Wissenschaft im Paradies:Schöner forschen

Graue Zweckbauten, sterile Labore, nüchterne Computerarbeit: Wissenschafter leben entbehrungsreich an langweiligen Orten, meinen viele Laien. Tatsächlich arbeiten einige im Paradies. Zehn beneidenswerte Forschungsstätten - in Bildern.

Lennart Pyritz

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Wissenschaft im Paradies:Schneefernerhaus, Zugspitze

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Quelle: Hannes Vogelmann

Wenn er über Nacht bleibt, ist er oft allein auf der Zugspitze. Seit zehn Jahren forscht der Physiker Hannes Vogelmann auf dem höchsten Berg Deutschlands, 2650 Meter über dem Meeresspiegel. Sein Arbeitsplatz ist das Schneefernerhaus. Einsam klebt es am Steilhang, Lawinenzäune schützen es vor winterlichen Schneemassen. Das Gebäude hatte zuvor als Bergbahnhof, Hotel und Erholungsheim für amerikanische Soldaten gedient, bevor es zwischen 1993 und 1999 zu einer Umweltforschungsstation umgebaut wurde. Mehrere Institutionen nutzen die Hochgebirgsstation, etwa der Deutsche Wetterdienst, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie die Max-Planck-Gesellschaft. Die Forscher untersuchen das Klima, kosmische Strahlung, Wolkendynamik; es gibt auch Projekte zu Umwelt- und Höhenmedizin. Vogelmann erforscht im Auftrag des Karlsruher Instituts für Technologie, wie sich Wasserdampf auf die Atmosphäre auswirkt und entwickelt Laser-Messtechnik. Er erinnert sich noch gut an seine Zeit als Doktorand: "Manchmal habe ich wochenlang auf dem Berg gewohnt, das konnte sehr einsam sein." Doch das Panorama hat ihn immer entschädigt. "Wenn am Abend die Ströme des Massentourismus versiegen, gehe ich ins Freie und sauge die Eindrücke auf, fast schon wie ein Ritual, auf das ich mich den ganzen Tag freue." 

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Wissenschaft im Paradies:Bibliotheca Hertziana, Rom

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Quelle: Bibliotheca Hertziana

Die Fertigstellung seines Hauses in Rom hat der Maler Federico Zuccari nicht mehr erlebt. Allerdings verschönerte er vor seinem Ableben im Jahr 1609 noch das Untergeschoss mit Fresken. In den folgenden Jahrhunderten lebte die Königin von Polen im Palazzo Zuccari sowie ein preußischer Generalkonsul, der Künstler engagierte, die den Bau mit Motiven der Josephsgeschichte ausschmückten. 1913 vermachte die Mäzenin Henriette Hertz das innen wie außen stilvoll verzierte Gebäude und ihre kunsthistorische Bibliothek der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft mit der Auflage, ein Institut für Kunstgeschichte einzurichten - die Geburtsstunde der Bibliotheca Hertziana. Die Forscher konzentrierten sich zunächst auf italienische Renaissance- und Barockkunst. Seit der Übernahme des Instituts durch die Max-Planck-Gesellschaft nach dem zweiten Weltkrieg wird auch die italienische Architekturgeschichte erforscht. Inzwischen ist das Institut expandiert: Ein weiterer Palazzo im Zentrum Roms und eine kleine Villa kamen hinzu. Für die Kunsthistoriker bedeutet es, dass sie nicht nur über ihr Fach forschen, sondern das auch inmitten eines Kunstwerks tun. "Lage und Atmosphäre des Instituts wirken sich selbstverständlich auf die Arbeit aus", sagt Professor Julian Kliemann von der Universität Münster, der seit fast 20 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bibliotheca Hertziana arbeitet. Förderlich sei "besonders der jederzeit mögliche Kontakt mit einer Vielzahl originaler Kunstwerke - Bilder, Bauten, Skulpturen - aber auch der unerschöpfliche Reichtum der römischen Archive."

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Wissenschaft im Paradies:One Tree Island, Barrier Reef

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Quelle: One Tree Island Research Station, The University of Sydney

Wenige andere Orte sind so offensichtlich mit Superlativen behaftet wie das Great Barrier Reef. Es ist das größte Riff, ja sogar die größte von Lebewesen erschaffene Konstruktion der Welt. Es kann mit bloßem Auge aus dem All erspäht werden. Seit mehr als 30 Jahren ist es ein Unesco-Weltnaturerbe. Eine der ältesten und renommiertesten Forschungsstationen, an der die Geheimnisse dieses Naturwunders entschlüsselt werden, liegt auf One Tree Island - einer nur vier Hektar großen Koralleninsel am südlichen Ende des Riffs, 100 Kilometer vor der Küste des australischen Bundesstaates Queensland. Seit 1976 forschen bis zu 24 Wissenschaftler gleichzeitig an der von der Universität Sydney verwalteten Station, mehr als 300 Fachartikel über Riffwachstum, Korallenfische, Mikrobohrorganismen und Seeschwalben sind aus Studien auf One Tree Island hervorgegangen. Wer hier forscht, lebt mit dem Ozean - muss aber sparsam mit Wasser umgehen können. Gelegentlicher Regen die einzige Frischwasserquelle auf der Insel. Eine Solaranlage liefert Strom. Ein weiterer Ausbau der Infrastruktur kommt nicht in Frage: Der Einfluss des Menschen soll minimal bleiben. Der Name One Tree Island ist übrigens irreführend, wie Jennifer Reiffel, Verwalterin der Forschungseinrichtung, bemerkt. "Als die HMS (Her Majesty' s Ship) Fly die Insel am 10. Januar 1843 entdeckte, ähnelte die Vegetation aus der Entfernung wohl einem einzelnen Baum - den gibt es aber gar nicht."

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Wissenschaft im Paradies:Mars Desert Research Station, Utah

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Quelle: The Mars Society

Viel außerirdischer als im Süden des US-Bundesstaates Utah kann es auf der Erde nicht zugehen. In der menschenleeren Region haben zahlreiche Bäche und Flüsse das kahle Schichtgestein zu bizarren Schluchten, Tafelbergen und Spitzkuppen geformt. Inmitten dieser ebenso skurrilen wie beeindruckenden Landschaft hat die Mars Society, eine gemeinnützige internationale Organisation, eine Forschungsstation errichtet. Dort wird untersucht, ob und unter welchen Bedingungen Menschen eines Tages den erdähnlichen Planeten besiedeln könnten. Die Forscher, darunter Raumfahrtingenieure, Astronomen, Geologen, Physiker und Biologen, melden sich jedes Jahr freiwillig für die einzigartige, nahezu außerirdische Mission unter dem Motto: "Hard Work, No Pay, Eternal Glory". Die Forscher werden in Gruppen mit jeweils sechs Mitgliedern eingeteilt. Jedes Mitglied übernimmt dabei eine spezielle Funktion: Kommandeur, Sicherheitsbeauftragter oder Chefingenieur. Während der mehrwöchigen Mars-Simulation leben und arbeiten die Wissenschaftler in einem zweistöckigen, zylinderförmigen Wohn- und Arbeitscontainer mit simulierten Luftschleusen, dem sogenannten "Mars Lander Habitat". Bei Außeneinsätzen sammeln die Crewmitglieder Bodenproben und Mikroorganismen. Dabei tragen sie schwere Raumanzüge, Helme und Sauerstoffgeräte, um die Verhältnisse auf dem Mars möglichst realitätsnah nachzustellen. Zwischen Frühjahr und Herbst schließt die Mars-Station allerdings - die Sommerhitze der amerikanischen Wüste wäre mit der schweren Ausrüstung nicht zu ertragen.

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Wissenschaft im Paradies:All Souls College, Oxford

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Quelle: Bill Tyne

Es ist nicht leicht hineinzukommen ins College of All Souls of the Faithful Departed im Zentrum der britischen Universitätsstadt Oxford. Nur die besten Absolventen der Universität, jedes Jahr rund 50, dürfen sich bewerben. Zwei von ihnen werden zum Fellow gewählt, nachdem sie eine ungewöhnliche Prüfung bestanden haben. Bis vor kurzem wurde den Prüflingen ein einzelnes Wort hingeworfen wie "Unschuld" oder "Wunder", dazu sollten sie unter Zeitdruck möglichst brillante Gedanken zu Papier bringen. Inzwischen ist das Examen etwas konventioneller. Die Kandidaten müssen in vier Essays in je drei Stunden Fragen beantworten wie: "Ändert sich der moralische Charakter einer Orgie, wenn die Teilnehmer Nazi-Uniformen tragen?" Wer es geschafft hat, darf sieben Jahre lang in einem der schönsten gotischen Colleges mit seinen Türmchen und Spitzbögen wohnen und mit etwas Glück auf den wirklich sehr grünen Rasen im Innenhof blicken. Außerdem erhält er ein jährliches Stipendium von 14.783 Pfund und hat eigentlich nur die Aufgabe, seinen wissenschaftlichen Interessen nachzugehen. In aller Regel startet er dann eine steile akademische Karriere, davon zeugen auch die vielen berühmten Ex-Fellows, darunter der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. 

