Süddeutsche Zeitung

Wissenschaft:Forscher pokern gegen Verleger

  • Die Hochschulrektorenkonferenz streitet mit dem mächtigen Elsevier-Verlag um eine nationale Lizenz für den Zugang zu wissenschaftlichen Zeitschriften.
  • Der Verlag ließ im Dezember seine Muskeln spielen und sperrte vielen Universitäten den Zugang zu Forschungsergebnissen. Jetzt haben die Unis einen Teilerfolg erzielt, Elsevier schaltete ihren Zugang wieder frei.
  • Die Wissenschaftler kämpfen um ein bezahlbares Modell, um ihre Forschung zu veröffentlichen und auszutauschen.

Von Kathrin Zinkant

Acht Etagen ist der Raum hoch, mit Gitterböden und Treppen aus schwerem Gusseisen, getaucht in trübes Licht, das durch die Decke aus dickem Glas eindringt. Es ist kühl. In der Luft liegt der Geruch von Leder und vergilbtem Papier, das sich in alten Regalen stapelt. Im Magazin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg begann vor fast 240 Jahren das moderne Bibliothekswesen. Systematisch, wissenschaftlich, auf den Austausch von Informationen ausgelegt. Und man muss nur die Straße überqueren, um das nächste Zeitalter der wissenschaftlichen Veröffentlichung heraufziehen zu sehen.

An einem Montag Mitte Februar sitzt die Direktorin der geschichtsträchtigen Unibibliothek dort etwas erschöpft in ihrem Büro, sie hat den ganzen Tag Gespräche geführt. Doch beim Thema Elsevier fangen die Augen von Anke Berghaus-Sprengel sofort wieder an zu funkeln. "Wir halten durch", sagt sie. "Egal, wie lange es dauert." Durchhalten, damit meint die drahtige Mittfünfzigerin den Verzicht auf alle Publikationen des wissenschaftlichen Großverlegers. In Halle sind das 3451 Zeitschriften, eine davon gedruckt, alle anderen online. Und mit Durchhalten meint Berghaus-Sprengel eigentlich auch mehr als die sechs Wochen, die seit Beginn des Verzichts vergangen sind. Die Wut wäre groß genug gewesen für weit mehr.

Im Deal soll Open Access ein integraler Bestandteil der Lizenz sein. Doch Elsevier will extra Geld

Was die Bibliothekschefin aber noch nicht weiß: Sie muss nicht mehr durchhalten. Elsevier hat an diesem Montag alle Zugänge von deutschlandweit insgesamt 60 betroffenen Einrichtungen wieder freigeschaltet, all jenen Institutionen, denen man nach Silvester den Hahn abgedreht hatte, mitten in den Verhandlungen um einen neuen Vertrag. Es sah so aus, als müssten die Forscher sehr lange ohne das wichtigste Gut ihres Berufsstandes auskommen: umfassende Information. Doch jetzt fließt sie wieder. Der Grund für den Sinneswandel ist unklar. Seit Monaten schon streitet der Verlag mit der Hochschulrektorenkonferenz um eine nationale Lizenz für den Zugang zu Elsevier-Zeitschriften. Der "Deal", wie er offiziell heißt, soll die Einzelverträge ablösen, mit denen Universitäten und Forschungsinstitutionen bislang finanziell zu kämpfen hatten. Im Dezember eskalierte die Situation, weil viele Einrichtungen in Erwartung einer zeitigen Einigung zum Deal ihre alten Verträge nicht verlängert hatten. Und Elsevier ließ seine Muskeln spielen.

Richtig glücklich scheint der Konzern mit diesem Schritt allerdings nicht geworden zu sein. In einer Mitteilung auf der Website von Elsevier heißt es nun, das vorrangige Ziel des Unternehmens sei, "der Wissenschaft zu dienen". Die Entscheidung, allen betroffenen Institutionen den Zugang zu den Publikationen des Verlages wieder zu gewähren, solle "die Unterstützung" spiegeln, die der Verlag der deutschen Wissenschaft zukommen lässt. Ein Sprecher von Elsevier, Hannfried von Hindenburg, sagte der Süddeutschen Zeitung gar, sein Unternehmen sei "in Sorge", dass eine umgestaltete Publikationsweise für die deutsche Forschung "zu teuer" würde.

Warum es trotzdem noch keinen Deal gibt? Die HRK will das sogenannte Open- Access-Modell in die nationale Lizenz integrieren. Open Access bedeutet, dass Forscher für die Online-Publikation einer Forschungsarbeit Geld bezahlen. Dafür hat jeder, der will, kostenlos Zugang zu der Arbeit, kann sie herunterladen, drucken, speichern. Für die Wissenschaftsgemeinde, deren Interesse vor allem darin besteht, Erkenntnisse auszutauschen, ist Open Access die zentrale Alternative zur Publikation in kostenpflichtigen Journalen geworden. "Der Bedarf an Open Access ist da", sagt Berghaus-Sprengel. Das gilt auch für die Bibliotheken. Denn "zu teuer" ist der Bezug von Zeitschriften schon sehr lange.

