Weinbau:Die Tricks der Wein-Designer

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Auch in der Winzerei wird nichts mehr dem Zufall überlassen: Um die Komposition eines guten Weins zu vollenden, zerlegen Wissenschaftler die Partitur der Aromastoffe in ihre Einzeltöne.

Von Hubert Filser

Wenn man mit Rowald Hepp über Wein spricht, kommt keine trockene, akademische Diskussion auf.

Wenn Sekt gärt, bilden sich Alkohol und Aromastoffe im Inneren der Flaschen, Fässer oder Tanks. Die Winzer überwachen mit Barometern den Druck während der Lagerzeit. (Foto: Foto: Heinz Augé)

Dann sitzt man zum Beispiel im Innenhof von Schloss Vollrads im Rheingau, einen mächtigen Turm aus dem 14. Jahrhundert im Rücken, oben nistet ein Falkenpärchen, und Hepp bringt ständig neue Flaschen und Gläser. "Sie haben Glück", sagt er. "Gestern Abend haben wir erstmals selbst unsere Trockenbeerenauslese 2003 getestet. Probieren Sie mal!"

Rowald Hepp baut ausschließlich Riesling an. Das Weingut "Schloss Vollrads", das er leitet, wird von der Zeitschrift Capital zu den hundert besten der Welt gezählt. Und wäre man ausgebildeter Weinkoster, könnte man jetzt von Honig- und Ananastönen schwärmen oder auch die draufgängerische Jugendlichkeit des Rieslings Jahrgang 2004 loben.

Jedes Jahr schmeckt anders

Doch solche Gespräche brauchen Kennerschaft und Zeit. Was nämlich ist Wein, wenn nicht Zeit in Flaschen? Jedes Jahr schmeckt anders und den Charakter zu verfeinern, erfordert Erfahrung, Geduld - und offenbar auch Freude am Experiment.

Wenig später unten am Rhein, auf einem Feld der Forschungsanstalt Geisenheim sieht man 600 fast vollständig eingegrabene Mülltonnen. Vielleicht haben wir im Schloss zu viel Riesling probiert oder ist dieses Feld eine Kunstinstallation?

Nein, hier wird experimentiert, damit später die Note stimmt. Es sind forschende Künstler am Werk. Ihr Ziel ist das am schwersten definierbare Vorhaben, das es gibt: Geschmack zu erzeugen. Kaum eine Wissenschaft muss verschlungenere Wege gehen.

Denn die Geschmacksfrage beginnt schon am Hang: "Wir dürfen keine Fehler aus dem Weinberg in den Keller schleppen. Sonst ist man nur mit Korrekturen beschäftigt", sagt Rowald Hepp, der selbst in Geisenheim studiert hat. Deshalb geht er, sobald die Trauben wachsen, alle paar Wochen mit zwei Kollegen durch seine Weinberge, um die Früchte zu probieren.

Entschlüsselung des Geschmacks

Ein Weißwein hat 800 bis 1000 verschiedene Geschmackskomponenten, ein Rotwein oft mehr als 1000. Chemiker versuchen im Labor, diese Inhaltsstoffe aufzuschlüsseln. Dort hatten sie zuletzt UTA identifiziert, eine "Untypische Alterungsnote" - oder chemisch korrekt ausgedrückt: 2-Aminoacetophenon, kurz 2-AAP.

Spätestens hier finden Wissenschaft und Kunst zusammen. Wegen UTA nämlich stehen die Mülltonnen am Hang. Denn sie ist schuld daran, dass mittlerweile einige Riesling-Weine bei der amtlichen Qualitätsprüfung durchfallen. "Wir wollen hier im Versuch herausfinden, warum seit einigen Jahren bei deutschen Weißweinen der Rebsorten Riesling, Kerner und Müller-Thurgau mit zunehmendem Alter ein Fehlton auftaucht", erklärt Otmar Löhnertz, Fachmann für Bodenkunde und Pflanzenernährung.

Offenbar sieht der Forscher mit dem gemütlichen Vollbart sofort, dass man angesichts der gelben Mülldeckel inmitten der grünen Weinlandschaft des Rheingaus eher an Fehlfarben denkt. So erklärt er, dass die Tonnen nur dazu da seien, das komplizierte System Wein besser beobachten und gezielt beeinflussen zu können.

Pflanzenstress als Geschmacksfaktor

"Wir testen in den Mülltonnen, wie sich die Reben entwickeln, wenn wir in jeder Tonne Lichteinstrahlung, Nährstoffhaushalt oder Niederschlag gezielt variieren", sagt Otmar Löhnertz. "Als Ursache für die UTA vermuten wir nämlich Klimastress." Gestresst wird eine Pflanze etwa durch starke UV-Strahlung, durch hohe Temperaturen wie im Sommer 2003 und durch zu wenig Nährstoffe im Boden.

