Weltklimagipfel in Paris:Die Macht der Chinesen

Beijing Blanketed In Heavy Smog

Smog in Peking: Vor allem im Winter ist die Atemluft in der chinesischen Hauptstadt gesundheitsgefährdend.

(Foto: Getty Images)

Ohne China geht nichts beim Klimaschutz. Auf die Clique um Präsident Xi Jinping sollte man sich in Paris aber nicht verlassen. Eher schon auf die Wut der Massen.

Von Christoph Behrens

China meldet falsche Zahlen beim Kohleverbrauch, erklärte im November die New York Times: 17 Prozent daneben, eine Milliarde Tonnen klimaschädliches CO₂ mehr pro Jahr. Eigentlich eine unfassbare Nachricht - alleine diese Abweichung entspricht dem jährlichen Treibhausgasausstoß Deutschlands.

Viele Chinesen dürften nur müde gelächelt haben. Dass ihre Regierung den Energieverbrauch nicht im Griff hat, wissen sie mit einem Blick aus dem Fenster, wo sich die Abgasmengen im Dunst der Häuserschluchten abzeichnen. Den offiziellen Zahlen trauen die meisten sowieso nicht - eher schon Apps wie "China Air Quality Index" auf ihrem Smartphone, die minutengenau die aktuellen Feinstaubwerte in der Umgebung anzeigen.

Das Misstrauen der Chinesen sollte der Welt Warnung und Hoffnungsschimmer zugleich sein. Auf dem Weltklimagipfel in Paris ist China die große Unbekannte in den Verhandlungen. Der genaue Energieverbrauch mag unmöglich zu ermitteln sein, fest steht nur: China stößt von allen Staaten mittlerweile die meisten Treibhausgase aus. Das Land fördert die meiste Kohle, importiert die meiste Kohle, verbrennt die meiste Kohle. Chinesen kaufen die meisten Autos und bauen die meisten Hochhäuser. Und haben in absoluten Zahlen immer noch die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Welt. Da sind genaue Mengen eher nebensächlich. Ohne China geht nichts im Klimaschutz, egal was der Rest der Welt bespricht und aushandelt.

Die Wirtschaft darf weiter wachsen, wie sie will

Zu welchen Zugeständnissen Präsident Xi Jinping in Paris bereit sein wird, und was er dafür verlangt, ist daher die große Frage. Gegenüber seiner Regierung ist Skepsis angebracht. Im Vorfeld des Gipfels haben 177 Staaten, darunter auch China, nationale Klima-Aktionspläne bei den UN eingereicht. Peking verspricht darin, spätestens 2030 den Treibhausgas-Ausstoß zu senken. Die Kohlenstoff-Intensität der Wirtschaft, also die CO₂-Menge, die nötig ist, um einen Dollar zu erwirtschaften, soll im Vergleich zu 2005 um mehr als 60 Prozent fallen. Bereits bis 2020 will China zudem Solarenergie mit der Leistung von 100 Gigawatt und zwei Mal so viel Windenergie ins Stromnetz einspeisen - erneuerbare Energie in der Größenordnung von 300 Atomreaktoren.

"Die Ziele sind nicht so ambitioniert, wie sie aussehen", gibt Jost Wübbeke, Energieforscher am Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin zu bedenken. Dass der Höchststand der Emissionen spätestens in 15 Jahren erreicht sein soll, sage nichts über ihre absolute Höhe aus - für den Klimaschutz die entscheidende Größe. "Die Wirtschaft kann erst mal so viel CO₂ ausstoßen, wie sie will", sagt Wübbeke. Auch die geplante Verbesserung der CO₂-Intensität sei ans Wachstum gekoppelt und damit relativ, so der Forscher. "Das hintertreibt den Sinn eines Ziels: dass man sich festlegt." Die Zahlen zum Ausbau der erneuerbaren Energien stehen ohnehin bereits im Fünfjahresplan der Kommunistischen Partei, sind also kein Zugeständnis an den Klimaschutz.

Rasante Entwicklung des Umweltbewusstseins

Für den dürfte auf Dauer etwas anderes bedeutsamer sein als die Pläne der Kommunistischen Partei: die Meinung des Volkes. In den vergangenen Jahren hat das Umweltbewusstsein in China eine rasante Entwicklung genommen. Vor wenigen Jahren war es tabu, überhaupt über Umweltprobleme wie Smog zu reden. Als die US-Botschaft in Peking 2010 die aktuellen Feinstaubwerte twitterte und die Luft als "irre schlecht" bezeichnete, reagierten die lokalen Behörden noch wutentbrannt. Die Verbreitung der Daten sei illegal und müsse sofort aufhören. Doch Millionen von Chinesen begannen, sich bei der Botschaft über die Luftwerte zu informieren, und erzeugten Druck in sozialen Medien. Mit Erfolg: Drei Jahre später gab es 500 Luftmessstationen in mehr als 70 Städten, sie verbreiten die Daten nun in Echtzeit.