"Für einige Journale ist der Preis um acht bis zehn Prozent gestiegen", sagt Berghaus-Sprengel. "Und zwar jedes Jahr." Die Budgets der Universitäts- und Institutsbibliotheken kommen da nicht mehr mit. Der nationale Ansatz soll daher die Möglichkeit zum Open Access einschließen, sodass Forscher mehr Möglichkeiten haben zu publizieren. Und die Bibliotheken nicht noch mehr abonnieren müssen. Nur will Elsevier für Open Access weiter extra Geld. Und keine Pauschale, mit der auch die Veröffentlichung im Open Access abgegolten ist. Hindenburg kann das erklären: "Es sind einfach zwei vollkommen unterschiedliche Dinge."

Sind sie das wirklich? Man muss wissen, dass Fachjournale anders entstehen als etwa Tageszeitungen. Wissenschaftler schreiben ihre Studien selbst. Andere Wissenschaftler begutachten die Arbeiten unentgeltlich. Änderungen oder Ergänzungen werden von den Verfassern eingefügt. Zum Schluss zahlen andere Wissenschaftler Geld dafür, die Artikel lesen zu dürfen. Oder sie bekommen die Artikel im Open Access umsonst. Dafür zahlen dann aber die Wissenschaftler, die ihre Forschung publizieren. Man kann mit gutem Recht fragen, was Elsevier eigentlich macht, außer in jedem Fall das Geld einzustreichen. Man kann allerdings auch fragen, warum sich die Wissenschaft das gefallen lässt.

Vielleicht, weil man nie gezwungen war, etwas anderes auszuprobieren. Doch sechs Wochen Abstinenz haben gereicht, um die Macht der wissenschaftlichen Community zu verdeutlichen. Wer eine Arbeit braucht, bekommt sie, und zwar immer. Man fragt einfach einen Autor der Arbeit oder einen Kollegen - und es gibt die Fernleihe. "Das dauert zwar zwei Tage, aber wir haben damit auch kein Problem", sagt Reint Gropp, der sich bequem in seinem Stuhl zurücklehnt. Der Forscher ist Volkswirt und Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Auch für seine Forschung ist Literatur notwendig, aber wie viele Fachgebiete hat die Wirtschaftswissenschaft ihre Besonderheiten.

"Jedes Papier, das wir einreichen wollen, erscheint zunächst als Working Paper, das für alle zugänglich ist", erklärt Gropp. Dieser Zwischenschritt verschafft den Ökonomen einen ähnlichen Vorteil wie die Pre-Print-Server, auf die etwa in der Physik unpublizierte Studien hochgeladen werden können. Es ist rohes Material. Aber es ist Material, in dem das Wichtigste drinsteht. Warum also 40 Dollar ausgeben für ein Einzelpaper, das man etwas weniger glatt auch umsonst bekommen kann? Warum überhaupt noch zahlen, wenn ohnehin die Wissenschaftler alle Arbeit machen?

Auch das Wissenschaftssystem hat einen Anteil an der Misere. Es verlangt stets Top-Publikationen

Für Stephanie Garling ist das nicht zuletzt eine Frage des Wissenschaftssystems selbst. "Wenn sie fünf bis sechs Publikationen in Topjournalen benötigen, um von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert zu werden, kommen sie an Elsevier oft nicht vorbei", sagt die Direktorin des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, ebenfalls in Halle. Man dürfe eben nicht nur auf die Verlage gucken, sondern müsse den Druck beachten, der aus der Forschung selbst komme, meint die Politikwissenschaftlerin. Auch Gropp bezweifelt deshalb, dass man in absehbarer Zeit auf die professionelle Publikation verzichten könnte. "Open- Access-Journale haben kein hohes Ansehen in der Wissenschaft", sagt Gropp.

Das muss so nicht bleiben, wenn sich Open Access etabliert. Und vielleicht passiert das schneller als gedacht: Am Dienstag wurde bekannt, dass die American Association for the Advancement of Science (AAAS) künftig sämtliche Artikel von Forschern, die von der Bill- und Melinda-Gates-Stiftung gefördert werden, Open Access publiziert. Bezahlt wird das aus der Tasche des ehemaligen Microsoft-Chefs. Und es ist keine Lappalie, denn die AAAS gibt unter anderem Science heraus, eines der zwei wichtigsten Journale der Welt. Es ist ein Schritt, über den man streiten wird, weil er Gates' Schützlingen in der Wissenschaft einen Vorteil einräumt. Aber es ist auch ein Signal, wie die Zukunft der wissenschaftlichen Publikation aussehen kann, nämlich offen. Und das mit oder ohne Elsevier.

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Quelle:
SZ vom 16.02.2017/chrb
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