Welt-Tabak-Bericht der WHO:Tabak-Tote im Sekundentakt

Die WHO nennt sie "eine der größten Gesundheitskatastrophen der Menschheitsgeschichte": die "Tabak-Epidemie". Alle sechs Sekunden stirbt ein Mensch an ihren Folgen.

Nadeschda Scharfenberg

Es ist die größte Datensammlung, die es jemals über das Rauchen gegeben hat: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat für ihren Welt-Tabak-Bericht Zahlen aus 179 Ländern zusammengetragen, 99 Prozent der Weltbevölkerung sind von der Studie erfasst. Das Fazit des 330 Seiten starken Reports: "Tabak entwickelt sich zu einer der größten Gesundheitskatastrophen der Menschheitsgeschichte. Wir müssen jetzt handeln, um die weltweite Tabak-Epidemie einzudämmen und Millionen Leben zu retten." Die wichtigsten Daten und Schlussfolgerungen:

Raucher; AP

Dicke Luft in einer Diskothek.

(Foto: Foto: AP)

Wie tödlich ist das Rauchen?

Alle sechs Sekunden stirbt irgendwo auf der Welt ein Mensch an den Folgen des Tabakkonsums - in den meisten Fällen durch Krebs, Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen. Im 20. Jahrhundert hat das Rauchen hundert Millionen Menschen getötet, allein in diesem Jahr werden es vermutlich an die fünf Millionen sein - Tabak fordert also, so rechnet es die WHO vor, mehr Opfer als Tuberkulose, Aids und Malaria zusammengenommen.

Wenn sich nichts ändert, werden sich im Jahr 2030 acht Millionen Menschen zu Tode qualmen. Rechnet man die Zahlen auf das gesamte 21. Jahrhundert hoch, so könnte das Rauchen in diesem Zeitraum eine Milliarde Menschen das Leben kosten. In Deutschland ist derzeit nach verschiedenen Studien von 110.000 bis 140.000 Todesfällen pro Jahr auszugehen. "Tabak ist das einzige legal verfügbare Verbrauchsgut, das Menschen tötet, wenn es ganz wie vorgesehen benutzt wird", heißt es im Welt-Tabak-Bericht.

Warum steigen die Zahlen so stark an?

Die meisten Gesundheitsschäden, die durch das Rauchen verursacht werden, treten erst nach Jahren oder gar Jahrzehnten auf. Deshalb mahnt der Report: "Die Tabak-Epidemie hat gerade erst begonnen." Hinzu kommt, dass der Tabakkonsum weltweit ansteigt - vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Dies führt die Weltgesundheitsorganisation einerseits auf die dort wachsende Bevölkerung zurück, andererseits auf die verstärkte Werbung der Tabakindustrie in diesen Ländern. "Im Jahr 2030 werden mehr als 80 Prozent der Tabak-Toten aus Entwicklungs- und Schwellenländern stammen", prophezeit die WHO.

Ein weiterer Trend, den der Report mit Sorge betrachtet: Immer mehr Frauen greifen zur Zigarette. Traditionell konsumieren Frauen weniger Tabak als Männer - weshalb die Industrie diese Zielgruppe ganz besonders umwirbt. "Auf Frauen ausgerichtete Werbung mit attraktiven Models, Sponsoring und Spenden für frauen-spezifische Zwecke schwächen die kulturell bedingte Abneigung von Frauen gegen den Tabak-Genuss", analysiert die WHO. In den meisten europäischen Staaten rauchen schon genauso viele Mädchen wie Jungen. Für ärmere Länder wird eine ähnliche Entwicklung befürchtet.

Welche wirtschaftlichen Schäden richtet das Rauchen an?

