Wirtschaftsnobelpreisträger:"Trump hat noch nicht geliefert"

Wirtschaftsnobelpreisträger: James Heckman, 73, lehrt an der Universität Chicago und gewann 2000 den Wirtschaftsnobelpreis.

James Heckman, 73, lehrt an der Universität Chicago und gewann 2000 den Wirtschaftsnobelpreis.

(Foto: privat)

James Heckman über Protektionismus und den überschätzten Einfluss von Wissenschaftlern.

Interview von Katharina Wetzel

Im Turnus von drei Jahren findet in Lindau jeweils Ende August eine Tagung zu den Wirtschaftswissenschaften statt, 2017 nun zum sechsten Mal. Bislang haben 19 Preisträger zugesagt, erwartet werden zudem 350 Nachwuchswissenschaftler. James Heckman, der zusammen mit Daniel Mc Fadden 2000 den Wirtschafts-Nobelpreis erhielt, reist zum ersten Mal an den Bodensee. Ein Gespräch über Weltwirtschaft und Lindau.

US-Präsident Donald Trump setzt auf Protektionismus unter dem Motto "Amerika zuerst". Was halten Sie davon?

James Heckman: Protektionismus ist ein riesiger Fehler. Zu versuchen, sich von der Welt abzuschotten, ist keine kluge Politik. Diese wird den Vereinigten Staaten schaden, der restlichen Welt und der künftigen Entwicklung. Sie wird für bestimmte Arbeiter in den USA eine gewisse Wirkung haben, aber das ist eine sehr verengte Sicht auf den vernetzten Welthandel.

Einige Arbeiter sind Trump vielleicht dankbar, dass er intervenierte und Firmen nicht Jobs nach Mexiko verlagerten.

Es gibt ein paar Jobs, die geschützt werden, aber es werden immer noch Arbeitsplätze nach Mexiko verlagert. Die Frage ist, ob Trump seine Wahlkampfversprechen erfüllen kann: geschlossene Fabriken wiederzubeleben, für mehr Beschäftigung im sogenannten amerikanischen "Rostgürtel" ("rust belt") zu sorgen, wo die Industrie seit vielen Jahren abwandert. Ich denke nicht, dass Trump bereits geliefert hat.

Was passiert, wenn Trump ausländische Waren mit Importzöllen belastet?

Der größte Verlierer wird der amerikanische Konsument sein. Durch den Import von Gütern, die im Ausland günstiger hergestellt werden, gibt es große Vorteile. Diejenigen, die am meisten davon profitieren, sind die Konsumenten mit den geringsten Einkünften und dem niedrigsten Bildungsstand. Der sogenannte Wal-Mart-Effekt wirkt sich hier aus. Die Lebenshaltungskosten haben sich substanziell reduziert. Es ist also ein viel besserer Deal, günstige Produkte aus China zu kaufen.

Wieso haben dennoch viele für Trump gestimmt?

Da sind zwei Dinge, die die Leute motivierten, für Trump zu stimmen. Er versprach Regionen, die stark unter dem internationalen Wettbewerb leiden, neue Lebenskraft zu verleihen. Das gab den Menschen Hoffnung. Hillary Clinton und die Demokraten haben eine große Gruppe der Bevölkerung, die vergessene Mehrheit ("hidden majority"), vernachlässigt. Clinton weiß sehr viel, aber sie spricht in einer Sprache und einem Ton, der nicht ankam. Kommunikation war nicht ihre Stärke. Und ihre Bemerkung über Trump-Unterstützer, "Beklagenswerte", war ein großer Fehler, der ihren Elitestatus noch unterstrich.

Viele Ökonomen und Nobelpreisträger haben vor Trump gewarnt. War deren Kommunikation auch zu elitär?

Ich denke ja. Viele Nobelpreisträger überschätzen ihren Einfluss und ihr Talent, zu kommentieren. Ein gutes Argument wird verstanden, aber es geht nicht darum, Medaillen zu schwingen nach dem Motto, ich möchte dies der Ehre wegen. Ich denke, die Menschen haben nach ihren Gefühlen gewählt. Sie versuchen sich mit jemandem zu identifizieren, der fühlt wie sie. Trump war so politisch unkorrekt, das kam gut an. Ich denke, wenn der Kandidat Bernie Sanders gegen Trump ins Rennen gegangen wäre, hätte Sanders gewonnen. Ihn nahm man als ehrliche Seele wahr - danach haben die Menschen gesucht. Es war viel Leidenschaft im Spiel.

Können Deutschland und Frankreich, kann die EU Entscheidungen auch ohne Trump fällen, etwa wenn es um offenen Welthandel oder Klimaschutz geht?

Deutschland, Frankreich sind mächtige Länder, aber nicht der dominierende Kern. China und die USA sind große politische Kräfte. Ich weiß nicht, ob Deutschland und Frankreich sich Trump einfach widersetzen können. Es wird schwierig werden, diese Kräfte nicht am Tisch zu haben.

Der französische Präsident Emmanuel Macron will einen EU-Finanzminister einführen.

Deutschland und Frankreich haben keine Möglichkeit, das Finanzleben in Italien, Griechenland oder Portugal zu kontrollieren. Die ökonomische Logik der EU ist fehlerhaft. Der Süden ist bisher ein ziemlich schwaches Glied und wird es auch bleiben, da diese Länder sich weigern, politische Reformen umzusetzen.