Die unerwünschte Geschmacksnote, die dadurch entstehen kann, bildet junger Wein wenige Monate nach der Gärung aus. In geringen Dosen ist eine solche UTA durchaus wohlriechend, fast fruchtig. Erst die hohe Dosis wirkt unangenehm. Nicht nur in deutschen Anbaugebieten tritt die Alterungsnote zurzeit auf.

Naturwissenschaftlich betrachtet hängt guter Wein im Wesentlichen von zwei Ausgangsfaktoren ab: vom Klima und vom Boden. Am Beispiel UTA lässt sich zeigen, was die Forscher darüber hinaus berücksichtigen müssen. Um herauszufinden, ob auch die Rebsorte Einfluss auf die UTA hat, pflanzten sie auch amerikanische Reben der Sorte "Niagara weiß" als Referenzgewächs in die Tonnen.

Winzer Rowald Hepp baut Riesling an. (Foto: Foto: Heinz Augé)

Diese Sorte ist dafür bekannt, sehr viel 2-AAP zu bilden. Bisher weiß man, dass stärkere UV-Strahlung die Häute der Trauben dünner macht. Weshalb UTA entsteht, ist den Forschern aber noch ein Rätsel. Winzer müssen also genau überlegen, welche Rebsorten zu ihren Anbaugebieten passen. Würde man einen Riesling in warmen Klimazonen pflanzen, etwa in Kalifornien oder Südafrika, würde er sehr viel weniger Aromastoffe entwickeln.

Deutschland zu kalt für Rotwein

Der Wein verliert dann seine fruchtige Frische. Rotweine haben es umgekehrt in Deutschland schwer, obwohl nach dem heißen Sommer 2003 die Diskussion neu entbrannt ist, ob nicht auch in nördlicheren Regionen ein kräftiger, voller Rotwein wachsen kann. "Einen guten Rotwein könnte ich vielleicht in zwei von zehn Jahren machen", sagt Rowald Hepp.

"Für unsere mineralischen Böden ist der Riesling optimal." Wie aber soll der perfekte Riesling schmecken? "Wir wollen die Fruchtigkeit der Rebsorte zeigen und andererseits die Vielschichtigkeit und Mineralität der Böden", sagt der 43-Jährige.

Und wie schmeckt ein Boden? Um diese Frage zu beantworten, müssen Weinmacher die Aromastoffe kennen, deren Entstehen durch den Boden und das jeweilige Mikroklima begünstigt wird. Kennt man solche Stoffe, kann man sie möglicherweise gezielt beeinflussen. Will ein Winzer Spitzenweine erzeugen, muss er den Ertrag reduzieren. Die Idee dahinter ist simpel: Die Aromastoffe aus dem Boden verteilen sich auf weniger Trauben, der Geschmack jeder einzelnen Beere wird dichter.

Beigabe von Ascorbinsäure

"Wir versuchen, die Fruchtaromen zu optimieren", sagt Otmar Löhnertz. Entblättert man beispielsweise Riesling-Rebstöcke stark, trifft mehr Licht auf die Trauben, mehr fruchtige Aromastoffe entstehen. Doch nicht nur im Anbau lassen sich Fehler vermeiden. Im unliebsamen UTA-Fall lässt sich zum Beispiel das 2-AAP reduzieren, indem man dem Traubenmost Ascorbinsäure beigibt.

Oft suchten Winzer bei ihm Rat, sagt Otmar Löhnertz, um solchen Gefahren besser begegnen zu können. "Vor allem Winzer, die nicht die wissenschaftlichen Analysemöglichkeiten in ihrem Weinkeller haben." In der Geisenheimer Forschungsanstalt sind in einem Seitentrakt diverse Analysestationen aufgebaut: Labore, voll gestellt mit Kästen, Elektronik und Monitoren. Man fühlt sich weit entfernt von der Weinromantik im Innenhof des Schlossguts.

Forscher spritzen Aromaextrakte der Weine in die Analysegeräte. In den großen, grauen Kästen, in denen sich als Herzstück eine 60 Meter lange, spiralförmig gewundene Glaskapillare verbirgt, wollen sie jede Nuance aufspüren. Gas schiebt die Aromastoffe durch den Trichter, die leicht flüchtigen Moleküle schneller, die weniger flüchtigen, die stärker an der Wand der Kapillare haften, langsamer.

Wie eine große Partitur

Das ist der Trick dieser Methode: Man trennt das Aromagemisch in Hunderte von Einzelkomponenten auf. Als würde man eine große Partitur in ihre Einzeltöne zerlegen. In laute und leise, in dominante und beiläufige. Nur dass hier nicht Musiker am Werk sind, sondern Chemiker.

Weil diese Einzelkomponenten nach der 60 Meter langen Strecke zeitlich verzögert die Glaskapillare verlassen, kann man sie auch getrennt in Trichter ausleiten. Dort bestimmen erfahrene Schnüffler die jeweilige Aromanote und belegen ein nüchternes Molekül mit einem sinnlichen Attribut. So lässt sich die chemische Analyse ideal mit dem Geruchstest kombinieren.

