Welt-Aids-Tag:"Wir bekommen Seuchen nicht richtig in den Griff"

Aids steht für eine Reihe Krankheiten, bei denen Vorsorge möglich, aber nicht selbstverständlich ist. Seuchenexperte Stefan Kaufmann über die Gründe.

Berit Uhlmann

"Ich sehe HIV als die bedrohlichste Pandemie der letzten Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte", sagt Stefan Kaufmann, Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin. Im Gespräch mit sueddeutsche.de erläutert er, warum der Kampf gegen die Krankheit so schwer ist.

Aids, AFP

Fehlende Vorsorge, resistente Erreger: Aids hat nichts von seiner Gefährlichkeit eingebüßt.

(Foto: Foto: AFP)

sueddeutsche.de: Vor einigen Tagen berichteten die UN im neuen Welt-Aids-Bericht von einem weiteren Rückgang der HIV-Neuinfektionen. Besteht Grund zu Optimismus?

Stefan Kaufmann: Es gibt in der Tat einige Hoffnungsschimmer. Die weltweiten Zahlen zeigen, dass Präventions- und Therapiemaßnahmen Erfolg haben. Dies sollte uns Ansporn sein, aber auf keinen Fall Grund zur Zufriedenheit oder gar Nachlässigkeit.

sueddeutsche.de: Erfolge in der Aidsbehandlung sind vor allem auf verbesserte Medikamente zurückzuführen. Doch die HI-Viren werden zunehmend resistent. Wie groß ist die Gefahr?

Kaufmann: Die Situation ist dramatisch. Ein HIV-Infizierter muss lebenslang behandelt werden. Doch je länger die Behandlung dauert, desto größer sind die Risiken, dass sich eine Resistenz entwickelt. Dies gilt vor allem bei den Patienten, die nur ein oder zwei Aids-Medikamente einnehmen, wie es in den ärmeren Ländern meist der Fall ist. Bei bis zur Hälfte aller so behandelten Kranken werden die Erreger resistent. Geringer ist die Gefahr bei denen, die einen Medikamentencocktail aus fünf oder mehr Arzneien bekommen. Bei ihnen drohen Resistenzen allerdings, wenn sie ihre Medikamente unregelmäßig einnehmen, was leider immer wieder vorkommt.

sueddeutsche.de: Anders als bei vielen anderen Krankheiten gibt es bei Aids einen preiswerten und risikoarmen Schutz: Kondome. Warum funktioniert er vor allem in den ärmeren Ländern nicht?

Kaufmann: Kondome können sehr erfolgreich in der Aidsprävention sein. In einigen Ländern, wie Thailand, werden Kondome besser akzeptiert, in den Ländern Afrikas dagegen weniger. Hier spielt oft der Machtanspruch der Männer über die Frauen eine Rolle. Vielerorts sind die Menschen auch immer noch nicht genügend über die Gefahren von HIV aufgeklärt.

sueddeutsche.de: Mangelnde Aufklärung scheint allerdings nicht auf Aids und nicht auf Entwicklungsländer begrenzt zu sein. Auch in Westeuropa gibt es immer wieder Vorbehalte gegen Präventionsmaßnahmen. Abneigung gegen Impfungen ist nur ein Beispiel. Warum ist es so schwer, Menschen zur Vorsorge zu animieren?

Kaufmann: Es stimmt: Auch hierzulande täte mehr Aufklärung gut. Bei Impfungen beispielsweise denken die meisten Leute erst einmal an sich selbst und vergessen, dass die Prävention auch die Gemeinschaft schützt. Ich bin zudem der Meinung, dass die Medizin grundsätzlich zu sehr krankheitsfokussiert ist. Erst in letzter Zeit sehen wir ein gewisses Umdenken: Prävention kann einen wichtigen Beitrag zur Krankheitsbekämpfung leisten.

Was HIV und H1N1 gemeinsam haben, lesen Sie auf der folgenden Seite.

HIV und H1N1

sueddeutsche.de: Wie schwer Vorsorgemaßnahmen zu vermitteln sind, erleben wir beispielsweise an der aktuellen Diskussion zur Schweinegrippe ...

Welt-Aids-Tag: Stefan Kaufmann ist Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin.

Stefan Kaufmann ist Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin.

(Foto: Foto: oH)

Kaufmann: Das stimmt, dabei waren wir bei H1N1 in einer viel günstigeren Lage. Durch die Sorge über die Vogelgrippe gab es bereits eine große Aufmerksamkeit für die Gefahr von Influenza-Erkrankungen. Die Schweinegrippe wurde sehr schnell erkannt. Aids dagegen konnte sich erst mal überall auf der Welt einnisten, bevor es bemerkt wurde.

sueddeutsche.de: Wie konnte das passieren?

Kaufmann: Der Aids-Erreger ist so etwas wie ein Untergrundkämpfer, der sich getarnt einschleicht, im Infizierten weiter verändert und erst später, nachdem schon viele weitere Menschen angesteckt sind, die Krankheit hervorruft. H1N1 führt dagegen eher eine Art Blitzkrieg. Im einzelnen Patienten ist das eher banal. Auf Bevölkerungsebene ist allerdings auch H1N1 recht trickreich. Alle Grippeviren können sich in Menschen verändern, so dass eben aus dem H1N1, das derzeit eher milde Verläufe hervorruft, ein aggressiverer Vertreter entstehen kann. Das hat uns die Spanische Grippe 1918 vorgemacht.

sueddeutsche.de: Lassen sich Epidemien denn überhaupt noch eindämmen?

Kaufmann: Solange unsere Welt globalisiert ist und die Menschen über Kontinente hinweg reisen, gleichzeitig aber die Lebensbedingungen der Menschen äußert ungleich sind, können wir Infektionskrankheiten nicht richtig in den Griff bekommen.

sueddeutsche.de: Was wäre für eine effektive Seuchenkontrolle nötig?

Kaufmann: Wir brauchen Frühüberwachungssysteme, insbesondere an zwei Punkten: Erstens, dort wo Menschen in engem Kontakt zu Tieren, vor allem Primaten leben. Der enge Kontakt zwischen Affen und Menschen war ja auch der Auslöser der Aids-Epidemie. Zweitens brauchen wir mehr Überwachung in der industrialisierten Tierzucht. Die katastrophalen Bedingungen in der Massentierhaltung fördern vor allem die Entstehung neuer Grippevirustypen. Schließlich sind Grippeviren ursprünglich Erreger von Krankheiten bei Wasservögeln. An diesen zwei Schnittstellen müssen wir Systeme aufbauen, die neue Erreger schon während ihrer Entstehung erkennen können.

sueddeutsche.de: Wie könnte das konkret aussehen?

Kaufmann: Wir müssen die Mikroflora in Tieren genauer erfassen und darauf achten, ob und wie sich potentielle Erreger entwickeln. Derzeit versuchen beispielsweise Spuma-Viren und Nipah-Viren Menschen vom Affen aus zu entern. Solche Entwicklungen müssen wir sorgsam beobachten. Die Mokekularbiologie hat die Möglichkeiten dazu. Es sind bereits hochsensitive Detektionssysteme - vor allem im Rahmen der Biowaffenabwehr in den USA - entwickelt worden, die zum Beispiel in Flughäfen "schnüffeln", ob Erreger auftauchen. Solche Entwicklungen können auch zur Erfassung natürlicher Entwicklungen eingesetzt werden.

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