Süddeutsche Zeitung

Forschungsbetrieb:Perfides System für junge Wissenschaftler

Vor allem der akademische Nachwuchs steht unter ungeheurem Druck - auch, weil er eine unsicher Zukunft hat. Es ist an der Zeit, ihn zu entlasten.

Kommentar von Christian Weber

Meist bietet sich nach der Promotion die letzte Chance, dem System zu entkommen. Viele junge Forscher aber lassen sich verführen, weiterzumachen. Und es ist ja auch verständlich: Wissenschaft kann wunderbar sein. Wo sonst wird man intellektuell gleichermaßen herausgefordert?

Wo sonst ist man der Erkenntnis verpflichtet, und nicht nur dem Unternehmensgewinn? Wo sonst bringt man im Idealfall die Menschheit voran? Und wenn man es dann ganz nach oben geschafft hat, genießt man als Professor höchste Reputation und hat einen bombensicheren Arbeitsplatz. Doch die meisten schaffen es nicht dahin.

Das System lebt von Hoffnung und dem Idealismus der jungen Forscher

Erneut hat jetzt eine Studie gezeigt, wie schlecht es vielen Wissenschaftlern geht. Der britische Wellcome Trust hat 4300 Forscher aus insgesamt 87 Ländern befragt und ist zu erschreckenden Ergebnissen gekommen: 80 Prozent der Befragten klagen, dass der extreme Wettbewerb im Wissenschaftsbetrieb zu einem feindseligen Arbeitsumfeld führt, die Hälfte hat mit Depressionen und Ängsten zu kämpfen, 43 Prozent berichten, sie hätten schon mal mit Mobbing und Belästigung zu tun gehabt. Zwei Drittel arbeitet mehr als 40 Stunden die Woche, und nur weniger als ein Drittel glaubt, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Und dennoch bekunden die meisten Leidenschaft für ihre Profession.

Das ist das Perfide an dem System, es lebt von Hoffnung und dem Idealismus der jungen Forscher. Es gibt genügend Stipendien, die es Postdocs ermöglichen, internationale Erfahrung zu sammeln. Der Preis ist hoch: Viele vernachlässigen ihr Privatleben. Insbesondere Frauen müssen sich häufig zwischen Familiengründung und akademischer Karriere entscheiden. Wenn ihnen dann Anfang 40 der Vertrag an der Uni nicht mehr verlängert wird, tun sie sich schwer, eine Alternative zu finden. Das ist gerade in Deutschland ein Problem, wo es kaum unbefristete Stellen im akademischen Mittelbau gibt, viele aber im Alter zwischen 30 und 40 ihre Weichen stellen müssen.

Zynisch ist es, wenn manche wohlbestallte Professoren erklären, jeder Postdoc wisse, worauf er sich einlasse. Zudem schadet es der Wissenschaft, wenn etwa die hochbegabte junge Physikerin lieber zur Unternehmensberatung geht, statt an der Universität zu bleiben; wenn der Druck im biomedizinischen Labor dazu führt, dass unsauber geforscht wird. Die Wissenschaftsfunktionäre sollten das Problem endlich angehen. Unbefristete Stellen im Mittelbau wären ein erster Schritt, junge Forscher sollten sich an den Universitäten auch auf nicht-akademische Karrieren vorbereiten können. Und man sollte dringend überlegen, wie man etwas Druck aus dem ganzen überhitzten Forschungsbetrieb nimmt.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2020
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