Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe:Atomsuppe im Glas

Karlsruhe sitzt auf den gefährlichsten Abfällen, die das Atomzeitalter in Deutschland hinterlassen hat. Mit Milliardenaufwand sollen sie nun entsorgt werden.

Bernd Dörries

Helmut Kohl versprach den neuen Bundesländern einst blühende Landschaften. Den Menschen in Karlsruhe wurde schon vor Jahrzehnten zumindest eine grüne Wiese zugesagt. In beiden Fällen gestaltet sich die Umsetzung schwierig. Dort, wo in Karlsruhe einmal die grüne Wiese zu besichtigen sein soll, steht heute noch ein Würfel aus Stahl und Beton, dessen Eingangstür allein 26 Tonnen wiegt. Einige Rohre laufen in das bunkerartige Gebäude mit zwei Meter dicken Wänden aus Stahlbeton.

Verglasungsanlage in Karsruhe

Die Verglasungsanlage in Karsruhe

(Foto: Foto: AP)

Durch die Leitungen sollen von Ende Juli an die gefährlichsten Abfälle laufen, die das Atomzeitalter bisher in Deutschland hinterlassen hat. Es klingt recht harmlos: "Atomsuppe" nennen die Forscher und Behörden die Masse von 60.000 Litern Salpetersäure, in denen 16 Kilogramm Plutonium und 500 Kilogramm Uran aufgelöst sind. Im Englischen heißt die Brühe Highly Active Waste Concentrate. Das trifft es schon besser - sie hat eine Strahlung von einer Trillion Becquerel, etwa die Hälfte der in Tschernobyl freigesetzten Radioaktivität.

In der Atomsuppe schwimmen die Abfälle der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe, die hier 1971 zur Forschungszwecken in Betrieb genommen und zwanzig Jahre später wieder eingestellt wurde, als klar war, dass die Wiederaufbereitungstechnik in Deutschland keine Zukunft haben würde. Fast so lange wie der Betrieb dauern nun schon der Rückbau, die Planungen, Genehmigungen und Testreihen. Etwa drei Milliarden Euro wird es kosten, bis auf dem Gelände statt der Überreste von Reaktoren und der Wiederaufbereitungsanlage wieder eine Wiese zu sehen ist, wie sie den Bürgern Karlsruhes schon lange versprochen wurde.

Ende Juli soll nun mit der Entsorgung der Atomsuppe begonnen werden, ein Termin, der schon viele Male verschoben wurde. Bislang lagert diese Suppe in Edelstahltanks mit einer Betonummantelung.

Die Flüssigkeit muss ständig gerührt werden, denn wird die Suppe zu heiß und brennt an, dann explodiert sie. Durch Leitungen soll sie von den Tanks in einen Schmelzofen im Betonwürfel fließen. Bei bis zu 1200 Grad verdampft die Salpetersäure, die Atomabfälle werden mit Borsilikatglas eingeschmolzen und dann in Kokillen - Gussformen aus Edelstahl - eingegossen. Diese werden verschweißt und von außen gereinigt: 130 Kokillen sollen es schließlich werden, 1,5 Meter hoch und 40 Zentimeter breit, die dann in Castor-Behälter verpackt ins Zwischenlager Nord nach Greifswald verschickt werden. Das ist der Plan. Eine Endlagerstätte wurde für die dann verglaste Atomsuppe aber bis heute nicht gefunden.

Risiko Flugzeugabsturz

In Karlsruhe verfolgt man den Vorgang mit großer Skepsis und Protesten. Mehr als 1000 Einwendungen gegen das Verglasungsverfahren gingen ein. Kritiker stört vor allem, dass die Leitung von der alten Wiederaufbereitungsanlage in den Schmelzofen nicht gegen einen Flugzeugabsturz gesichert ist.

Vor allem die Grünen dringen aber auf die schnelle Verglasung. Weil die derzeitige Lagerung wohl nicht noch einmal genehmigungsfähig wäre und wegen der steigenden Kosten. Etwa drei Milliarden Euro wird die Verglasung wohl kosten. Die Stromkonzerne zahlen davon etwa 1,4 Milliarden, den Rest vor allem der Bund. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl warnte bereits, angesichts explodierender Kosten bei der Sicherheit zu sparen. Sie kritisierte insbesondere, dass der verglaste Atommüll vor der Fahrt ins Zwischenlager "bis zu eineinhalb Jahre lang in Castoren mit nur einem einzigen Deckel in einer Art Garage" aufbewahrt werden solle.

Sicher ist zumindest schon, dass für den Rückbau der Anlage deutlich mehr gezahlt werden muss, als der Bau je gekostet hatte. Franz Josef Strauß, der damalige Minister für Atomfragen,hatte 1956 beschlossen, das Kernforschungszentrum zu bauen.

Eigentlich sollte das Zentrum in der Nähe von München entstehen, Bundeskanzler Konrad Adenauer fand das aber zu nahe bei den Russen. Damals war die Atomkraft noch nicht umstritten, viele Städte bewarben sich um den Standort. Schließlich wurde in Karlsruhe gebaut. Der erste Forschungsreaktor dort ging 1961 in Betrieb, zehn Jahre später folgte die Wiederaufbereitungsanlage.

Nach dem Atomausstieg hat sich auch das Kernforschungszentrum umbenannt. Es heißt nun nur noch Forschungszentrum und betätigt sich in vielen Bereichen. Es wird beispielsweise erforscht, wie aus biologischen Abfällen Kraftstoffe gewonnen werden können. Noch ist aber nicht alles Bio. Atomexperten gibt es dort immer noch. Sie sind unter anderem mit dem Rückbau der atomaren Anlagen in Deutschland über Jahrzehnte hin gut ausgelastet. Und die Karlsruher Bürger hoffen, nach Jahrzehnten der Planung und Kosten von vielen Milliarden, nun bald ihre versprochene grüne Wiese zurückzubekommen.

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