Die Daten sind unvollständig und schwer zu überblicken. Außerdem sind viele Zahlen ziemlich hypothetisch, zum Beispiel wenn es darum geht, zu schätzen, wie viel Kaufkraft einer Gesellschaft verlorengeht, wenn Menschen frühzeitig sterben. Halbwegs verlässlich sind die Kosten, die den Krankenkassen durch das Rauchen entstehen. Allein in Deutschland sind das fünf Milliarden Euro jährlich. Das kürzlich erschienene "Jahrbuch Sucht" beziffert die gesamt-volkswirtschaftlichen Schäden für die Bundesrepublik auf mindestens 17 Milliarden Euro.

Tabak-Tote im Sekundentakt

In welchen Ländern leben die meisten Raucher?

Das ist schwierig festzustellen, denn die nationalen Studien, auf die sich die Weltgesundheitsorganisation beruft, erfassen ganz unterschiedliche Altersgruppen. So rauchen in China zum Beispiel 35,8 Prozent der 15- bis 69-Jährigen (bei den Männern sind es 66 Prozent), in Indien sind etwa 30 Prozent der 18- bis 49-Jährigen abhängig (57 Prozent der Männer).

In Deutschland hängen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 27 Prozent der über 15-Jährigen am Glimmstängel (Männer: 32 Prozent, Frauen: 23 Prozent). Aktuell qualmt jeder Bundesbürger, gerechnet vom Baby bis zum Greis, im Schnitt 1333 Zigaretten jährlich - das sind etwa 70 Schachteln. In der USA, im allgemeinen als die Nation der Ungesunden verschrien, sind nur etwa 23 Prozent der über 18-Jährigen Raucher. 41 der 179 WHO-Länder führen übrigens keinerlei Statistik über den Tabakkonsum in ihrer Bevölkerung.

Was unternehmen die Regierungen, um den Zigarettenkonsum in ihren Ländern einzudämmen?

Wenig, findet die WHO. Nur fünf Prozent der Weltbevölkerung sind durch umfassende Rauchverbots-Gesetze geschützt, in fast der Hälfte der Länder ist es dagegen noch erlaubt, in Schulen und Krankenhäusern zu qualmen. 95 Prozent der Menschen leben in Ländern, in denen es keinerlei Einschränkung für Tabakwerbung gibt, und nur neun Länder bieten ihren Bürgern ausreichend Möglichkeiten, ihre Sucht zu therapieren. Die Regierungen nehmen 500-mal mehr Geld aus der Tabaksteuer ein, als sie für die Bekämpfung des Rauchens ausgeben.

Wie sieht es in Deutschland aus?

Die Bundesrepublik bekommt von der Weltgesundheitsorganisation vergleichsweise gute Noten - vor allem, was die Warnung vor Gesundheitsschäden auf Zigarettenschachteln betrifft: Die Etiketten werden als plakativ, eindeutig und auffällig gelobt. Was die WHO allerdings gerne sähe, wären abschreckende Bilder von Raucherlungen, geschädigten Embryos oder braunen Zahnstummeln auf den Schachteln. Auch bei den Hilfen für Raucher, die ihre Sucht besiegen wollen, sieht es gut aus. Schlecht steht die Bundesrepublik beim Tabakwerbeverbot und beim Nichtraucherschutz da - allerdings sind die Daten für den Report gesammelt worden, bevor es Rauchverbote in Restaurants und Kneipen gab.

Welche Maßnahmen schlägt die WHO gegen die "Tabak-Epidemie" vor?

Am wirkungsvollsten sei es, Rauchwaren höher zu besteuern. Das Beispiel Deutschland gibt der WHO Recht: Fünfmal wurde die Tabaksteuer zwischen 2002 und 2005 erhöht - die Zahl derer, die aus Geldgründen das Rauchen aufgegeben haben, hat sich nach Angaben des Gesundheitsministeriums seither fast verdoppelt. Die WHO fordert außerdem Werbeverbote, Warn-Etiketten und Hilfsprogramme für potentielle Aussteiger aus der Sucht. Generaldirektorin Margaret Chan sagt: "Jedes Land der Erde kann mehr tun."

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