Wein, so sagte einst Robert Louis Stevenson, sei Poesie in Flaschen. Diesem Ausspruch des schottischen Schriftstellers ist unbedingt zuzustimmen, wenn auch aus Gründen, die der Autor des Klassikers "Die Schatzinsel" nicht im Sinn hatte. Wer nämlich heute durch Kataloge von Weinhändlern blättert oder klickt, stößt dort auf eine eigene Form der Poesie. Eine kleine Verkostung gefällig? Dieser "südfranzösische Traumstoff", so jubelt etwa ein Händler über einen Wein, offenbare "unglaubliche Konzentration". Es "betören komplex dunkle Früchte die Nase". Und dann, Tusch, Fanfaren, "flirrt floral ein Windstößchen Lavendel und Lakritz heran", bevor "unergründliche Dichte" auftauche, "leicht herb die Zunge hinten rockend". Amen.
Da stellt sich die Frage, ob man diesen Wein auch trinken kann, oder ob hier stattdessen eine Gedichtinterpretation angesagt ist? So oder so: Für einen Wein, der sich derart lyrisch verströmt, können 65 Euro die Flasche doch keineswegs zu viel verlangt sein. Oder doch? Am Weinglas wie im Leben gilt: Wenn die Show stimmt, ist Begeisterung garantiert. Die Form überstrahlt den Inhalt, mit Lametta und Getöse lässt sich auch Mittelmaß zum Hochgenuss aufpumpen. Das wichtigste und wirkungsvollste Mittel der großen Show am Glas ist der Preis des Weines. Je teurer, desto besser muss der Tropfen schmecken, so lautet die Faustregel.
Ausschließlich vom Preis lässt sich der Gaumen nicht beeinflussen
Wie effektiv das Signal Preis wirkt, haben gerade wieder einmal Psychologen um Christoph Patrick Werner von der Universität Basel in einer Studie im Fachjournal Food Quality and Preference demonstriert. Die Probanden bewerteten in einer Verkostung vergleichsweise günstigen Wein als wohlschmeckender, wenn er mit einem überhöhten Fantasiepreis ausgezeichnet war. Immerhin: Andersherum wirkte der Preisschwindel nicht. Ließen die Psychologen teuren Spitzenwein zu vermeintlichen Discounterpreisen probieren, reduzierte das den empfundenen Genuss nicht. Ausschließlich vom Preis lässt sich der Gaumen also auch nicht beeinflussen.
Ob teurer Wein seinen Preis auch wert ist, wurde bereits in zahlreichen süffigen Studien untersucht. In einer der bekanntesten durften Weinliebhaber mehr als 500 Weine blind verkosten, also ohne weitere Informationen als den reinen Geschmack. Dabei zeigte sich, dass zwischen dem Preis und dem erlebten Genuss zumindest für Laien ein negativer Zusammenhang bestand, wenn auch nur ein kleiner: Die teuren Tropfen kamen im Schnitt etwas schlechter weg als die im Vergleich günstigeren. Lediglich Weinprofis bewerteten in dieser Studie die Sache anders und gaben hochpreisigen Weinen in der Blindverkostung im Schnitt auch bessere Bewertungen.
Auch Degustationslyrik wirkt sich positiv auf das Genusserlebnis aus, dazu existieren ebenfalls Untersuchungen: Ein paar klingende Worte auf dem Etikette (intensiver Duft nach Wildkirschen!), und die Gaumen der Trinker werden es danken. Aber bevor sich nun alle Spötter über das Château-Tralala-Gehabe der Rebsnobs lustig machen: Kunden ticken natürlich generell so. Was teuer ist, gilt automatisch eher als gut, egal um welches Produkt es sich handelt.