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Wissenschaft im Paradies:Kew Gardens, London

Smallest Waterlily In The World Rescued From Extinction At Kew Gardens

Quelle: Getty Images

Die offizielle Mission ist ehrgeizig: Sie besteht darin, "weltweit wissenschaftlich basierten Schutz von Pflanzen zu unterstützen und betreiben und damit die Lebensqualität zu erhöhen". Die blumige Ausdrucksweise ist jedoch berechtigt, schließlich geht es in den Royal Botanic Gardens um Pflanzen. Seit 150 Jahren gibt es die weitläufigen botanischen Anlagen mit ihren berühmten viktorianischen Gewächshäusern, Rhododendren, Seerosenteichen, Rabatten, Kräuter- und Bambusgärten. Viele exotische Pflanzen gibt es auf der Nordhalbkugel der Erde nur in der Anlage, im Stadtteil Kew im Südwesten Londons. Annähernd 800 Mitarbeiter arbeiten in den königlichen Gewächshäusern und Grünanlagen, 60 Prozent von ihnen sind Wissenschaftler. "Unsere wichtigsten Forschungsschwerpunkte sind die Systematik von Pflanzen und Pilzen, biologische Wechselwirkungen, kommerzielle Nutzung von Pflanzen, Naturschutz und Gartenbau. Besonders bemerkenswert sind Umfang und Diversität der hiesigen Sammlungen von lebenden und getrockneten Pflanzen, Pilzen und Samen", schwärmt David Simpson, der im Herbarium der Kew Gardens einkeimblättrige Gewächse erforscht. Hinzu kommen zahlreiche botanische Bücher und Kunstwerke. "Hier gibt es die größte Konzentration an botanischem Wissen in der Welt," sagt Simpson.

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Wissenschaft im Paradies:Robinson-Crusoe-Insel, Pazifik

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Quelle: Andreas Mieth

Manchmal fühlen sich Andreas Mieth und Hans-Rudolf Bork so abgeschieden vom Rest der Welt wie einst der schottische Seefahrer Alexander Selkirk - besser bekannt als Robinson Crusoe, wie ihn Daniel Defoe in seinem gleichnamigen Roman nannte. Bork und Mieth, Geoarchäologen am Institut für Ökosystemforschung der Universität Kiel, untersuchen die Geschichte jenes Ortes, an dem sich am Anfang des 18. Jahrhunderts die Robinsonade ereignete: die Isla Robinsón Crusoe, Teil des Juan-Fernández-Archipels, knapp 700 Kilometer westlich der chilenischen Küste im Pazifik gelegen, einsam, schroff, vulkanisch. Vom Festland aus gibt es keinen Linienverkehr zu der meist wolkenverhüllten Insel; die Forscher reisen mit einem gecharterten Kleinflugzeug an. Dann geht es im Fischerboot entlang einer Steilküste in das einzige Dorf. Im Februar 2010 schwemmte ein Tsunami die bisherige Station fort, doch die Forschung geht weiter. Mittlerweile haben die Wissenschaftler bereits einige Mythen widerlegt, die sich um Selkirk rankten. Lange glaubten Historiker, dessen Behausung auf der Insel identifiziert zu haben. Es handelte sich jedoch um die Überreste eines spanischen Stützpunkts, wie die Untersuchungen der Kieler zeigten. Die Höhle am Strand, die der Schiffbrüchige ebenfalls bewohnt haben soll, haben höchstwahrscheinlich englische Seefahrer gesprengt. 