Umweltfilm "Under the Dome" befeuert die Debatte

Die Regierung hat mittlerweile selbst den "Krieg gegen die Verschmutzung" erklärt, den Höhepunkt der Debatte löste dieses Jahr aber der Dokumentarfilm "Under the Dome" aus, wörtlich übersetzt "Unter der Glocke". Offen zeigt die TV-Journalistin Chai Jing darin, welche gesundheitlichen Schäden die omnipräsente Luftverschmutzung auslöst, wie Emissionsstandards unterlaufen werden und Behörden bei der Kontrolle von Umweltsündern versagen. Eine Woche nach Erscheinen ließ die Partei den Film verbieten und aus dem Internet löschen. Allerdings hatten ihn bis dahin 200 Millionen Menschen aufgerufen, was "Under the Dome" mit Abstand zum erfolgreichsten Umweltfilm aller Zeiten macht.

Krieg gegen die Natur

Das zeigt, wie sehr sich Chinesen eine intakte Umgebung wünschen. Der Wunsch ist nicht selbstverständlich, über Jahrzehnte ist das Verhältnis der Bevölkerung zur Natur systematisch vergiftet worden. Nur ein Beispiel: Im Jahr 1958 folgten Schulklassen im ganzen Land dem Ruf der "großen Spatzen-Kampagne". Löffel an Töpfe schlagend zogen die Kinder in die Felder, scheuchten lärmend Spatzen auf und zwangen sie, so lange zu fliegen, bis sie vor Erschöpfung vom Himmel fielen. Die Eier in den Nestern zerstörten die Pioniere, nur, weil Diktator Mao glaubte, die Vögel würden dem Volk das Getreide wegfressen. Das Gegenteil war der Fall, ohne die Spatzen vermehrten sich Insekten ungebremst und fielen im Jahr darauf über die Ernten her. Diese und ähnliche Feldzüge lösten eine Hungersnot aus, die 20 Millionen Menschen das Leben kostete. Von den Spatzen ließ man dann ab, fand aber schnell andere Gegner in der Natur. Viele Millionen Chinesen wurden auf diese Weise indoktriniert und wuchsen mit der Vorstellung auf, die Natur sei der Feind, den es zu besiegen gilt.

Manche von denen, die damals gegen die Spatzen eiferten, sitzen heute an den Schalthebeln der Regierung - und tun sich zunehmend schwer, den Unmut über die versaute Umwelt zu ignorieren. "Der urbane Smog hat großes Protestpotenzial", sagt Jost Wübbeke. "Das treibt auch die ganze Entwicklung im chinesischen Klimaschutz." Daher schielt die chinesische Regierung bei Klimaverhandlungen stets auf die Heimat: Indem die Wirtschaft umweltfreundlicher wird, soll dem Protest zugleich die Luft genommen werden. Im besten Fall profitiert davon auch das Klima.

Doch was kann die Altherrenriege in Peking wirklich ausrichten, vorausgesetzt sie will den Wandel? Tatsächlich hat China bereits sehr strenge Umweltgesetze und Emissionsauflagen, sie werden auf lokaler Ebene nur nicht umgesetzt. "Die Berge sind hoch und der Kaiser ist weit weg" - diese in der Verwaltung weitverbreitete Ansicht macht Klimaschutz von oben schwierig. Schlauer wäre es, man würde die Chinesen selbst anstacheln, mehr zu tun. Dass ihr Tatendrang immens ist, beweist das seit drei Jahrzehnten andauernde Wirtschaftswunder in Fernost.

Die Gesellschaft wäre reif für ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem: 120 Millionen Chinesen fahren bereits auf Elektrofahrrädern und Elektrorollern durch die Städte, kleine elektrische Autos verzeichnen zweistellige Wachstumsraten. Eine neue urbane Mittelschicht sorgt sich um die Gesundheit ihrer Kinder und kauft biologisch produzierte Lebensmittel ein. Und immer mehr junge Akademiker wollen frisch von der Uni weg eine eigene Firma gründen und beispielsweise mit einer neuen Shopping-App reich werden. Möglicherweise müsste man diesen Entrepreneuren nur vermitteln, dass China mittlerweile auch beim Ausbau sauberer Technologien führend ist, dass sich damit also ebenfalls viel Geld verdienen lässt. Man bräuchte sich über das Schachern ihrer Regierung bei einem Klimagipfel keine Sorgen mehr machen.

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