Windenergie-Prognosen:Und jetzt die Energie von morgen

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Seit Anfang August erfasst die gelbe Boje vor Borkum, wie der Wind über die Generatoren des Alpha-Ventus-Parks streicht.

(Foto: Fraunhofer IWES)

Windstrom wird verkauft, bevor der Wind weht. Gute Prognosen sind also nötig, nur leider schwierig zu erstellen. Nun steigt auch IBM in das Geschäft mit den Vorhersagen ein.

Von Christopher Schrader

Seit ein paar Wochen dümpelt eine gelbe Boje in der Nordsee, 25 Seemeilen vor Borkum, beim Windpark Alpha Ventus. Auf dem Foto, das die Leute vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiessysteme (IWES) verbreiten, sieht die Szene friedlich aus, die See ist ruhig, die Sonne glitzert auf dem gekräuselten Wasser. Aber die Nordsee kann auch anders, und genau dafür ist die Boje da. Sie misst mit in den Himmel gerichteten Laserstrahlen den Wind, der die Rotoren der Anlage umtost, in Höhen von 40 bis 200 Metern über dem Meeresspiegel. Dass die Wellen das Gerät hin und her werfen, haben die Entwickler einkalkuliert; die Boje kann auch messen, wenn sie schaukelt.

Die präzisen Daten direkt aus einem Windpark helfen den Betreibern einerseits abzuschätzen, wie plötzliche und heftige Bojen ihren Windrädern zusetzen. Sie sollen aber auch die Vorhersage verbessern, wie viel Strom die Anlage in den kommenden Stunden liefern kann. Der Ertrag ist schließlich wie die Sonnenenergie stark vom Wetter abhängig. Die Besitzer solcher Anlagen müssen ihre Elektrizität dennoch mit einem Tag Vorlauf an der Strombörse in Leipzig anbieten und dann zur vereinbarten Stunde auch liefern können. Die Leistungsvorhersage ist daher ein intensives Forschungsgebiet, und nach vielen kleineren Firmen drängt nun auch der Computerkonzern IBM auf diesen Markt, wie er in der vergangenen Woche ankündigte.

"Um die Leistungsvorhersage zu verbessern, muss man zunächst einmal die Wetterprognose optimieren, die ihr zugrunde liegt", sagt Renate Hagedorn vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach. Sie leitet dort das Forschungsprojekt Eweline, an dem auch Firmen aus der Energiewirtschaft beteiligt sind. "Für Windparks müssen wir den Wind in 100 Metern Höhe angeben, da haben wir früher kaum hingeguckt."

Kern des Ansatzes ist es jetzt, mehr und präzisere Daten zu sammeln. "Je besser wir die Anfangsbedingungen kennen, desto genauer können wir auch den weiteren Verlauf des Wetters berechnen", sagt Hagedorn. Aktuelle Daten direkt aus den Anlagen müssen also in Echtzeit in die Prognoseberechnungen einfließen.

"Extreme Fehler gehen stark ins Geld"

Außerdem lassen die Forscher die Rechnungen mit kleinen Variationen in den Anfangsbedingungen mehrmals laufen. Ähneln sich die Ergebnisse dieser sogenannten Ensembleprognose, gelten sie als verlässlicher, als wenn die zweite, dritte und vierte Kalkulation jeweils andere Resultate liefern. "Wir wollen die verbleibende Unsicherheit vorher beziffern können, das hilft den Strom-Vermarktern sehr."

Bisher werden die Fehler in der Leistungsvorhersage im Nachhinein beziffert - etwa so wie ein Fondsmanager am Aktienmarkt mit seiner bisherigen Rendite wirbt, ohne Gewinne für die Zukunft zu garantieren. Die Anbieter der Ertragsprognosen für Wind- und Solarparks blicken zur Qualitätskontrolle über den vergangenen Monat zurück und vergleichen für Zehn-Minuten-Intervalle den jeweils erwarteten und tatsächlich erreichten Wert.

