Widerstand gegen Großprojekte:Die Energiewende im Herzen

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Frieden mit der Energiewende schließen? Manchem Anwohner eines Windparks mag das nicht gelingen. (Foto: dpa)

Argumente nützen oft wenig, um Menschen für Stromtrassen oder Sparlampen zu begeistern. Planer müssen auch die Emotionen ansprechen.

Von Christopher Schrader

Die Dörfer Anzhausen und Flammersbach haben einen schönen Blick nach Norden auf den bewaldeten Höhenzug Hohe Roth. Sie liegen idyllisch im Landkreis Siegen-Wittgenstein (Nordrhein-Westfalen) östlich der Kreisstadt. Die Anlage der Straßen und die Ausrichtung der Dächer lassen darauf schließen, dass sich hier viele den Traum vom Einfamilienhaus im Grünen erfüllt haben. Die Grundstücke der Straße "Am Obstgarten" etwa wurden Ende der 1980er-Jahre bebaut, erzählen Bewohner.

Seit Kurzem sind viele von ihnen alarmiert. Auf der Hohen Roth sollen vier Windräder gebaut werden. Man sei natürlich für Windkraft im Allgemeinen, erklärt die neue Bürgerinitiative "Windkraft mit Abstand", aber solche Anlagen sollten generell in größerer Entfernung zu Wohnhäusern errichtet werden. Sie fürchten Schall und Schattenwurf sowie den Wertverlust ihrer Immobilien. Der Leiter der Initiative ist ein Neubürger, der vor sechs Jahren der Ruhe wegen nach Anzhausen gezogen ist.

Für diese Bürger im Siegerland ist die Energiewende plötzlich ganz nah, genau wie für die Franken in Pegnitz, die gegen eine Stromtrasse protestieren, die Thüringer, die ein Pumpspeicherwerk am Rennsteig verhindern möchten, oder die Hessen, die eine Biogasanlage in Frankenberg vor dem Verwaltungsgerichtshof gestoppt haben. Plötzlich rückt die Infrastruktur einer dezentralen, auf erneuerbare Quellen gestützten Stromversorgung ins private Blickfeld, und die Bürger protestieren dagegen wie einst gegen Kernkraftwerke.

"Viele verzweifeln an der Umsetzung"

Auch im privaten Bereich hapert es mit der Energiewende. Das ist ganz ähnlich wie bei anderen Vorsätzen, etwa abzunehmen oder mit dem Rauchen aufzuhören. Die Prospekte einer neuen Heizung mit Holzpellets liegen unbeachtet da, während Hausbesitzer Heizöl für den alten Kessel im Keller kaufen. Der Vorsatz, mit dem Rad zum Einkaufen zu fahren, wird aus Gründen missachtet, die in jedem Einzelfall vernünftig erscheinen, aber nicht in der Summe. Und der Austausch alter Glühbirnen scheitert, weil die verwirrende Auswahl moderner Lampen einen erschlägt und die Kaufpreise schockieren.

"Ideen und Möglichkeiten für ein nachhaltiges, energiesparendes Verhalten gibt es mehr als genug", sagt Kora Kristof vom Umweltbundesamt, "aber viele verzweifeln an der Umsetzung." Mehr und mehr rückt daher ins Blickfeld von Planern der Energiewende, dass diese oft einen Verhaltenswandel von Menschen erfordert, die dazu nicht bereit sind - ganz egal, wie groß im Einzelfall die von Außenstehenden als objektiv erklärten Vorteile sind. "Es gibt oft geradezu Widerstand gegen Veränderungen", hat Gerhard de Haan von der Freien Universität Berlin beobachtet.

Viele Unternehmen, Hochschulen, Städte und Landkreise ernennen darum Energie-Beauftragte. Sie kümmern sich darum, Vorgesetzte, Kollegen, Nachbarn oder Betroffene von den Vorzügen der kleinen wie großen Projekte der Energiewende zu überzeugen und den Prozess anzuleiten. "Change Management" heißt diese Aufgabe auf Neudeutsch. Der Name allein macht sie nicht leichter. "Die Soft Skills, die man dazu braucht, sind hartes Brot", seufzt Hans Hertle vom Institut für Energie und Umwelt in Heidelberg.

