Neurowissenschaften:Du kannst mich Affe nennen

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"Halloooo": Einer der untersuchten Weißbüschelaffen. (Foto: David Omer's Lab)

Weißbüschelaffen geben einander eine Art Namen, was man sonst nur von Elefanten, Delfinen und Menschen kennt. Was das über das Wesen der Tiere aussagt.

Von Alexandra Ketterer

Die Fähigkeit, sich untereinander gezielt anzusprechen, beobachteten Forscher bislang in der Tierwelt nur bei Elefanten und Delfinen – und bei Menschen, versteht sich. Nun zeigt eine aktuelle Studie, die im Journal Science veröffentlicht wurde, dass auch Weißbüschelaffen einander mit einer Art Namen rufen. „Bei all diesen Arten handelt es sich um hochgradig kooperative Arten, die sich zusammen um den Nachwuchs kümmern“, sagt Judith Burkart, Evolutionsanthropologin an der Universität Zürich. Das könnte durchaus mit dem „Sprachtalent“ der Tiere zusammenhängen.

Die Äffchen leben in eng verbundenen Familiengruppen und verbringen ihr Leben im dichten Blätterdach des Regenwaldes. Um sich über weite Distanzen hinweg zu orten, nutzen Weißbüschelaffen schrille Pfiffe, sogenannte „Phee-Rufe“. Die Rufe enthalten Informationen über die Identität des Rufenden, das Geschlecht und den eigenen Rang in der Gruppe. Was die neue Studie zeigt: Die Rufe enthalten nicht nur Informationen über den, der sie abgibt, sondern auch über den Empfänger.

Jede Familie hat ihren eigenen Dialekt

„Es handelt sich eher um eine identifizierende Intonation, als um einen Namen“, erklärt Jean Laurens, Neurowissenschaftler vom Ernst-Strüngmann-Institut in Frankfurt. Die Weißbüschelaffen würden sich quasi ein „Hallo!“ zurufen, und je nachdem an wen die Begrüßung gerichtet ist, klingt das etwas anders. Die Intonation, die einem Äffchen zugeordnet ist, übernimmt die gesamte Weißbüschelaffenfamilie. Den Vater begrüßen zum Beispiel alle mit „Halloooo!“, die Mutter mit „Hallo hallo!“ und die Schwester „Hey Hallo!“, erklärt Laurens.

„Die Tatsache, dass diese Rufe wirklich an ein bestimmtes Gruppenmitglied gerichtet sind, ist ein Beweis dafür, dass es eine echte Kommunikation gibt“, sagt der Neurowissenschaftler. Sie rufen nicht einfach ins Nichts, sondern sprechen sich direkt an. Die Forscher der Studie beobachteten, dass die Äffchen eher auf Rufe reagieren, wenn sie es sind, die gerufen werden. Sie scheinen daher in der Lage zu sein, zu erkennen, wann sie gemeint sind. Die Rufe innerhalb einer Familie klingen dazu ähnlicher. „Jede Weißbüschelaffenfamilie entwickelt ihren eigenen Dialekt“, sagt Laurens. Die Forscher gehen davon aus, dass die Äffchen vokales Lernen betreiben, indem sie die Rufe anderer Gruppenmitglieder imitieren.

Büschelaffen haben sich von den Vorfahren des Menschen vor etwa 35 Millionen Jahren getrennt. Dennoch weisen sie in ihrer Sozialstruktur Ähnlichkeiten mit dem Menschen auf, bemerken die Forscher in der Studie. Das deute darauf hin, dass Weißbüschelaffen in der sozialen Evolution mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert waren wie unsere Vorfahren. Das könnte sie dazu veranlasst haben, ähnliche Gehirnmechanismen zu entwickeln, die die soziale Kognition unterstützen und es ihnen ermöglichen, sich in ihrer sozialen Welt zurechtzufinden.

„Die wirklich interessante Frage, die über das Verhalten von Weißbüschelaffen hinausgeht, ist, welche Gehirnschaltungen der stimmlichen Kommunikation und der Identität zugrunde liegen“, sagt Laurens. „Jetzt erkennen wir, dass es neben der motorischen Aktion und der auditiven Verarbeitung auch eine soziale Komponente gibt.“ Die Äffchen haben nicht die Fähigkeit, zu sprechen und Sätze zu bilden, so wie Menschen das tun. Stattdessen nutzen sie verschiedene Rufe, je nachdem in welcher Situation sie sich befinden. Aber: „Die Gehirnschaltkreise von Säugetieren und Menschen sind im Wesentlichen die gleichen“, erklärt Laurens. Die Erforschung des Äffchengehirns sei ein guter Weg, um das menschliche Gehirn zu verstehen.

Bevor jedoch weitreichende Schlussfolgerungen gezogen werden können, brauche es ein besseres Verständnis von der Funktion der Kommunikation der Äffchen, sagt die Forscherin Burkart. Um Vergleiche mit dem Menschen ziehen zu können, müsse erst klar sein, wofür genau welche Rufe verwendet werden und welche kognitiven Mechanismen zur Unterstützung dieser Verwendung erforderlich sind. Denn die vokale Kommunikation der Weißbüschelaffen sei erstaunlich komplex. „Wir kratzen im Moment nur an der Oberfläche“, sagt Burkart.

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