Die Differenzen werden nach dem Root-Mean-Square-Verfahren (RMS) gemittelt. Schwankungen in die eine und andere Richtung können sich nicht ausgleichen, weil das auch auf dem Strommarkt nicht so ist. "Kann der Betreiber nicht genug Strom liefern, muss er ihn teuer dazukaufen", sagt Thomas Landgraf von der Firma Enercast in Kassel. "Erzeugt er mehr Elektrizität als erwartet, muss er sie billig abgeben. Die Differenz zum Marktpreis beträgt im Mittel etwa 35 Prozent."

Gerade große Abweichungen zwischen Prognose und tatsächlichem Wetter machen sich schmerzlich bemerkbar. Das RMS-Verfahren quadriert darum im ersten Schritt die Fehlbeträge und führt dazu, dass beispielsweise eine große Abweichung von fünf Prozentpunkten deutlich mehr Gewicht bekommt als fünf kleine von jeweils einem Prozentpunkt. "Gerade extreme Fehler gehen stark ins Geld", ergänzt Renate Hagedorn. "Für den Betreiber steigt das Risiko exponentiell, im RMS-Verfahren werden die Fehler aber nur quadratisch berücksichtigt."

Das RMS-Mittel ist aber das etablierte Maß, mit dem sich die Firmen auf dem Markt der Leistungsvorhersage vergleichen. Landgraf beziffert die Leistung von Enercast mit vier Prozent RMS-Abweichung für die 24-Stunden-Prognose. Ein solcher Wert ist laut DWD-Forscherin Hagedorn State of the Art.

Alle 15 Minuten eine aktuelle Wetterprognose

Landgrafs Firma bestimmt zunächst für jede einzelne Anlage, welches Wettermodell dort in den vergangenen Jahren die lokalen Wind- oder Sonnenverhältnisse am besten erfasst hatte. Dabei kann auch eine individuelle Mischung herauskommen nach dem Motto: 50 Prozent DWD und der Rest zu gleichen Teilen von den Wetterdiensten der Briten, Franzosen und Amerikaner. Auf dieser Basis rechnen Computer, die sich Enercast im Internet mietet, die Prognosen für die Anlagen; sie werden rund um die Uhr im 15-Minuten-Takt aktualisiert.

Wo Enercast auf vier Prozent im 24-Stunden-Zeitfenster genau ist, nennt IBM-Entwickler Biren Gandhi für sein Angebot sechs bis acht Prozent, allerdings für ein ganzes Portfolio von Anlagen. IBM arbeitet bereits mit einer Tochterfirma des staatlichen chinesischen Energieversorgers zusammen.

Das Rechenmodell werde zudem aus seinen Fehlern lernen und sich verbessern, versichert er. Die Idee des Konzerns ist, aus Unmengen von Einzelinformationen eine lokale Windvorhersage für jeden individuellen Windpark zu berechnen; "Big Data" wird ein solcher Ansatz genannt. Ein Supercomputer verfolgt dazu sogar einzelne Luftpakete durch die Anlage und kann ausrechnen, in welcher Höhe welcher Wind weht. Er ist in der Regel in 150 Metern Höhe an den Enden der nach oben gereckten Rotorblätter deutlich stärker und kommt aus einer anderen Richtung als in 30 Metern Höhe, wo er die Blattspitzen unten erreicht.

Diese Daten nicht mehr zu simulieren, sondern zu messen, ist das Ziel der schwimmenden Lidarboje des IWES-Instituts. Der Laser richtet sich hier nach oben und erfasst die Richtung und Stärke des Windes in verschiedenen Höhen. "Die Bewegungen der Boje kompensieren wir mit einem Software-Algorithmus, der aus der Lage des Geräts Korrekturfaktoren errechnet", sagt die Entwicklerin Julia Gottschall.

Ein solches Messgerät auf einer Boje zu installieren, erleichtert den Einsatz; bisher musste ein Messmast errichtet oder das Lidar auf dem Maschinenhaus eines Generators installiert werden. Allerdings könne es 10.000 Euro im Monat kosten, die Daten über den Wind in Echtzeit per Satellit zu Rechenzentren an Land zu übermitteln. Das müsste eine verbesserte Leistungsprognose erst einmal wieder einspielen.

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