Süddeutsche Zeitung

Winterschlaf:Ein Atemzug pro Minute

An Schwarzbären haben Biologen erstaunliche Details über den Winterschlaf entdeckt - und vermuten nun, dass sich mehr Tiere als bislang gedacht zeitweise in ähnliche Zustände versetzen.

Katrin Blawat

Fünf amerikanische Schwarzbären haben geschafft, worum sich mancher Wissenschaftler sein Leben lang vergebens bemüht: Einem liebgewonnenen Konzept eine neue Dimension hinzuzufügen und die bisherige Sicht als viel zu vereinfacht darzustellen.

Im Fall der Schwarzbären geht es um den Winterschlaf, beziehungsweise zunächst um die Frage: Schläft er überhaupt, der Bär - oder ruht er nur? Die erstaunlichen Daten, die Biologen um Øivind Tøien von der University of Alaska Fairbanks in Science präsentieren, qualifizieren den Schwarzbären nun eindeutig als Winterschläfer (Bd. 331, S. 906, 2011). Zudem lassen die Ergebnisse vermuten, dass sich mehr Tiere als bislang gedacht zeitweise in Winterschlaf-ähnliche Zustände versetzen.

Seinen Stoffwechsel fährt der Schwarzbär im Winter auf ein Viertel der im Sommer üblichen Rate zurück. Erstaunlicherweise sinkt seine Körpertemperatur nur um fünf oder sechs Grad auf etwa 30 Grad Celsius.

Dass ein Tier bei dieser vergleichsweise hohen Körpertemperatur monatelang überleben kann, obwohl sein Stoffwechsel nur minimal arbeitet, überraschte auch die Forscher. Hinzu kommt, dass der Bär nach dem Ende seines Winterschlafes bis zu drei Wochen braucht, bis er seinen Stoffwechsel wieder vollständig auf den Sommermodus hochgefahren hat.

Sehr sparsam gehen die Bären im Winter auch mit ihrem Atem um: Lediglich ein oder zwei Mal pro Minute holen sie Luft. Nur während dieses Momentes haben die Tiere eine annähernd normale Herzschlagrate von 55. Doch nach einem Atemzug können bis zu 20 Sekunden vergehen, ehe das Bärenherz erneut schlägt. Im Durchschnitt kommen die Tiere so auf einen Puls von 14.

Ihre Erkenntnisse über das Innenleben der Bären verdanken die Forscher jeweils zwei kleinen Sendern, die sie fünf Schwarzbären eingesetzt hatten. Während sich die Tiere fünf Monate lang unbehelligt in ihren Höhlen wähnten, registrierten die Biologen jede Regung. Und sammelten damit stetig Belege für ihre These, dass Tiere ihren Stoffwechsel auch bei einer relativ hohen Körpertemperatur drastisch reduzieren können.

Bisher beschränkten sich ausgiebige Untersuchungen über die Körperfunktionen winterschlafender Tiere meist auf kleine Säuger wie etwa Murmeltiere, Fledermäuse und verschiedene Hörnchen. Deren Daten hatten ein anderes Schlafmuster ergeben. Der Stoffwechsel von Murmeltieren zum Beispiel arbeitet während des Winterschlafes nur noch mit zwei Prozent der im Sommer üblichen Rate, und ihre Körpertemperatur sinkt extrem, beinahe bis auf den Gefrierpunkt der Körperflüssigkeiten.

Allerdings wachen die kleinen Säuger etwa alle zwei Wochen für einige Tage auf, und in dieser Zeit normalisieren sich ihre Körperfunktionen weitgehend. Möglicherweise sind die Schlafunterbrechungen nötig, um das Immunsystem nicht völlig zum Erliegen zu bringen und um neuronale Schäden zu verhindern, die durch die langen Phasen niedriger Körpertemperatur entstehen können.

Die Aufwachphasen sind kräftezehrend: Sie kosten Murmeltiere 80 Prozent aller Energie, die sie während des gesamten Winterschlafes benötigen. Die beobachteten Schwarzbären wichen von diesem prototypischen Muster des Winterschlafes ab, zeigten aber dennoch einen charakteristischen Rhythmus. Fiel ihre Körpertemperatur auf weniger als 30 Grad, zitterten sich die Bären so lange warm, bis die implantierten Messgeräte wieder eine Körpertemperatur von 36 Grad Celsius anzeigten.

Das Verhalten der Schwarzbären bestätigt den Tierphysiologen Gerhard Heldmaier von der Universität Marburg in seiner Überzeugung: "Winterschlaf ist im Tierreich weiter verbreitet als vermutet." Auch andere Forscher sind der Meinung, dass nahezu alle Säuger ihren Stoffwechsel im Winter erheblich reduzieren. "Der sogenannte hypometabole Zustand kann wenige Stunden, Tage, Wochen oder auch länger als ein Jahr dauern, und er kann sogar im Sommer auftreten", sagt Heldmaier. "Wahrscheinlich muss der Begriff verändert werden."

Angebracht wäre dies auch deshalb, weil sich der Winterschlaf physiologisch stark vom normalen Schlaf unterscheidet. Beispielsweise haben Forscher bei winterschlafenden Tieren bislang keine unterschiedlichen Schlafstadien identifizieren können. Und während ein Mensch, der monatelang im Bett liegt, erheblich an Muskel- und Knochenmasse verliert, bleiben Bären von diesem Problem verschont.

Unumstritten ist, dass sich Tiere aktiv auf den Winterschlaf einstellen. Die Details bleiben bisher jedoch unklar. Sicher spielt die Kombination von Tagesdauer und Außentemperatur eine Rolle - doch was genau lässt Bär oder Murmeltier im Winter einschlafen und Monate später aufwachen? "Nach spezifischen Genen dafür hat man jahrelang ergebnislos gesucht", sagt Heldmaier. "Der Winterschlaf wird mit der bei allen Säugetieren üblichen Ausstattung an Enzymen organisiert."

Vor einigen Jahren fanden Forscher bei sibirischen Erdhörnchen immerhin einen Proteinkomplex, der den Winterschlaf mitreguliert. Als alleiniger Auslöser dient auch dieses Molekül jedoch nicht.

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Quelle:
SZ vom 18.02.2011/mcs
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