Für den spanischen Spitzenwinzer Carlos Moro vom Weingut Matarromera entwerfen Physiker des Lehrstuhls für Festkörperphysik der Universität Valladolid sogar eine elektronische Spürnase, die eine vollständige sensorische Analyse des Weins zulässt.

"Es geht nur um eine erste Geruchsprüfung, um die Arbeit zu beschleunigen", sagt Moro. "Dieses Gerät wird niemals einen erfahrenen Tester ersetzen." Es ist nur ein weiterer Baustein in einem komplizierten Gefüge, denn: "Wein zu machen, ist wie ein Puzzle, das man jedes Jahr neu zusammensetzt", sagt Rowald Hepp.

Der Markt diktiert

Allerdings erlaubt die Hightech auch den umgekehrten Weg: das künstliche Design von mehrheitsfähigem Geschmack. Auf den internationalen Massenmärkten scheint Persönlichkeit zunehmend weniger gefragt zu sein. Stattdessen regieren globale Trends, wie auch der vor kurzem angelaufene Dokumentarfilm "Mondovino" zeigt.

Sie werden geschaffen von Önologen wie dem Franzosen Michel Rolland, der als fliegender Weinmacher auf allen Kontinenten unterwegs ist. Oder von renommierten Weintestern wie dem Amerikaner Robert Parker.

Ein Winzer, dessen Weine in Parkers Magazin Wine Advocat positiv erwähnt werden, kann die Korken knallen lassen - so groß ist der Einfluss des Kritikers auf den Markt. Deshalb unterwerfen sich auch viele Weinbauern Parkers Vorlieben. Profitwillen dominiert hier, der Markt bestimmt den Geschmack, die Wissenschaft wird zum Handlanger.

Fruchtige Weine zur Zeit beliebt

Ein bisschen mehr Johannisbeernote hier, ein wenig Frische dort. Gerade sind fruchtige, leicht moussierende Weine mit hohem Kohlendioxidgehalt beliebt. Man kann sie erzeugen, indem man Wein in höheren, kühleren Lagen anbaut, oder später, indem man den Most bei kühleren Temperaturen vergärt.

Viele Winzer halten das Designen von Weinen nach Marktanforderung an sich schon für problematisch. Denn wo ist die Grenze? Sicherlich war sie überschritten, als vor kurzem Mitarbeiter einer Winzerei in Südafrika dem Wein Paprikaaroma beigemengt haben - es ist ein Sakrileg, mit weinfremden Aromastoffe zu panschen. Aber was ist vom Antrag amerikanischer Firmen zu halten, ihre starken Rotweine mit Wasser zu verdünnen, weil ihre Kunden so alkoholreiche Weine nicht mehr kaufen?

In Geisenheim ist man strenger, wenn es um die Grenze für Design-Weine geht: "Wenn man diese Entwicklung weitertreibt, gehen wir einer Coca-Colaisierung des Weins entgegen", sagt Klaus Schaller, Leiter der Forschungsanstalt.

Der Bauch entscheidet

Was ist dann gute Kunst? Sie setzt zunächst Wissen voraus: über Wachstumsbedingungen, Sonneneinstrahlung, Bodenbeschaffenheit, die Anfälligkeit für Krankheiten und Schädlinge. "Doch die wichtigsten Entscheidungen treffe ich nach meinem Bauchgefühl", sagt Rowald Hepp.

"Sie können keinen guten Wein ohne Kreativität machen." Carlos Moro, der Winzer aus Spanien, ergänzt: "Um Weine mit eigener Persönlichkeit zu schaffen, muss es etwas jenseits der Wissenschaft geben: Intuition." Nachvollziehbar für Nicht-Künstler sind allenfalls die Grundbegriffe. Das Aroma lässt sich mit der Reifung im Fass steuern und mit der Gärhefe.

Geheimnis der Gärung

Zwar ist die Gärung im Detail wissenschaftlich immer noch eine Art Black Box, ein Kunstgeheimnis. Doch die natürlich-logischen Prozesse stehen fest. Hefen wandeln Zucker in Alkohol und Aromastoffe um und haben großen sensorischen Einfluss. Steuern lässt sich aber nur die Schnelligkeit des Prozesses. In Geisenheim haben sie sogar einen Hefeatlas entwickelt, um den Winzern für jeden Geschmack und jeden Boden die richtige Hefe zu empfehlen.

Müssten sich die Winzer am Ende einem Millionengeschmack anpassen, warnt Klaus Schaller, "würde die klein strukturierte Branche, die von Authentizität lebt, das auf Dauer nicht überleben." Und was Authen- tizität bedeutet, kann ein einziger Abend lehren, draußen an einem Tisch mit vielen Gläsern und ein paar Flaschen Wein unter dem Turm von Schloss Vollrads.

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