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Weltnaturkonferenz:Wem gehören die genetischen Ressourcen?

Von der Nacht auf Mittwoch an verhandeln fast alle Staaten der Erde auf der Weltnaturkonferenz in Montréal. Wie schwierig das wird, zeigt der erbitterte Streit um eine einzige Detailfrage.

Von Tina Baier

Ziel der Weltnaturkonferenz ist ein globales Abkommen, das bis 2030 die Wende in der ökologischen Krise des Planeten ermöglichen soll. Ab der Nacht auf Mittwoch verhandeln in Montréal knapp 200 Nationen, fast alle Länder der Welt. Ob sie sich auf ein "Montréal-Abkommen" einigen können, das für den Schutz von Tieren, Pflanzen und Lebensräumen eine ähnlich große Bedeutung bekommen könnte, wie sie das Paris-Abkommen für den Klimaschutz hatte, hängt von vielen Details ab.

Ein Beispiel: der Zugang zu internationalen Datenbanken, in denen Informationen unter anderem über das Erbgut von Tieren und Pflanzen gespeichert sind. Vor allem ärmere Länder mit großer Artenvielfalt, die sich Natur- und Artenschutz selbst nicht leisten können und enttäuscht sind über die spärliche finanzielle Unterstützung der Industrieländer, fordern, den Zugang zu diesen "digitalen Sequenzinformationen" (DSI) zu beschränken.

Sie kritisieren, dass die Länder, aus denen diese Informationen stammen, keinen finanziellen Ausgleich bekommen, obwohl DSI auch kommerziell genutzt werden: zum Beispiel in der Entwicklung von Medikamenten, Kosmetik und Chemikalien. Einige machen ihre Zustimmung zum Montréal-Abkommen davon abhängig, dass die Daten nicht mehr frei zugänglich sind. Sie verlangen, dass jedes Land den Zugang zu seinen DSI selbst kontrollieren und etwa Gebühren für die Nutzung verlangen kann. Für biologisches Material gelten solche Regeln bereits seit 2014. Aber ist das auch für digitale Informationen möglich?

Mit den Daten lässt sich auch nachverfolgen, wie es bedrohten Arten ergeht

"Der Ursprung von digitalen Sequenzinformationen ist deutlich schwieriger zu verfolgen als der Ursprung von physischen Proben tierischen oder pflanzlichen Ursprungs", sagte die britische Moralphilosophin Doris Schroeder, kürzlich dem Science Media Center (SMC). Forschende, speziell solche, die sich mit Artenvielfalt beschäftigen, sehen sogar die Zukunft ihrer Arbeit in Gefahr, sollte der Zugang zu diesen bisher weltweit frei zugänglichen Informationen beschränkt werden. "Digitale Sequenzinformationen sind unabdingbare Voraussetzung der modernen lebenswissenschaftlichen Forschung und Entwicklung", sagte Jörg Overmann vom Leibniz-Institut Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig dem SMC. Sie dienten unter anderem der Identifizierung neuer Arten und seien wichtig für Monitoring-Projekte, bei denen etwa untersucht wird, ob sich eine vom Aussterben bedrohte Art wieder erholt oder weiter schwindet. Außerdem seien sie essenziell für "die zuverlässige Diagnose von Krankheiten".

Auch nach Ansicht von Doris Schroeder sind digitale Sequenzinformationen bedeutend für den Umwelt- und Artenschutz: "Welche Tiere waren an diesem Wasserloch und in welcher Anzahl? Man muss das Wasserloch noch nie gesehen haben, um diese Forschung auf einem anderen Kontinent durchführen zu können. Das ist sehr positiv", sagt sie. Die Moralphilosophin sieht aber auch, dass es zu "möglichen Ungerechtigkeiten" kommen kann, "wenn digitale Sequenzinformationen kommerziell und über Landesgrenzen hinweg verwendet werden".

Eine Lösung des Konflikts wäre möglicherweise, den Zugang zu DSI frei zugänglich zu halten, aber bei kommerzieller Nutzung Gebühren zu verlangen. Ein Team um Amber Hartmann Scholz, die wie Overmann am Leibniz-Institut in Braunschweig forscht, hat kürzlich einen Vorschlag gemacht, wie sich das organisieren ließe. Die Idee ist, einen Fonds für die Erforschung und den Schutz von Artenvielfalt einzurichten, in den Gebühren für die kommerzielle Nutzung digitaler Sequenzinformationen fließen. Länder, die DSI zur Verfügung stellen, könnten dann aus diesem Fonds einen finanziellen Ausgleich erhalten - und gleich wieder in den Artenschutz investieren.

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