Weltbevölkerung:Der große Umzug

Wenn es zu eng wird in Indien: So sähe die Welt aus, wenn die größten Völker in die größten Länder umzögen.

Alex Rühle

Nein, das ist keine demographische Tombola und auch nicht der feuchte Traum eines größenwahnsinnigen Reisebürobesitzers. Eher könnte man das Gedankenexperiment als geographischen Sozialismus bezeichnen: Der kanadische Blogger John Palmer fragte sich auf der Webseite reddit.com, wie unsere Welt aussehen würde, wenn die Nation mit den meisten Einwohnern den Staat mit der größten Fläche bekommt und man auch all die anderen Länder und Territorien rein nach demographischem Ranking verteilt.

Wenn Deutschland...

... und Saudi-Arabien auf Madagaskar: Klicken Sie, um die ganze Karte zu sehen.

(Foto: Infografik: SZ)

Die Chinesen würden Russland übernehmen, das leuchtet sofort ein, und die 1,2 Milliarden Inder würden sich in Kanadas Weiten bis hoch über den Polarkreis ausbreiten. Dass die US-Amerikaner bleiben dürfen, wo sie bislang schon waren, liegt nicht daran, dass sie mittlerweile allesamt zu fett zum umziehen wären. Vielmehr sind die USA sowohl, was die Bevölkerung als auch was die räumliche Ausdehnung angeht, das drittgrößte Land der Erde.

Bevor nun Bedenkenträger und Realpolitiker mit ihren so mannigfaltigen wie aktenordnergrauen Einwänden gegen ein solches Projekt kommen, sollte man das Ganze wenigstens mal für einen Moment auf sich wirken lassen. Wissen wir schließlich selber, dass sich die globale Umsiedlung von sechs Milliarden Menschen allein schon logistisch eher komplex gestalten würde. Und die Frage, wie man oberbayerische Milchbauern oder raue Nordseeküstenbewohner von den Reizen der saudi-arabischen Dünenlandschaft überzeugt, mag pars pro toto zeigen, welche titanische Überzeugungskraft die Politiker an den Tag legen müssten, um ihre jeweiligen Landsleute zum kollektiven Umzug zu bewegen.

Tirol am Himalaya

Aber schon geopolitisch hat das Projekt einige Vorteile: Wir Deutschen sind angesichts der Rohstoffverknappung eindeutig auf der Gewinnerseite, hocken wir doch plötzlich auf dem Öl und können mit Singapur und Kamerun neue Opec-Statuten erarbeiten. Auch die Österreicher haben Glück. Im Grunde ändert sich nichts für sie, schließlich bekommen sie mit Nepal wieder einen touristisch überlaufenen Handtuchstreifen in Hanglage zugewiesen.Südkorea darf aufatmen, weil es seinen gemeingefährlichen nördlichen Nachbarn los ist. Und, vielleicht am wichtigsten, Israelis und Palästinenser sind endlich getrennt.

Melancholische Malawier

Fragt sich freilich umgekehrt, und da fangen die Probleme dann an, wie die höflichen Esten den bisher vom Schicksal ja recht verwöhnten Luxemburgern beibringen sollen, dass die ab sofort im Gazastreifen und im Westjordanland hocken müssen. Ein ähnlich gelagertes Problem dürfte den Südafrikanern ins Haus stehen: Wie erklärt man stolzen Jamaikanern, dass sie nur mehr Homelandstatus haben? Die neoskandinavischen Länder Guatemala, Syrien und Malawi sollten auf Uruguay einwirken, dass es die vietnamesischen Grönländer in die Unabhängigkeit entlässt. Und Senegal, Nepal und der Jemen werden möglichst bald eine gemeinsame Linie im Kampf gegen die britischen und französischen Klimaflüchtlinge erarbeiten müssen.

Wenn man den Blick über diese Karte schweifen lässt, fragt mag sich, wer sich in der neuen Heimat am fremdesten fühlen mag. Die heiteren Malawier in den melancholisch verschneiten Wäldern Finnlands? Die Bangladeschis inmitten argentinischer Rinderherden? Die xenophoben Ungarn, die zwischen Kenia und Benin eingeklemmt sind? Die ordentlichen Schweizer, die sich im relativ unaufgeräumten Bangladesch wiederfinden? Oder ist das falsch gedacht und die Landschaften nebst jeweiligem Klima wirken derart massiv auf die kollektive Psyche der neu angesiedelten Bevölkerung ein, dass man sich die Malawier künftig als schweigsam schwarze Kaurismäkikäuze vorstellen muss?

Wie auch immer: Die EU ist noch weit bunter zusammengewürfelt als jetzt schon, und die drängendste Frage dürfte sein, ob Länder wie die Zentralafrikanische Republik, Nepal, der Jemen oder Guyana sich tatsächlich eine so marode Währung wie den Euro andrehen lassen wollen (apropos Euro: Dass die Griechen bis nach Neuseeland umziehen und die Portugiesen sich hinter den Anden verstecken, kann man vielleicht auch als schamhafte Absetzbewegung deuten).

Unangenehm an dem Experiment wäre nur, dass die globale Umsiedelei gar kein Ende mehr nehmen würde: Schließlich ändern sich die Bevölkerungszahlen alle paar Wochen. All die Europäer mit ihrem Minuswachstum müssten in immer kleinere Länder weichen, umgekehrt würden Staaten wie Niger, Guinea-Bissau und Afghanistan, in denen jede Frau im Durchschnitt mehr als fünf Kinder bekommt, alle paar Monate in ein größeres Land umziehen.

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