Energie:Wohin mit den alten Windrädern?

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In Windrädern wird eine Menge Material verbaut, hier im Landkreis Oder-Spree in Brandenburg. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Tausende Windenergieanlagen in Deutschland sind älter als 20 Jahre und werden demnächst abgebaut. Die Recyclingbranche ist darauf nicht vorbereitet.

Von Gabriela Beck

In Deutschland stehen derzeit rund 29 000 Windenergieanlagen auf dem Festland. Knapp die Hälfte wurde vor mehr als 15 Jahren errichtet, über ein Viertel ist älter als 20 Jahre. Mit einer geschätzten Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren werden bald Tausende Anlagen abgebaut oder durch neue, leistungsstärkere Windräder ersetzt. Die Recyclingbranche warnt vor einem Müllproblem.

Eine Windkraftanlage setzt sich aus den Hauptkomponenten Fundament, Turm, Gondel mit Getriebe, Generator und Steuerungselektronik sowie Rotor zusammen. Am Ende ihres Lebenszyklus werden ganze gebrauchte Windräder oder Teile davon wie Turbinen oder Schaltanlagen als Ersatzteile gehandelt oder Secondhand ins Ausland verkauft. Das vermindert CO₂-Emissionen, weil die Komponenten nicht wieder neu hergestellt werden müssen.

Recycling wiederum dient der Rohstoffsicherung, wenn die Materialien im Land bleiben. Für viele der in einem Windrad enthaltenen Baustoffe – Stahl, Kupfer, Aluminium – gibt es etablierte Verfahren für eine umweltgerechte Aufbereitung. „Technisch sehe ich beim Recyceln der Massenmetalle keine Schwierigkeiten“, sagt Jens Gutzmer, Direktor des Helmholtz-Instituts Freiberg für Ressourcentechnologie.

Probleme und Chancen zugleich sieht er bei Neodym-Magneten, die in getriebelosen Windrädern verbaut sind. „Diese Magneten bieten sich für das Recycling eigentlich an, können aber aktuell nur gesammelt und zum Recycling nach China verschickt werden.“ Investoren in Europa scheuten das Risiko in den neuen Markt einzusteigen, der durch den Ausbau der Windenergie gerade erst im Entstehen ist. Genauso wie der Bau von Windrädern steuerlich durch die Erneuerbare-Energien-Umlage begünstigt worden sei, hätte man auch gleich den Aufbau einer Recycling-Infrastruktur für Windkraftanlagen unterstützen müssen, kritisiert er die Kurzsichtigkeit bei der Gestaltung der Energiewende.

Manche Fundamente reichen 30 Meter tief in den Boden

Ein Bestandteil von Windenergieanlagen, der tatsächlich nur schwer recycelt werden kann, sind die Rotorblätter. Sie haben eine Hülle aus Glasfaser-Verbundkunststoffen und enthalten auch Carbonfasern, die den langen Flügeln hohe Stabilität bei geringem Gewicht verleihen. In ihrer Schale stecken leichtes Balsaholz und PET-Schaum als aussteifende Elemente. Das Problem: Es gibt noch kein im industriellen Maßstab nutzbares Verfahren, mit dem sich die Fasern aus dem ausgehärteten Kunstharz lösen lassen, das in dem Materialverbund als Klebstoff und Formgeber dient. Bislang werden Rotorblätter nach ihrer Demontage daher verbrannt oder deponiert, oft im Ausland. Laut einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA) sind allein in diesem Jahrzehnt beim Rückbau von Windenergieanlagen jährlich etwa 20 000 Tonnen an Rotorblatt-Abfällen zu erwarten, mittelfristig ist mit 50 000 Tonnen zu rechnen.

Eine Alternative zu Verbundkunststoffen gibt es bisher nicht. „So ein Rotorblatt dreht sich 20 bis 30 Jahre lang andauernd im Wind und ist dabei starken dynamischen Kräften ausgesetzt. Es wird viel mehr belastet als zum Beispiel ein Flugzeug, das ja nicht dauernd in der Luft ist“, erklärt Niels Ludwig, Abteilungsleiter Rotorblätter beim Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES). „Kein anderes Material kann das so effizient leisten.“

