Wetter:Dieser November ist fünf Grad wärmer als sonst

  • Die Temperaturen an den ersten Novembertagen lagen bislang rund fünf Grad über dem langjährigen Durchschnitt.
  • Meteorologen können sich die hohen Werte bislang nicht recht erklären. Sehr wahrscheinlich spielt der Klimawandel eine Rolle.
  • Die Natur kommt mit der ungewöhnlichen Wetterlage bislang relativ gut klar.

Von Hanno Charisius und Robert Gast

Der November ist noch keine zwei Wochen alt, und schon ist von Rekorden die Rede: Fast fünf Grad über dem langjährigen Durchschnitt lagen die Temperaturen in den ersten Novembertagen in Deutschland, quer durch die Republik zeigten Messstationen Hitzerekorde. Laut der Langfristprognose des Deutschen Wetterdienstes (DWD) wird sich das auch nicht so schnell ändern. Für die kommenden Tage ist weiterhin mildes Wetter angesagt, nur im Norden soll etwas Regen fallen. Deutschland darf sich also noch etwas länger fühlen wie im Spätsommer.

Das verblüfft selbst erfahrene Meteorologen. Das aktuelle Wetter sei schon "außergewöhnlich", sagt Andreas Friedrich vom DWD. In seiner 40-jährigen Berufstätigkeit habe er noch nicht erlebt, dass es im November an vielen Tagen hintereinander so warm war. Aus Sicht von Meteorologen ist die Wetterlage die Folge mehrerer Ereignisse: Der Wind befördert heiße Luft von den sommerlich warmen Kanarischen Inseln nach Mitteleuropa. Das passiere im Herbst zwar öfter, sagt Friedrich. Aber derzeit bläst der Wind besonders kräftig. Hinzu kommt, dass sich die Luft in Deutschland dieser Tage kaum abkühlen kann. Über Europa hängt das Hochdruckgebiet "Ulrike", das vor allem Süddeutschland viel Sonne beschert.

Der frühlingshafte November passt zum globalen Trend: Am Anfang der Woche meldete das britische Met Office, die globale Durchschnittstemperatur zwischen Januar und September sei erstmals mehr als ein Grad über die Durchschnittstemperatur der vorindustriellen Zeit gestiegen. 2015 hat somit gute Chancen, das wärmste Jahr seit Beginn von Wetteraufzeichnungen zu werden.

Könnte der Nordatlantik für das warme Wetter verantwortlich sein?

Dass sich die von Menschen verursachte globale Erwärmung zeigt, halten Klimaforscher für sehr wahrscheinlich. Aber sie tun sich schwer, mit dem Klimawandel regionale Wetterextreme zu erklären. Bisher ist der warme Novemberanfang nur ein deutsches Kuriosum, das es vielleicht auch ohne globale Erwärmung gegeben hätte. Erst wenn sich in einigen Jahrzehnten zeigen sollte, dass der November häufiger so sonnig ist wie ein goldener Oktober, kann man Aussagen darüber treffen, ob der Klimawandel den Herbst in Mitteleuropa verändert hat.

Auch dem derzeit im Pazifik aufwallenden Klimaphänomen El Niño kann man die Verantwortung für das warme Wetter nicht zuschreiben. Die aktuelle Erwärmung des Ozeans habe vermutlich keinen großen Einfluss auf die deutsche Wetterlage, sagt Daniela Matei vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. Es werde zwar seit Jahren die Frage diskutiert, ob ein El Niño den Luftdruck über dem Nordatlantik ändern kann. Das müsste aber zu niedrigeren Temperaturen in Europa führen. Stattdessen vermutet Matei, dass eine Zone ungewöhnlich kalten Wassers, die derzeit im Nordatlantik treibt, den Winter in Europa wärmer macht. Das kalte Wasser könnte ein Symptom der sogenannten Atlantischen Multidekaden-Oszillation sein, die alle paar Jahrzehnte die Strömungsverhältnisse im Ozean verändert. Jedenfalls facht der kalte Nordatlantik derzeit den Westwind an, der die warme Luft nach Europa pumpt.

