Süddeutsche Zeitung

Wettervorhersage:In 30 Minuten ein Sturzregen

Lesezeit: 4 min

Meteorologen scheitern regelmäßig bei der Wettervorhersage für die Tropen. Zu schnell können sich lokale Unwetter zusammenbrauen. Eine schwedische Firma vermeldet nun Erfolge mit einem neuen System.

Von Christopher Schrader

Eines Tages blickte Abas Mohammed auf das Display seines Mobiltelefons und rettete damit seine Ernte. Der Bauer aus Sanga im Norden Ghanas hatte eine einfache Wettervorhersage abonniert, die ihm für den Gegenwert von zwei Dollar-Cent per SMS jeden Morgen sagte, ob und wann es an dem Tag und dem folgenden regnen würde. Im Gegensatz zu seinen Nachbarn konnte er so die richtigen Entscheidungen für seine Felder treffen.

Liisa Petrykowska erzählt diese Geschichte gern, denn ihre Firma war es, die die SMS geschickt hat. Sie heißt Ignitia, hat ihren Sitz in Stockholm und Büros in Accra (Ghana) und Lagos (Nigeria), und behauptet, als erste überhaupt eine zuverlässige Wettervorhersage für eine tropische Region zu produzieren. In Ghana können Bauern die Kurznachrichten abonnieren, indem sie die Zeichenfolge *455# in die Tasten ihres Handys tippen.

"Regen fällt dort zu 99 Prozent aus Gewitterwolken, die sehr klein anfangen und plötzlich gewaltig wachsen können", sagte Petrykowska vor einiger Zeit, als sie ihr Projekt bei einem Google-Wettbewerb für Start-ups vorstellte. "Es geht oft ohne Vorwarnung vom blauen Himmel zum massiven Gewitter in 30 Minuten." Die Methoden der Wettervorhersage, die in gemäßigten Breiten gut funktionierten, versagten in den Tropen, weil die Auflösung der Rechenmodelle zu grob ist und die Physik des Wetters am Äquator anders funktioniert.

Das bestätigt Andreas Fink vom Karlsruher Institut für Technologie, der seit 20 Jahren das Wetter in Westafrika untersucht. "Die Vorhersage aus den Computerberechnungen ist dort meist nicht besser als die Klimatologie", sagt er, also als die Erfahrungswerte, die auf dem statistischen Mittel über dreißig oder mehr Jahre beruhen. "Gewitterzellen entstehen auf der Skala von wenigen Kilometern, aber die globalen Wettermodelle haben Gittermaschenweiten von 9 bis 50 Kilometern." Alles, was in einem solchen Kästchen passiert, wird nur abgeschätzt, nicht explizit berechnet. "Die erkennen relativ kleine Gewitterwolken oft überhaupt nicht."

Anders als in gemäßigten Breiten, wo große Wettersysteme mit ihren Hochs, Tiefs und Fronten die Wolken herumschieben, entstehen Niederschläge in den Tropen vor allem lokal. Der wichtigste Mechanismus ist die Konvektion, bei der warme und feuchte Luft aufsteigt, bis in der Höhe das Wasser auskondensiert. Die Tröpfchen werden schnell zu gewaltigen Dampfgebilden. "Dabei wirken die in den Tropen dominanten Wellen in der Atmosphäre, die mehrere Tausend Kilometer lang sein können, direkt auf die Sturmzellen von wenigen Kilometern Durchmesser ein", sagt Axel Seifert vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. "Das macht die Vorhersage deutlich schwieriger."

Konvektion auf kleinem Raum in schwül-heißer Luft, das kann auch in Deutschland zu Problemen mit dem Wetterbericht führen. Hier brechen häufig Gewitter an Sommerabenden aus Wolken hervor, die sich tags über der erhitzten Landschaft vollgesogen haben. Auch hierzulande ist schwer vorherzusagen, wo genau es dann kracht; das hat sich im Mai und Juni 2016 gezeigt, als sich Sturzfluten über den Orten Braunsbach, Stromberg oder Simbach ergossen, mehrere Menschen kamen ums Leben. Hier hatte auch die Tallage der Dörfer die Fluten anschwellen lassen.