Hertle spricht damit den Teilnehmern einer Veranstaltung aus dem Herzen, die vor Kurzem auf Einladung der Energieagentur NRW nach Witten gekommen waren, um über die "Energiewende im Kopf" zu beraten. Etliche von ihnen waren mehr oder minder frustrierte Energie-Beauftragte, und für viele von ihnen dürfte ein Aha-Erlebnis gewesen sein, was Gerhard de Haan sagte: "Wenn etwas nicht emotional verankert ist, ist der Weg vom Wissen zum Handeln blockiert."

Rationalität werde systematisch überschätzt, erklärte auch der Hirnforscher Gerhard Roth von der Universität Bremen: "Die Großhirnrinde, auf die wir Menschen als Sitz unserer Vernunft so stolz sind, hat keinen direkten Einfluss auf unser Verhalten." Es nütze nichts, Menschen allein mit Argumenten überzeugen zu wollen. Stattdessen brauchten sie Belohnungen, um mit alten Gewohnheiten zu brechen. "Man bewegt Menschen nur zum Handeln, wenn man neben bewussten Ansichten auch Emotionen, unbewusste Motive und Persönlichkeitsmerkmale anspricht." Die Energiewende müsse also auch im Herzen, nicht nur im Kopf verankert werden, erkannten Teilnehmer der Tagung.

"Die Quelle eines Veränderungsprozesses ist nicht die Vernunft, sondern das Interesse", bestätigt Jörg Probst, der eine Firma für Energieeffizienz leitet und Haustechnik an der Hochschule Bochum lehrt. "Wenn wir alles täten, was vernünftig ist, wäre die Energiewende leicht." Und dann sagt er einen Satz, der aus dem Mund eines Ingenieurs, den sein Studium einer technischen Rationalität verpflichtet hat, verwunderlich klingen mag: "Man muss die Menschen mögen, das ist der Anfang von allem." Nur dann könne man ihre Schwächen und wahren Beweggründe verstehen.

Es darf also zum Beispiel nicht passieren, dass Projektplaner die Argumente von Betroffenen, die sich gegen Projekte der Energiewende wehren, als unsachlich oder egoistisch abtun. Die Sorge um den Immobilienwert, die eine Bürgerinitiative in den Vordergrund rückt, ist genauso relevant, zeigte sich in Witten, wie der Wunsch, die Erde "enkelfähig" zu gestalten.

Zufrieden mit weniger - geht das?

Allerdings ist das Steigern der Motivation, bei der Energiewende mitzumachen, nicht genug, mahnt Niko Paech, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Oldenburg. Es müsse mehr um Verantwortung und Disziplin gehen. Er propagiert einen radikal gewandelten Lebensstil, der es Menschen erlaubt, viel weniger Treibhausgase auszustoßen. Wohl um nicht allzu lustfeindlich zu wirken, spricht Paech nicht von "Beschränkung", sondern von "Suffizienz und Subsistenz".

Beide könnten zu einem zufriedeneren Leben führen, ist Paech überzeugt. "Wenn ich mich bewusst entscheide, weniger Dinge zu besitzen und länger zu nutzen, habe ich bei jedem einzelnen auch mehr Zeit, es zu genießen." Und weniger Stunden im Beruf zu arbeiten, dafür aber Lebensmittel selbst zu erzeugen oder Elektrogeräte und Kleidung zu reparieren anstatt sie wegzuwerfen, könne beglückend wirken. "Es gibt bereits solche Pioniere, und ihr Leben ist gar keine Wurzelbehandlung", so formulierte es Paech vor Kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Natur.

Selbst wenn dieser Lebensstil seine Anhänger emotional befriedigt, müsste der Kopf die radikale, persönliche Energiewende vermutlich erst einmal gegen Herz und Bauch durchsetzen. Der Oldenburger Ökonom versucht daher nicht, seine Ideen als Rezept für die Mitte der Gesellschaft anzupreisen. Es geht ihm darum, eine Avantgarde zu schaffen, deren Erfahrungen bei einer der kommenden Krisen als Blaupause für besseres Verhalten dienen.

Davon kann man halten, was man will - Veränderungen in einem kalkulierbaren Zeitrahmen sind davon nicht zu erwarten. Die deutsche Energiewende ist aber nicht nur Teil der internationalen Bemühungen, den Ausstoß von Treibhausgasen messbar zu senken. Sie fällt auch in eine Phase, in der ohnehin viel Energie-Infrastruktur wegen ihres Alters ersetzt werden muss. Planer drängen darauf, die Zeit zu nutzen und dabei das ganze Land mitzunehmen.

"Die Energiewende wird von der Gesellschaft für die Gesellschaft gemacht", ist Robert Schlögl überzeugt, der zwei Max-Planck-Direktorenposten innehat: am Fritz-Haber-Institut in Berlin und am neuen Institut für chemische Energiekonversion in Mülheim/Ruhr. "Die Menschen haben einen Anspruch auf Teilhabe, und Planer und Experten haben eine Pflicht zur Information", sagte Schlögl vor Kurzem auf einer Tagung der Nationalen Akademie Leopoldina in Halle/Saale. Er plädiert leidenschaftlich dafür, Sorgen ernst zu nehmen und eine öffentliche Debatte zu führen, welchem Zweck die Energiewende eigentlich dienen soll, anstatt hektisch diese oder jene Technik durchzudrücken. "Wenn es über das Ziel Konsens gäbe, wäre viel gewonnen", mahnt der Chemiker.

Damit die Bürger überhaupt Eingriffe in ihr bisheriges, bequemes Leben akzeptieren, müssten vier Bedingungen erfüllt sein, ergänzt Ortwin Renn von der Universität Stuttgart; er hat sie in einem aktuellen Positionspapier der Helmholtz-Gemeinschaft erklärt.

Menschen müssten

  • Einsicht erlangen können, dass Veränderungen notwendig sind. Das scheitert oft daran, dass die Fürsprecher vieler Maßnahmen nicht glaubwürdig oder widerspruchsfrei argumentieren;
  • einen Nutzen für sich selbst erkennen;
  • verstehen, dass die Projekte den individuellen Handlungsspielraum nicht einengen. "Wer zum Beispiel Familien zumuten will, dass ihre Waschmaschinen zum Zweck des Energiesparens extern gesteuert werden, wird daran scheitern", sagt Renn;
  • sich mit Entscheidungen identifizieren können, weil sie daran mitgearbeitet haben oder finanziell an genossenschaftlichen Windparks beteiligt sind.

Renns Katalog deckt sich weitgehend mit den Kriterien, die der Hirnforscher Gerhard Roth aufstellt. Ein entscheidender Tipp, sagt er, um die Akzeptanz der Energiewende zu erhöhen und Verhaltensweisen zu verändern, ist die Suche nach konkreten Vorbildern. "Sich an ihnen zu orientieren und damit einer sozialen Gemeinschaft anzugehören, liefert eine sehr starke, intrinsische Belohnung." Zudem wäre es klug, sagen Experten, allgemeine Leitbilder von einer Gesellschaft aufzustellen, in der es sich umweltbewusster und besser leben lässt als heute. "Wer sagt eigentlich, dass Nachhaltigkeit nicht auch verdammt viel Spaß machen kann?", fragt Kora Kristof vom Umweltbundesamt. Die Teilnehmer der Tagung in Witten fassten die Hinweise in einem Slogan zusammen: "Leuchttürme und Lichtermeere".

Kompromisse zahlen sich aus

Ob all diese Ratschläge im Fall der Bürgerinitiative in den Dörfern Anzhausen und Flammersbach viel helfen werden, ist allerdings fraglich. Der Landkreis hatte dort schon vor Jahren zu Windkraftforen eingeladen, um Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Der Dezernent für Bauen und Umwelt, Helmut Kneppe, fand die Treffen gelungen. "Sie haben geholfen, die Diskussion zu versachlichen." Der Leiter der Bürgerinitiative, Harald Fruhner, hat von dieser Aktivität des Kreises aber gar nichts mitbekommen. Er wurde im vergangenen Sommer mit der Planung seiner Gemeinde konfrontiert und möchte weder finanziell an dem Windpark beteiligt werden, noch sieht er irgendwo Kompromisslinien. "Wenn die Anlagen kommen", sagt er, "kann man den Wohn- und Erholungswert bei uns abhaken."

Andererseits kennt Ortwin Renn etliche positive Beispiele, wo Planer auf Basis seiner Kriterien einen Ausgleich mit Bürgerinitiativen erreichen konnten - auch wenn diese bereits Jauche vor die Konzernzentrale gekippt hatten. Entscheidend sei, dass sich die Erbauer zum Beispiel von neuen Stromleitungen in Sachsen und einer Pipeline im Rheinland bereit erklärt haben, ihre Trassen im Detail anders als geplant zu verlegen, in Abschnitten zu hohen Kosten auch unterirdisch. Die gefundene Lösung war teuer, aber tragfähiger und schneller erreicht als per Gerichtsverfahren.

© SZ vom 24.02.2014/cris - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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