Stimmt diese Theorie, könnte auch der kommende Winter vergleichsweise warm und trocken werden. Laut DWD sind in Deutschland von Januar bis einschließlich Oktober nur 87 Prozent des sonst üblichen Regens gefallen, in Baden-Württemberg waren es sogar nur 75 Prozent. Damit steht 2015 auf Platz 25 der trockensten Jahre seit 1891. Die meisten Flüsse im Süden führen Niedrigwasser, der Rhein steht fast so niedrig wie im Sommer 2003. Im Schwarzwald haben Berghütten vorzeitig die Betriebsferien gestartet, weil die Bewirtschaftung wegen des Wassermangels nicht mehr möglich war. Nach zwei schneearmen Wintern und dem trockenen Sommer sind auch die Trinkwasservorräte in einigen Gemeinden im Bayerischen Wald aufgebraucht.

Könnte die Natur durch die Wärme aus dem Takt geraten?

Die Natur kommt allerdings vergleichsweise gut mit der Trockenheit und Wärme zurecht. "Dürre ist zwar nie gut", sagt Ulrich Kohnle von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg, "aber im November haben die Bäume das Wachstum bereits eingestellt, deshalb ist es jetzt nicht mehr so schlimm." Wirklich beurteilen lassen sich die Folgen der Trockenheit erst im kommenden Frühjahr. "Anhand der Austriebe der Pflanzen lässt sich dann abschätzen, wie sehr die Pflanzen im vergangenen Jahr gelitten haben", sagt Kohnle.

Pflanzen in der Steppe kommen mit noch größerer Trockenheit zurecht

Auch für Landwirte, die auf gängige Feldkulturen setzen, sollte die aktuelle Trockenheit kein großes Problem darstellen, erklärt Rod Snowdon, Professor für Pflanzenzüchtung an der Universität Gießen. "Zumindest allgemein, einzelne Regionen werden vielleicht etwas härter getroffen." Winterraps und Wintergetreide seien überwiegend gut aufgegangen und der Wasserbedarf der Jungpflanzen ist relativ gering. "Problematisch kann es allerdings werden, wenn es wie im Vorjahr wenig Schnee im Winter gibt und die Bodenwasservorräte nicht aufgefrischt werden."

Für die Tiere sei sogar "jeder milde Tag ein geschenkter Tag", sagt Josef Reichholf, ehemaliger Professor für Naturschutz und Ökologie an der TU München. "Tiere, die jetzt noch aktiv sind, schonen ihre Energiereserven, weil sie durch die höheren Temperaturen weniger Energie verbrauchen und zusätzlich Zeit haben, Energiereserven aufzubauen." Man sehe zum Beispiel viele junge Igel, die sich noch nicht ausreichend dicke Fettpolster angefressen hätten.

Die oft geäußerte Befürchtung, die Natur könne durch die Wärme aus dem Takt geraten, zerstreut Reichholf: "Das wird nicht passieren, denn der wesentliche Taktgeber für alle Tiere und Pflanzenarten ist die Tageslänge - und nicht die Temperatur." Wenn jetzt im Garten Rosen oder Erdbeeren blühen, dann liege das daran, dass es Zuchtsorten seien, die von der verlängerten Wärmeperiode profitieren. "Aber es wird jetzt keine wilde Rose mehr draußen sein". Es gibt Ausnahmen: Löwenzahn kann jetzt auf gemähten Wiesen noch einmal blühen, weil das Grünzeug, das ihn dort sonst zu dieser Jahreszeit überwachsen würde, nicht mehr da ist. Gleiches gilt für Gänseblümchen. "Wenn der Überwuchs fehlt, können sie eine Spätblüte einlegen, an manchen Standorten können das sogar drei Blüten pro Jahr sein."

Der Pflanzenökologe Hans-Werner Koyro von der Universität Gießen findet es ohnehin "ein bisschen überzogen", von Dürre zu sprechen. "In Steppenregionen fallen 200 Milliliter Wasser pro Jahr, bei uns noch immer ein Vielfaches." Vor allem ältere Bäume kämen mit einem trockenen Jahr normalerweise recht gut zurecht. Mehr Sorge bereiten ihm Jahre, in denen lange Trockenperioden mit Extremwetterereignissen abwechseln. "Der ausgetrocknete Boden kann plötzliche Wassermassen nicht aufnehmen. Stattdessen wird er von den Fluten fortgeschwemmt." Auch das ist wohl noch denkbar 2015 - auch wenn der Wetterbericht zumindest für die kommende Woche keine Starkregen ankündigt.

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