Wie alt ist der Mensch?:Die geheimnisvolle Liaison des Neandertalers

Liaison von Neandertalern und Zuwanderern

Eingang zur Hohlenstein-Stadel-Höhle nordöstlich von Ulm.

(Foto: dpa)
  • Der in Deutschland gefundene Oberschenkelknochen eines Neandertalers wirft ein neues Licht auf die Ausbreitung der Menschen aus Afrika.
  • Ein internationales Team entschlüsselte das Erbgut aus dem Knochen, der auf der Schwäbischen Alb entdeckt wurde.
  • Die Spuren weisen auf ein Mensch-Neandertaler-Intermezzo hin, das bereits vor mehr als 219 000 Jahren stattgefunden haben soll.

Von Kathrin Zinkant

Als der in Leipzig forschende Schwede Svante Pääbo vor sieben Jahren das erste rekonstruierte Erbgut eines Neandertalers veröffentlichte, war der Schock für die Menschheit wohl fast so groß wie nach der Publikation von Charles Darwins The Descent of Man: Denn nein, der Mensch stammt nicht nur vom Affen ab. Die Genetik verrät, dass er auch noch Sex mit Neandertalern hatte, als er sich vor 100 000 bis 50 000 Jahren von Afrika über den Nahen Osten bis nach Europa ausbreitete. Es war, wie man heute weiß, nicht das letzte Rendezvous. Aber war es das erste Mal?

Womöglich gab es schon viel früher eine amouröse Begegnung zwischen den Vorfahren der heutigen Menschen und den seit 30 000 Jahren ausgestorbenen Neandertalern: Wie ein Forscherteam um den Biochemiker Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena jetzt in Nature Communications berichtet, weisen genetische Spuren in einem Neandertaler-Fund aus Süddeutschland auf einen Mensch-Neandertaler-Intermezzo, das bereits vor mehr als 219 000 Jahren stattgefunden haben soll.

Die Paläogenetiker hatten für ihre Studie genetisches Material aus einem Oberschenkelknochen untersucht, welcher schon 1938 in der Höhle Hohlenstein-Stadel auf der Schwäbischen Alb gefunden worden war. Vollständige Genome aus Zellkernen des Knochengewebes standen dabei allerdings nicht zur Verfügung, weil die Erbmoleküle des Fundes bereits zu stark zerstört sind.

mtDNA wird für grobe Abstammungsanalysen genutzt

Solche nukleäre DNA erlaubt Einblicke in die Durchmischungsgeschichte verschiedener Spezies. Stattdessen analysierten die Forscher aber die mitochondriale DNA (mtDNA) des Neandertalers. Sie umfasst lediglich 37 Gene, die außerhalb des Zellkerns zu finden sind und wird ausschließlich von der Mutter an die Nachkommen weitergegeben. Die mtDNA wird deshalb besonders häufig für grobe Abstammungsanalysen genutzt.

Die Wissenschaftler verglichen die Ergebnisse ihrer Analyse zunächst mit den Resultaten aus anderen Neandertaler-Fundstücken und schließlich auch mit der mitochondrialen DNA direkter Vorfahren des Menschen. Wie die Autoren der Studie schreiben, weisen die Ergebnisse auf eine frühe Vermischung von Menschen und Neandertalern vor 460 000 bis 219 000 Jahren hin. Daraus folgt, das moderne Menschen zumindest vorübergehend aus Afrika nach Europa gewandert sein könnten, sehr wahrscheinlich, ohne dort zu überdauern. Jedoch lange genug, um Kontakte zu knüpfen.

Diese Erkenntnis fügt sich gut ins aktuelle Bild des menschlichen Stammbaums: Erst kürzlich hatten Paläoanthropologen um Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig gezeigt, dass der moderne Mensch in Afrika 100 000 Jahre früher entstanden sein muss als zuvor angenommen, nämlich vor mindestens 300 000 Jahren in Nordafrika. Nicht allzu weit von Europa entfernt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: