Wetter-Prognosen:Fragwürdiges Orakel

Das Max-Planck-Institut für Meteorologie hat Klimavorhersagen für Deutschland bis zum Jahr 2100 gemacht, sogar für einzelne Landkreise. Die Ergebnisse sind unerfreulich - und stehen in der Kritik.

Axel Bojanowski

Das hatten die Klimaforscher nicht erwartet. Im Stile einer Wettervorhersage präsentierte das Umweltbundesamt (UBA) am gestrigen Dienstag neue Klimasimulationen für Deutschland.

Wetter-Prognosen: Die Klimaforscherin Daniela Jacob vom Max-Planck-Institut für Meteorologie erklärt an einem Computermodell die Folgen des Klimawandels. Die Forscher aus Hamburg prophezeien für Deutschland einen gravierenden Klimawechsel.

Die Klimaforscherin Daniela Jacob vom Max-Planck-Institut für Meteorologie erklärt an einem Computermodell die Folgen des Klimawandels. Die Forscher aus Hamburg prophezeien für Deutschland einen gravierenden Klimawechsel.

(Foto: Foto: dpa)

Dem Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI) sei es gelungen, die künftige Klimaentwicklung in Deutschland örtlich genau zu ermitteln, erklärte das UBA. Jetzt könne sich jede Region individuell auf die Änderungen vorbereiten.

Die Behörde begebe sich mit den Prognosen auf zu dünnes Eis, finden allerdings viele Klimaforscher. Denn regionale Klimaszenarien seien nicht verlässlich.

Vier Grad Temperaturanstieg im Südosten Deutschlands

Die Rechnungen des MPI zeigen eine deutliche Erwärmung von 2,5 Grad an der Nordsee bis zu vier Grad im Südosten Deutschlands bis zum Jahr 2100. Es wäre die drastischste Temperaturänderung seit dem Ende der Eiszeit.

Hitzewellen wie im Sommer 2003 würden die Regel. Für den Sommer sagt das MPI insgesamt weniger Niederschlag, aber mehr Starkregen voraus. Im Winter hingegen fällt dem Modell zufolge zukünftig mehr Niederschlag, aber kaum noch Schnee.

An einem der leistungsstärksten Computer Europas modellierten die Forscher um Daniela Jacob am MPI in Hamburg das Klimageschehen mit bislang unerreichter örtlicher Genauigkeit: Sie teilten Deutschland dazu in zehn mal zehn Kilometer kleine Maschen auf.

An den Knoten der Gitter ermittelte der Rechner Wettergrößen, etwa Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windstärke für bestimmte Zeitintervalle. Für jedes Quadrat des Gitters ergab sich so das Klima für Zeitintervalle von etwa einer Viertelstunde.

Weniger Regen im Westen des Schwarzwaldes, mehr an der Ostseite

Möglichst viele Vorgänge in der Luft, den Meeren und auf der Erde mussten in mathematische Formeln gefasst werden.

Die Forscher setzten für die Simulationen voraus, dass mit Abgasen aus Industrie, Autos und Kraftwerken immer mehr Treibhausgase in die Luft gelangen werden, die die Luft weltweit erwärmen. Sie testeten ihr Modell am Wetterverlauf der vergangenen 40 Jahre.

Fragwürdiges Orakel

Die Ergebnisse seien örtlich so genau, dass Aussagen über Klimaunterschiede innerhalb einzelner Landkreise möglich seien, erklärt das MPI. So werde es Ende des Jahrhunderts beispielsweise an der Westseite des Schwarzwaldes weniger regnen, an der Ostseite hingegen mehr.

Wetter-Prognosen: Komplexe Prognosen: Mehr Regen im Osten des Schwarzwaldes, weniger Regen in der Westseite, prognostiziert das Max-Planck-Institut.

Komplexe Prognosen: Mehr Regen im Osten des Schwarzwaldes, weniger Regen in der Westseite, prognostiziert das Max-Planck-Institut.

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Die Fachwelt staunt

In Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg erwarten die Forscher stärkere Gewitter. Das bevorstehende Klima sei gar "für jede künftige Stunde" zu ermitteln, erklärt MPI-Forscherin Daniela Jacob im Spiegel.

Die Fachwelt staunt, sprechen doch Lehrbücher bisher davon, dass regionale Klimamodelle versagt hätten. Anfang April betonte Richard Betts vom Hadley Center in Großbritannien auf der Tagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU): "Wir können bisher keine robusten regionalen Klimaszenarien errechnen".

