Süddeutsche Zeitung

Wiederverwertung:Rohstoff Schrott

In Zeiten knapper Ressourcen wird auch das wieder interessant, was manche Müll nennen. Elektronikabfälle zum Beispiel: In ihnen stecken wertvolle Metalle, von Gold bis zu Seltenen Erden.

Marlene Weiss

Rauchende Schornsteine, dicke Rohre, zugige Backsteinhallen: Die Anlage in der Nähe von Antwerpen sieht aus wie viele Fabrikgelände. Schwerindustrie, könnte man denken, irgendetwas mit Stahl, oder vielleicht Chemie. Wäre da nicht ein aufwendiges Gehabe um die Sicherheit.

Eine Chipkarte öffnet die Tür zu einer Schleuse, die nur je eine Person passieren lässt. Schuhe, Mantel und Metallgegenstände werden konfisziert, auf Strümpfen schleicht man durch den Metalldetektor und wird hinterher noch abgetastet. Willkommen bei Umicore, Standort Hoboken bei Antwerpen. Es ist die moderne Version einer Rohstoffmine.

Im Innern des Hochsicherheitsbereichs führen zwei Mitarbeiter vor, was von all den Schleusen, Sicherheitsleuten und einem Safe bewacht wird: Ein Zwölf-Kilogramm-Barren Gold zum Beispiel, der leicht in eine Handtasche passen würde, aber so viel wert ist wie ein mittelgroßes, gut gelegenes Einfamilienhaus.

Oder ein unscheinbares hellgraues Pulver - ein Kilogramm Rhodium. Weltweit werden davon nur 25 Tonnen jährlich verbraucht, vor allem für Katalysatoren. 3,5 Tonnen davon gewinnt Umicore jährlich, mit einem Marktwert von derzeit etwa 210 Millionen Euro. Doch bei Umicore kommen diese wertvollen Rohstoffe nicht aus dem Erdboden, sondern aus Rohmaterial, das oft als Elektroschrott bezeichnet wird.

Nur fünf Firmen weltweit sind in der Lage, Elektroschrott in größerem Maßstab zu recyceln - neben Umicore sind das in Europa Aurubis in Deutschland und Boliden in Schweden. Bei ihnen liefern Hunderte von Entsorgungsunternehmen das sortierte Material ab, nachdem sie Handys, Fernseher und Computer in ihre Bestandteile zerlegt haben.

Was das Recycling so schwierig macht, ist die Tatsache, dass die wertvollsten Stoffe nur in winzigen Mengen enthalten sind. Es gilt das Huckepackprinzip: Recycling von Sondermetallen wie Tellur lohnt sich nur, wenn gleichzeitig weitere wertvolle Metalle wie Gold oder Platin gewonnen werden können. Und um an diese Stoffe zu gelangen, werden wiederum zunächst die Basismetalle Blei, Kupfer und Nickel im Schachtofen abgetrennt - danach wird weiter sortiert.

In einer Tonne alter Handys stecken 300 Gramm Gold

In der Kupferextraktionshalle in Hoboken rauscht es und stinkt nach Schwefel. In riesigen Löschkesseln wird das Metall mit Schwefelsäure versetzt und dann in flache Becken geleitet, durch die elektrischer Strom fließt. Dabei trennt sich das Kupfer ab, übrig bleiben die wertvolleren Metalle, die anschließend weiter aufbereitet werden. An einem Schaltpult starren zwei Techniker auf fünf Bildschirme, sie steuern den Prozess.

Die Abfälle des Computerzeitalters sind ergiebiger als jede Mine: Während eine Tonne Golderz nur höchstens fünf Gramm Reingold enthält, stecken in einer Tonne Handys - ohne Akkus - bis zu 300 Gramm Gold. Sieben Edel- und elf weitere Metalle werden in Hoboken isoliert, darunter neben Gold und Silber auch Platin, Palladium, Rutenium, Rhodium, Gallium und Indium; ein Lithiumofen zum Akku-Recycling soll in diesem Jahr in Betrieb gehen.

Viele dieser Metalle stehen auf der Liste der sogenannten "Kritischen Rohstoffe", die die EU-Kommission im Juni veröffentlicht hat: Stoffe, die nur in wenigen Ländern abgebaut werden und von denen die Industrie extrem abhängig ist. Recycling ist daher kein Luxus. Allein die Autoindustrie verbraucht für Katalysatoren jährlich mehr Rhodium, als weltweit abgebaut wird.

Die Mengen, in denen viele der kritischen Rohstoffe benötigt werden, klingen oft lächerlich. Der Welt-Jahresverbrauch von Iridium etwa entspricht einem Würfel von nur 56 Zentimeter Kantenlänge. Gemäß einer Studie des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung wird beispielsweise der Bedarf an Indium, Gallium und Germanium in 20 Jahren etwa das Drei- bis Sechsfache dessen betragen, was heutige Minen hergeben - unter anderem, weil diese Metalle für Solarenergie und moderne Bildschirme benötigt werden.

"Die absolute Knappheit kommt nicht so bald", sagt Christian Hagelüken, Leiter der Geschäftsentwicklung bei Umicore. "Wenn man tief genug bohrt und immer ärmere Erze aufbereitet, wird man noch lange Rohstoffe finden." Doch die Abbaubedingungen werden schwieriger, es kostet mehr Energie und mehr Geld, Flächenbedarf, Wasserverbrauch und Umweltbelastung steigen. Umso mehr lohnt sich das Recycling.

Auf dem Gelände in Hoboken hat ein Lastwagen eine Ladung zerkleinerter Leiterplatten abgeladen. Bevor der Wagen das Gelände wieder verlässt, fährt er durch eine Waschanlage, damit kein Körnchen Staub das Areal verlässt.

Der Klärschlamm aus der Abwasseraufbereitung kommt zurück in den Schmelzofen, zusammen mit den Leiterplatten und einer Mischung aus Produktionsabfällen und Überresten aus dem Bergbau, die für die richtige Brenntemperatur sorgt. Vorher werden von der Leiterplatten-Lieferung Proben genommen. Wenn klar ist, wie viel wertvolles Metall die Charge enthält, wird mit dem Entsorgungsunternehmen ein Preis für das Recycling ausgehandelt; der Kunde zahlt für die Dienstleistung und erhält die Rohstoffe.

Längst beschäftigt die Knappheit der Rohstoffe die Weltpolitik, besonders akut im Fall der Seltenen Erden. Diese Metalle, die geheimnisvolle Namen wie Europium oder Neodym tragen, sind beispielsweise für Windturbinen und Smartphones kaum entbehrlich. Rund 97 Prozent dieser Stoffe werden in China abgebaut. Kürzlich teilte die Volksrepublik mit, den Export in der ersten Jahreshälfte 2011 um 35 Prozent zu reduzieren. Die internationale Gemeinschaft ist in dieser Hinsicht auf Chinas guten Willen angewiesen, denn noch lassen sich Seltene Erden kaum aus ausgedienten Produkten zurückgewinnen. Bald soll sich das ändern.

Fernseher und Computer auf illegalen Deponien in Afrika und Asien

"Bislang gibt es nur Pilotanlagen, aber da tut sich viel", sagt Mario Mocker, Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft beim Nürnberger Forschungsunternehmen Atz-Entwicklungszentrum. "Wir gehen davon aus, dass das Recycling wirtschaftlich wird, spätestens, wenn der Rohstoff wirklich teuer ist." Bei anderen kritischen Rohstoffen dagegen liegt die Knappheit nicht an der Technik, sondern an der Verfügbarkeit des Rohstoffs Müll: Zu wenig davon landet in professionellen Aufbereitungsanlagen.

Eine Elektroschrott-Richtlinie der EU aus dem Jahr 2002 schreibt zwar vor, dass der Abfall aufbereitet wird, und zwar mindestens vier Kilogramm pro Kopf und Jahr, in Deutschland sogar mehr als doppelt so viel, was etwa 40 Prozent der Gesamtmasse entspricht. Der Rest des Elektroschrotts jedoch gelangt nie ins vorschriftsmäßige Recycling. Ein Teil landet im Hausmüll, ein Teil wartet in Kommodenschubladen darauf, eines fernen Tages zum Wertstoffhof gebracht zu werden, und ein beträchtlicher Teil wird illegal nach Afrika oder Asien verschifft.

Manche Geräte werden dort weiter verwendet, das meiste jedoch wird in Hinterhöfen ausgeschlachtet, mit katastrophalen Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der beteiligten Menschen. Aber das Geschäft lohnt sich trotzdem, denn wer illegal entsorgt, zahlt keine Steuern, muss keine Auflagen befolgen und hat kaum Personalkosten. "Es gibt da mafiöse Strukturen mit einem beträchtlichen Maß an krimineller Energie", sagt Christian Hagelüken von Umicore.

Karsten Hintzmann vom Bundesverband der deutschen Entsorgungswirtschaft hält das für bedauerliche Einzelfälle. "Es ist sehr ärgerlich, aber größere Mengen entgehen uns damit nicht", sagt er. Die Verbandsmitglieder seien jedenfalls alle bei der Zentralen Clearingstelle in Nürnberg registriert. Diese Stelle sorgt dafür, dass jeder Hersteller von Elektrogeräten ein Entsorgungsunternehmen für das Recycling seiner Geräte bezahlt, das Einsammeln übernehmen die Kommunen mit ihren Wertstoffhöfen.

Doch die Entsorgungskette ist lang, und niemand kontrolliert genau, was die Zwischenhändler mit dem Schrott machen.

Im Jahr 2015 soll eine Wertstofftonne für Elektroschrott eingeführt werden; davon erhofft sich Hintzmann deutlich höhere Recyclingquoten. Allein darauf will sich die EU jedoch nicht verlassen. Derzeit wird eine Novelle der Verordnung diskutiert, die verpflichtende Quoten vorsieht; von 65 bis 85 Prozent ist die Rede. Vielleicht kann die Industrie so ihre Abhängigkeit von wenigen Rohstoff-Produzenten überwinden.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2011/mcs
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