Produktion von Wein:Château Molekül

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Dank moderner Analysemethoden, spezialisierter Reinzuchthefen und Edelstahltanks ist es heute leicht, guten Wein für wenig Geld herzustellen.

Text: Sebastian Herrmann, Fotos: Thomas Pothmann

Es klingt ketzerisch. Doch es ist heute sehr leicht, guten Wein zu kleinen Preisen zu kaufen. Wie kann das sein, das widerspricht doch allem Getue und Gehabe, das rund um Wein veranstaltet wird? Das kann sein, weil die Wissenschaft so enorme Fortschritte erzielt hat, und Winzer dieses Wissen anwenden. Wer also erfahren möchte, warum günstiger Wein heute schmecken kann, der landet zum Beispiel vor der riesigen Waage aus Edelstahl im Kelterhaus der Genossenschaft Weinbiet in Neustadt an der Weinstraße. Wenn die Winzer dort zur Lesezeit im Herbst die geernteten Trauben in den etwa vier Meter breiten Trog schütten, ermittelt die Technik nicht nur das Gewicht. In der Kanzel über der Waage bekommt der Wiegemeister auch direkt Auskunft über die Qualität des Lesegutes. Ein Gerät namens Grape Scan untersucht die Früchte mittels Infrarotspektroskopie. Bevor jede Charge automatisch aus dem Edelstahlbehälter über dicke Rohre zum nächsten Verarbeitungsschritt transportiert wird, bestimmt die Messtechnik eine ganze Reihe von Qualitätsparametern. Selbstverständlich wird der Zuckergehalt ermittelt, aber auch das Verhältnis der verschiedenen Zuckerarten in den Trauben geprüft, Säurewerte gemessen oder analysiert, wie viel Stickstoff enthalten ist.

"Das ermöglicht uns eine objektive Einschätzung der Traubenqualität", sagt Bastian Klohr, Geschäftsführer der Winzergenossenschaft. "Dann wissen wir gleich, welche Nährstoffe bei der Gärung vielleicht nötig sind und welche nicht." 70 Winzer organisieren sich in der Genossenschaft. Gemeinsam bewirtschaften sie etwa 325 Hektar Rebfläche und produzieren um die drei Millionen Liter Wein pro Jahr. Wenn aber 70 Winzer zig Rebsorten in zig verschiedenen Parzellen anbauen, dann muss es ein Instrument geben, das zuverlässig die Qualität der Ernte beurteilt. Wie sonst sollen die Trauben zu ordentlichen Weinen vergoren werden, wenn die Kellermeister nicht wissen, womit sie arbeiten? Das gleiche Problem müssen internationale Großkonzerne lösen, die ihre Trauben von zig Betrieben einkaufen - und eine Weinmenge herstellen, gegen die drei Millionen Liter nur ein Tropfen im Weinglas sind.

Analysetechniken wie die Infrarotspektroskopie stellen nur eine kleine Zutat dar, die günstige, gute Weine ermöglichen. "Der Konsument bekommt heute fast nur noch ordentliche Weine", sagt Randolf Knauer, Professor für Weinbau und Önologie an der Forschungsanstalt Geisenheim. "Wenn man bei den Discountern gelistet werden will, dann muss man einwandfreie Qualität in großen Mengen abliefern, sonst fliegt man sofort aus dem Sortiment." Wer heute zum Beispiel einen trockenen Weißburgunder oder Sauvignon blanc für 2,49 Euro beim Discounter kauft, erhält ein fehlerfreies Produkt. Der Wein begeistert wahrscheinlich kaum jemanden, aber er enttäuscht auch nicht. Jenseits der Einstiegsware bieten die Discounter teils erstaunliche Qualitäten und bewerben diese mit dem Geklingel des Weinwesens: Die Weine tragen Punkte des US-Wein-Gurus Robert Parker, Bewertungen des Magazins Falstaff, des italienischen Weinführers Gambero Rosso oder werben mit guten Noten anderer Kritiker. Ein echter Fehlgriff ist da selten.

"Die Forschung hat uns sehr exaktes Wissen über die Stellschrauben gegeben, mit denen guter Wein gemacht wird", sagt Klohr, der früher am Weincampus Neustadt geforscht hat, einem Wissenschafts- und Ausbildungsinstitut mit angeschlossenem Weingut. Die vielen Erkenntnisschnipsel werden direkt in die Praxis überführt - neues Wissen zur Mikrobiologie des Weins, zur Auswirkung der Weinbergsarbeit auf die Aromen in der Flasche, aber auch zur Mechanisierung im Weinberg.