Glasfasern ließen sich einschmelzen und künftig wahrscheinlich sogar zu gleichwertigem Glas verarbeiten, Kohlefasern durchliefen ein Downcycling und könnten in Verbundkunststoffen minderer Qualität wieder zum Einsatz kommen. Aber zuerst einmal stecken sie im Harz fest. „Die Herausforderung beim Recycling ist es, Werkstoffe sauber voneinander zu trennen und sie dann separat wiederzuverwerten“, sagt Ludwig. Am Fraunhofer IWES läuft gerade ein Forschungsprojekt mit einem neuartigen Harz, das sich in 80 Grad heißer Essigsäure auflösen lässt. „Bislang kann das Harz, welches ungefähr 25 Prozent eines Rotorblatts ausmacht, jedoch noch nicht in dem angestrebten, vollständigen Materialkreislauf wiederverwendet werden.“

Bis zu 90 Prozent der gesamten Materialmasse eines Windrads inklusive Fundament besteht allerdings aus Beton. Das beim Abbau anfallende Bruchmaterial kann direkt vor Ort zerkleinert und regional für den Bau von Wegen oder neuer Fundamente genutzt werden. Alternativ wird Betonschutt als Zuschlagstoff für Recyclingbetone aufbereitet.

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Bei den Fundamenten wird es kompliziert. Immerhin ist die Fundamentplatte bis zu vier Meter tief und hat einen Durchmesser von 20 bis 30 Meter. Manche Fundamente haben darüber hinaus einen Betondorn, der bis zu 30 Meter tief in den Boden reicht. Gemäß Paragraf 35 des Baugesetzbuchs „ist die Anlage zurückzubauen und Bodenversiegelungen sind zu beseitigen“. Viele Bundesländer und auch die Rechtsprechung gehen daher von einer Verpflichtung zur vollständigen Beseitigung der Fundamente aus. „Vollständig heißt aber nicht immer zu hundert Prozent“, sagt Marie-Luise Plappert vom UBA. „Wir haben hier, wie so oft, unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern.“

Auch wird hinsichtlich der Rückbauverpflichtungen zwischen Alt- und Bestandsanlagen unterschieden, je nachdem, ob sie ihre Genehmigung vor oder nach dem 20. Juli 2004 erhalten haben. In jenem Jahr wurden die Vorgaben für den Rückbau verschärft. In Einzelfällen besteht demnach die Möglichkeit, den Rückbau des Fundamentes bis auf eine Tiefe von zwei Metern unter Geländeoberfläche zu beschränken. „Das bedeutet, dass nur ein Teil der Fundamente abgetragen und dann Erde aufgeschüttet wird, sodass die vorherige Nutzung, das heißt Land- oder Forstwirtschaft, wieder möglich ist“, erklärt Plappert. Bislang gibt es jedoch keinen rechtlich verbindlichen bundes- oder gar europaweiten Standard zum Rückbau.

Abgebaut werden Windkraftanlagen, wenn sie durch Sturm oder Gewitter stark beschädigt wurden oder wenn am selben Standort eine leistungsfähigere Anlage aufgebaut werden kann. Abgebaut werden Windräder aber auch, wenn sich der Betrieb nicht mehr lohnt, etwa weil die Förderung nach dem EEG nach 20 Jahren ausgelaufen ist und die finanziellen Erträge dadurch nicht mehr so hoch sind. „Man hat spätestens rund um 2020 eine große Repowering-Welle erwartet, weil da bereits über 4000 Windräder 20 Jahre und älter waren“, sagt Holger Ohlenburg, Leiter des Teams Windenergie am Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE). „Es hat sich aber zunächst gezeigt, dass nicht wenige Betreiber ihre Anlagen weiterlaufen lassen.“ Für leistungsfähigere und damit auch schwerere Anlagen, müssten sie erneut ein komplettes Zulassungsverfahren durchlaufen, mit allen Prüfungen und Nachweisen. „Das ist mit viel Aufwand verbunden und nicht an jedem Standort möglich.“

Neue Windräder haben zumeist auch andere Standortanforderungen als die bestehenden Anlagen. Rotorblätter moderner Landanlagen sind derzeit 60 bis knapp über 80 Meter lang. Aufgrund der Turbulenzen und gegenseitigen Beeinflussung brauchen diese Windräder andere Abstände zueinander als alte Anlagen, und man kann sie auch nicht einfach auf deren Fundamente stellen.

„Im Moment gehen wir davon aus, dass wir auch langfristig mit rund 30 000 modernen, größeren Windkraftanlagen an Land und den extrem starken Offshore-Anlagen auskommen“, sagt Ohlenburg. Wenn sich die Energiebedarfe aber noch mal deutlich erhöhen sollten, würden an Land vielleicht doch mehr Anlagen nötig. Und auch die neuen Windräder müssen irgendwann zurückgebaut werden. Man kann nur hoffen, dass sie dann besser recycelbar sind als die erste Generation.

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