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Wissenschaft im Paradies:Station Kansyana, Tansania

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Quelle: Michio Nakamura

Knapp 50 Jahre ist es her, dass sich eine Gruppe japanischer Biologen um Toshisada Nishida ins Stammesgebiet der Watongwe und Waholoholo im Westen Tansanias aufmachte. Die Forscher gingen in die unberührten Mahale-Bergwälder, die sich am Ostufer des Tanganjikasees erheben. See und Berge formen hier ein Mosaik unterschiedlicher Lebensräume für Warzenschweine, Meerkatzen, Stummelaffen, Antilopen, Leoparden, Ölpalmenhörnchen, Geckos - und Schimpansen. Um letztere ging es den Japanern. Anfangs lockten sie die scheuen Tiere mit Bananen und Zuckerrohr, um sie beobachten zu können. Mit der Zeit gewöhnten sich die Affen an die menschliche Gesellschaft. 1965 gründeten die Wissenschaftler mitten im Wald die Feldstation "Kansyana", wo mittlerweile Generationen von Biologen geforscht haben. Die von ihnen zusammengetragenen Berichte sind legendär: Schimpansen in Mahale behandeln sich selbst mit Medizinpflanzen und angeln Termiten mit einem Stock aus deren Bau - ein berühmtes Beispiel für Werkzeuggebrauch bei Tieren. Michio Nakamura ist Professor am Wildlife Research Centre der Universität Kyoto und arbeitet regelmäßig in den Bergen von Mahale, die die tansanische Regierung inzwischen zum Nationalpark erklärt hat. "Die Kombination von steilen Berghängen und dem kristallklaren Wasser des Tanganjikasees ist einmalig", sagt er. Mahale ist ein kostbarer Ort für ihn: "Die Informationen, die wir hier über lange Zeiträume über jeden Schimpansen gewinnen, sind unersetzlich."

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Wissenschaft im Paradies:Mauna Kea Observatorium, Hawaii

TELESCOPES ATOP HAWAIIAN VOLCANO

Quelle: REUTERS

Auf dem Gipfel des Vulkans Mauna Kea liegt das Observatorium, 4200 Meter über dem Meeresspiegel. Die Forscher dürfen dort oben nur zwölf Stunden am Stück arbeiten, ehe sie ins Basislager absteigen müssen, wo sie schlafen und essen. Bei Schneesturm wird sogar der gesamte Gipfel evakuiert. Das hawaiiische Mauna Kea Observatorium ist der größte astronomische Komplex der Welt: 13 Teleskope stehen hier, die Spiegel messen bis zu zehn Meter Durchmesser, Wellenlängen vom Sub-Millimeter- bis zum Ultraviolett-Bereich können beobachtet werden. Der Mauna Kea liefert ideale Forschungsbedingungen. Die Höhenluft ist trocken, dünn und ohne Verwirbelungen. Die Sterne strahlen gestochen scharf. Keine Stadt verschmutzt den Nachthimmel mit Licht; an mehr als 300 Nächten im Jahr haben die Forscher eine ungetrübte Sicht ins All. "Wenn Du auf dem Mauna Kea stehst, fühlst du dich wie auf dem Gipfel der Welt", sagt Jason Chu, der an dem Observatorium Spiralgalaxien untersucht.

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Wissenschaft im Paradies:Museum für Naturkunde, Berlin

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Quelle: Museum für Naturkunde Berlin

Mehr als zehn Meter hoch ragt der Brachiosaurus brancai im Lichthof empor. Es ist das größte komplett aufgebaute Dinosaurierskelett der Welt, aber bei weitem nicht die einzige Kostbarkeit des Berliner Naturkundemuseums. 100.000 Aufnahmen von Tierstimmen, 250.000 Mineralien, zweieinhalb Millionen Fossilien und 25 Millionen Tierpräparate, darunter ausgestorbene Arten wie der Tasmanische Wolf und das Quagga machen das Museum einzigartig. Sogar mineralogische Funde Alexander von Humboldts lagern in dem Prachtbau an der Invalidenstraße. Museumsforscher emanzipieren sich langsam, weg von beschreibenden Archivaren. "Viele Museen betreiben Spitzenforschung", sagt Peter Bartsch, Leiter der Abteilung Sammlungen. "Mit neuen molekularbiologischen Methoden und dreidimensionaler Bildgebung produzieren wir neue Daten aus alten Stücken. Der Wert der Objekte für die moderne Forschung wird immer deutlicher." Die 44 angestellten Wissenschaftler, 30 Gastforscher und 40 Doktoranden arbeiten auch aus einem anderen Grund gerne in Berlin, sagt Bartsch: "Sie können hier nicht nur gut forschen. Das Museum ist auch ein Schaufenster zur Öffentlichkeit und konfrontiert sie dadurch stets mit gesellschaftlichen Fragen."

© SZ vom 13. August 2011/mcs
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