt würden. "Wir merken, dass wir vielschichtiger, komplexer und mehr im Detail erklären müssen."

Dies spüre sie auch im "maiLab"-Team für ihren YouTube-Channel. So werde sie voraussichtlich bald noch einen zweiten promovierten Naturwissenschaftler einstellen. Die Vorbereitung sei so zeitintensiv, dass sie schon jetzt nur noch jeden zweiten und nicht mehr jeden Donnerstag sende.

Mai teilt die Kritik, dass sich in der Corona-Pandemie wenige Frauen zu Wort meldeten. Ihr nur subjektiver Eindruck sei, "dass Frauen erst als Expertinnen in die Öffentlichkeit gehen, wenn sie seit Jahren einen Lehrstuhl inne haben, während Männer eher mal sagen, ich habe doch Biologie studiert, dazu kann ich was sagen". Dies merke sie auch bei ihrer Recherche. "Wir schreiben alle möglichen Experten an, und uns schreiben viel mehr Männer zurück, die sich das zutrauen vor so einem großen Publikum zu sprechen und für immer im Internet zu sein."

Nach wie vor sei sie in Deutschland das "einzige weibliche Gesicht auf einem Natur-Science-Kanal vor der Kamera". Dies spreche Frauen auch besonders an: Etwa 40 Prozent ihrer Zuschauer seien weiblich, andere naturwissenschaftliche Kanäle hätten in der Regel maximal einen höheren einstelligen Anteil.

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