Andreas Gobiet von der Universität Graz präsentierte auf der EGU-Tagung ebenfalls Klimarechnungen mit der Auflösung zehn mal zehn Kilometer - er kommt aber zu manch anderem Ergebnis als das MPI: Seinem Modell zufolge nehmen die sommerlichen Niederschläge in Deutschland nicht ab, sondern zu - ein großer Widerspruch zum MPI-Szenario.

Obgleich die Qualität des Grazer Modells der des MPI ebenbürtig ist, gibt sich Gobiet zurückhaltender als seine deutschen Kollegen und spricht von "bedeutenden Unsicherheiten bei den Ergebnissen".

Unberechenbares Europa

Forscher um Peter Stott vom Hadley Center bestätigen die Bedenken: Die Temperaturprognose für Europa weise die größte Unsicherheit aller Kontinente auf, schrieben sie kürzlich im Fachblatt Geophysical Research Letters (Bd.33, L02708, 2006).

Auch die Szenarien künftiger Niederschlagsmengen scheinen mit großen Unsicherheiten behaftet zu sein - vor allem deshalb, weil Änderungen der großräumigen Luftzirkulation kaum vorherzusagen seien, resümierte David Rowell vom Hadley Center auf der EGU-Tagung. Die Daten fließen in die regionalen Modelle ein und bilden ihr Fundament.

Eine gewaltige Luftturbine über dem Atlantik führt zudem zu Unsicherheiten in den Rechnungen. Die Nordatlantische Oszillation (NAO) ändert sich auf natürliche Weise und bestimmt das Klima Nordeuropas. Je nach Stärke des Drucks werden unterschiedlich warme Winde nach Norden gefächert.

Warum sich die NAO ändert, sei unklar, schrieben Klaus Dethloff vom Alfred-Wegener-Institut und Kollegen jüngst in den Geophysical Research Letters (Bd.33, L03703, 2006). Die NAO könnte die Winter in Deutschland künftig kälter werden lassen, meint Dethloff. Er finde es problematisch, Klimamodelle zu verfeinern, ohne die Physik des Systems verstanden zu haben.

Lob vom Ministerium

Das Umweltbundesamt hingegen hält das MPI-Modell für präzise: Es bilde das Relief der Landschaft so genau ab, dass "sehr gut" erkennbar sei, wo sich Wolken stauten und vermehrt Regen zu Tal strömte.

Solche Effekte seien bislang kaum darstellbar, widerspricht der Mathematiker Jörn Behrens von der TU München. Behrens arbeitet seit Jahren daran, das so genannte "Adaptive Verfahren" zu verbessern: eine Methode, die die von Höhenzügen beeinflusste Luftzirkulation modellieren soll.

Auch Veränderungen des Bodens bereiten den Klimaforschern Kopfzerbrechen, betonte David Rowell auf der EGU-Tagung. Denn wandelt sich die Vegetation, ändert sich beispielsweise die Verdunstung und damit die Wolkenbildung - Regenprognosen wären obsolet. Die Umstellung der Landwirtschaft kann das regionale Klima ebenfalls stark beeinflussen.

Die umstrittenen Ergebnisse der etwa 200.000 Euro teuren Studie verkündet das Umweltbundesamt in einer Pressemitteilung auf drei Seiten - auf sieben Seiten erläutert die Behörde dann ihre so genannte "Klimaschutzpolitik", mit der Deutschland an den Klimawandel angepasst werden soll.

Wenig plausibles Szenario

Doch die Forderungen sind bekannt: Die Eindämmung der Treibhausgasemissionen wird ebenso angemahnt wie Hitze- und Hochwasserschutz. Um zu wissen, welche Maßnahmen in einzelnen Regionen notwendig seien, müssten weitere Analysen folgen, heißt es in dem Papier.

Möglicherweise löst sich dabei mancher Widerspruch auf. Denn einerseits ergaben die Rechnungen häufigere Flusshochwasser, andererseits drohten die Flüsse auszutrocknen - ein wenig plausibles Szenario.

Ob die Klimaerwärmung hierzulande bedrohlich ist, erscheint fraglich: Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung kam 2005 zu dem Ergebnis, dass Deutschland vom Klimawandel "kaum verletzbar" sei. Positive Folgen der Klimaerwärmung lässt das Umweltbundesamt in seiner Stellungnahme außer Acht.

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