Dass der Regen irgendwo in einer Region herunterkommen wird, können die Wetterwissenschaftler vorhersagen, aber für ganz genaue Prognosen fehlen ihnen die nötigen Daten - es lässt sich nicht jede Turbulenz in der Luft genau genug erfassen. Ein Vergleich erhellt die Probleme: "Am besten stellt man sich einen Wassertopf auf die Kochplatte und versucht zu erraten, wo die erste Blase nach oben steigt", hieß es auf dem Blog des DWD im Mai 2016, wenige Tage bevor die süddeutschen Dörfer untergingen.

Der Wetterdienst hilft sich mit großem Aufwand, mit Radarstationen im ganzen Land und einem Rechenmodell, das die Wetterentwicklung mit einem Raster von 2,8 Kilometer Länge kalkuliert. "So lassen sich die Gewitterzellen auflösen", sagt Axel Seifert, "und wir gewinnen Informationen, wie sie sich entwickeln könnten."

So ähnlich macht es die Firma Ignitia in Westafrika. Zwar kann sie dort nicht auf ein so dichtes Netz an Radarstationen wie in Deutschland zugreifen, die Schweden müssen sich mit frei verfügbaren Daten von Satelliten und globalen Wetterdiensten begnügen. Aber auch wenn sie nur mit diesen ihr feinmaschiges Rechenmodell füttern, erhalten sie im besten Fall für die eine Seite eines Dorfes eine andere Prognose als für die andere. Jeder Abonnent bekommt seine Vorhersage für den Ort, wo vermutlich sein Feld liegt, weil der Netzbetreiber dort sein Handy regelmäßig tagsüber ortet. Zu 84 Prozent sei ihre Vorhersage in den drei Jahren korrekt gewesen, die sie in Westafrika tätig sind, gibt Ignitia an.

Auch die Nutzer sind offenbar überzeugt, das zeigt eine Studie der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Sie hat im Jahr 2014 für 600 Bauern in Ghana die tägliche Wetter-SMS bezahlt, auch für Abas Mohammed. Bei einer Stichprobenuntersuchung sagten die allermeisten von ihnen danach, die Prognose habe ihnen geholfen, bessere Entscheidungen für ihre Felder oder ihr Vieh zu treffen. Fast alle würden auch selbst für den Service bezahlen - und haben inzwischen ihre Abos eingerichtet.

Qualitätsangaben, wie sie Ignitia macht, halten europäische Meteorologen jedoch generell für schwierig. Andreas Fink etwa hält es durchaus für möglich, dass die Vorhersage nun genauer ist als früher, sagt aber: "Qualitätsangaben wie 84 Prozent kann man nach so relativ kurzer Zeit doch gar nicht machen." Außerdem wäre es vielleicht besser, die lokalen Wetterdienste in die Lage zu versetzen, solche Prognosen selbst zu erstellen und kostenlos zu verschicken.

Einem solchen Gedanken folgend arbeitet zum Beispiel das britische Met Office seit Kurzem mit Kollegen in Uganda und Kenia zusammen, um kurzfristige Prognosen für den Victoria-See zu erstellen, wo plötzliche Gewitter immer wieder Fischer fern vom Ufer überraschen. Auch der DWD stellt seine Rechenmodelle und Daten frei zur Verfügung; damit arbeiten Meteorologen in Nigeria, aber auch in Brasilien, Ekuador, Indonesien oder den Philippinen.

Leben zu retten oder zumindest deutlich zu verbessern, das nimmt aber auch Ignitia für sich in Anspruch. Abas Mohammed war wegen der SMS der Schweden in seinem Dorf fast der Einzige, der 2014 überhaupt eine Ernte hatte. Weil der Wetterdienst, der sich in Ghana Iska nennt (das Wort für Wind in der lokalen Sprache Hausa), in einem Ausblick auf die Regenzeit vor geringen Niederschlägen warnte, entschied sich der Kleinbauer, statt Reis trockenheitstolerante Auberginen anzubauen. Als die Zeit der Aussaat kam, warnte eine Monatsvorausschau vor zwei Wochen Trockenheit, die der Bauer abwartete. Und als er ans Düngen dachte, kündigte eine SMS einen heftigen Tropenguss für den Tag an, der die Wachstumshilfe einfach weggespült hätte. Seine Nachbarn mit ihrem traditionellen Reisanbau hatten in dem Jahr fast keine Ernte, bei Mohammed fiel sie sehr gut aus, erzählt Petrykowska. "Das ganze Dorf isst jetzt Auberginen und denkt sich viele neue Rezepte aus."

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Quelle:
SZ vom 08.02.2017
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