Sie sehen keine Chance, die Probleme in der EU zu lösen?

Es gibt eine Chance, aber die Reformen werden nicht wirklich unternommen. Wie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Politik umgegangen wird, ist besorgniserregend. Und Europa ist eine sehr abstrakte Idee. Wenn ich ein Fischer irgendwo an der Außenküste von Italien bin, ist die Idee eines großen europäischen Projekts vielleicht nicht so interessant für mich.

Apropos Fakten: Trump tut Kritik als Fake News ab. Was kann die Lehre da tun?

Ich bin immer noch ein großer Anhänger von Grundlagenforschung. Die Rolle von Pädagogen ist, Menschen die Wahrheit zu vermitteln, aber in vielen Teilen des akademischen Lebens in den USA ist es sehr schwer, die Wahrheit zu sagen.

Warum?

Menschen sind etwa nicht bereit, soziale Probleme von Minderheiten offen zu diskutieren. Wir hatten einen Präsidenten, der Afroamerikaner ist, aber es gibt immer noch viele, die in sehr benachteiligten Verhältnissen Leben. Auch nach 50 Jahren einer Politik, die versucht, Minderheiten zu unterstützen, geht der Fortschritt überraschend langsam voran.

Was sind die wesentlichen Barrieren für sozialen Erfolg?

Die frühen Lebensumstände sind wichtig. Die Familie spielt eine bedeutende Rolle. Die Familie wandelt sich aber stark und die Folgen sind nicht völlig erforscht.

Intelligenz ist also für Erfolg nicht ausschlaggebend?

Es kommt nicht nur auf den IQ an, viele soziale und emotionale Fähigkeiten sind wichtig. Auch die Fähigkeit, morgens aufzustehen. Das wird oft vergessen in der Diskussion über Erziehung und Sozialpolitik.

Wie kann man benachteiligten Kindern helfen? Höhere Zuschüsse?

Mehr Kindergeld führt zu einer höheren Fertilitätsrate, aber das führt nicht zwangsläufig zu einer größeren Mobilität. Mancherorts schuf dies eine Wohlfahrtskultur, in der Menschen von Zuschüssen abhängig wurden. Ich bin nicht gegen Zuschüsse, aber man muss die richtigen Anreize setzen und nicht einfach nur Geld geben.

Sie wollen eine Vorverteilung statt einer Umverteilung. Was meinen Sie damit?

Das bedeutet, Menschen schon von frühen Jahren an die Fähigkeiten zu geben, die in unserer modernen Gesellschaft wichtig sind, so dass sie als unabhängige Individuen agieren können.

Frühe Bildung ist der Schlüssel gegen Probleme wie Armut, Terrorismus, mangelnde Integration. Warum ist das Thema nicht auf der Top-Agenda der Politik?

Politiker wollen wieder gewählt werden und innerhalb von vier Jahren Erfolge vorweisen können. Es dauert aber Jahre, bessere Schulen einzurichten.

Warum ist das zu Ihrem Forschungsthema geworden?

Als Kind war ich Zeuge der Jim Crow-Gesetze, die die Diskriminierung Schwarzer ermöglichten. Ich fand das sehr gestört. Und ich war immer interessiert daran, wie man Ausgegrenzten, Benachteiligten helfen kann. Ich bin ein großer Fan davon, Menschen Chancen zu geben.

Wie wurden Sie selbst so erfolgreich?

Amerikaner hören gerne die Geschichte von Abraham Lincoln, der sich in einer Blockhütte selbst das Lernen beibrachte. Ich bin kein Held. In meinem Elternhaus, ging es nie um die Frage, ob Essen auf den Tisch kommt. Meine Eltern schätzten Bildung und unterstützten sie. An der Universität Chicago hatte ich exzellente Kollegen. Und die Dinge, die ich interessant fand, motivierten mich, daran zu arbeiten.

Muss man an einer bestimmten Universität arbeiten, um einen Nobelpreis zu bekommen?

Ich weiß nicht, gute Kollegen, die einen auch hart und hilfreich kritisieren, spielen eine große Rolle. Der einsam arbeitende Forscher ist weniger ein Erfolgsmodell.

Freuen Sie sich also auf das Treffen im August in Lindau?

Ja und Nein. Ich habe es in der Vergangenheit abgelehnt, nach Lindau zu gehen. Ich sagte immer: Lindau ist der Ort, wo die Elefanten zum Sterben hingehen.

Wie bitte?

Kennen Sie das Buch "Der Aufstand der Massen" von dem spanischen Philosophen Ortega? Darin gibt es das Bild von einem Zahnarzt, der sehr gut ist als Zahnarzt. Aber, weil er sich im Mund seines Patienten so mächtig fühlt, glaubt er, er habe die Autorität, über alles zu sprechen. Ortega benutzt den Titel "gelehrter Ignorant". Es gibt wirklich in Lindau so eine Gefahr.

Was tun Sie gegen diese Gefahr?

Ich fürchte, Lindau ist eher Monolog als Dialog. Wenn das wahr ist - ist es schrecklich. Wenn ich Lindau leiten würde, würde ich sagen. Lasst junge Leute hereinkommen und kritisieren. Regt den Dialog an. Es geht um Dialog.

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