Nur wenn der Grape Scan im Kelterhaus der Winzergenossenschaft Weinbiet enttäuschende Werte für eine Charge Trauben meldet, dann lässt sich daraus im Keller selbst unter Einsatz modernster Verfahren kein guter Wein mehr zaubern. "Der Schwerpunkt ist immer die Weinbergsarbeit", sagt der Spitzenwinzer Philipp Kuhn, der im nahen pfälzischen Laumersheim seine Weine in sehr viel geringerer Menge erzeugt. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Binsenweisheit, doch wie spezifisch im Weinberg bereits ein Geschmacksprofil verfolgt werden kann, das ist alles andere als banal.

Die weiße Rebsorte Sauvignon blanc reagiert zum Beispiel besonders gut auf Eingriffe im Weinberg. Nehmen die Winzer während der Reifung Blätter am Rebstock ab, sodass die Trauben viel Sonne abbekommen, bilden sich Carotinoide in den Früchten. "Diese dienen den Pflanzen als Sonnenschutz", sagt der Önologe Ramón Mira de Orduña Heidinger von der Hochschule für Weinbau Changins im schweizerischen Nyon. Bei der Gärung bauen sich die Carotinoide unter anderem zu Thiolen ab, das sind aromarelevante Stoffe, die dem Wein frische, fruchtige Noten geben, die an exotische Früchte erinnern. In Neuseeland setzen Winzer darauf, dem Sauvignon blanc diesen Charakter zu verleihen, dafür sind ihre Weine bekannt. In Frankreich, wo die Rebsorte herstammt, streben Winzer nach einem anderen Ergebnis: Sauvignon blanc soll dort eher grasig schmecken, eher an grüne Paprika erinnern. Das lässt sich erreichen, wenn nicht zu viele Blätter entfernt werden und die Trauben beschattet reifen.

"Heute kann ich meine Vorstellung darüber, was ich erzielen will, ziemlich gut umsetzen", sagt Bastian Klohr. Der Anfang 30-Jährige dreht für seinen Sauvignon blanc an einer weiteren Schraube: In manchen Parzellen der Winzergenossenschaft lässt er die Blätter abschneiden, in anderen wachsen die Trauben beschattet. Im Keller verarbeitet Klohr die Ernte in getrennten Stahltanks - und führt den fruchtigen und den grasigen Sauvignon blanc am Ende wieder zu einem Wein zusammen. Je nachdem, welche Qualitäten er erzielt und wie beide Varianten zusammenpassen. Das Mischungsverhältnis variiert jedes Jahr: Auf diese Weise können Winzer den Standard ihrer Weine über die Jahre leichter konstant halten, egal ob der Sommer nass und kalt war wie im Jahr 2013 oder heiß und trocken wie 2015. "Konsumenten sind heute verlässliche Produkte gewöhnt", sagt Klohr, "Nutella schmeckt eben immer nach Nutella." Das zwingt auch Winzer, konstante Qualität zu produzieren.

Die Arbeit im Weinberg leisten heute oft Maschinen, die zum Beispiel die Ernte erledigen. "Die Vollernter sind nicht schlechter als die Handlese", sagt Ulrich Fischer, Professor für Önologie und Sensorik am Weincampus Neustadt. Unter manchen Bedingungen leisten sie gar bessere Arbeit. In Australien ernten die Maschinen vor allem nachts, tagsüber kann es zur Lese mehr als 30 Grad Celsius warm sein. Die Hitze setzt den Trauben zu, in den Früchten beginnen Bräunungsreaktionen, Aromastoffe oxidieren und im Kelterhaus muss viel Energie eingesetzt werden, um die Beeren zu kühlen. Fahren die Maschinen aber nachts über die Weinberge, liegen die Temperaturen bei etwa zwölf Grad. Die Beeren verlieren auf dem Transport ins Kelterhaus weniger Aromastoffe. Die Handlese funktioniert nachts hingegen kaum.

"Das garantiert konstante Qualität und drückt den Preis", sagt Fischer, "nur klingt das alles sehr unromantisch und technologisch." Genau das ist das Problem: Man hat als Weintrinker ja eine verquer-romantische Vorstellung vom Winzerwesen, die sich aus Landschaftsbildern zusammensetzt, die mit Weichzeichner im Gegenlicht aufgenommen wurden. Der Winzer aus diesen Fantasien könnte auch als Hauptdarsteller in französischen Wohlfühlkomödien auftreten. Um seinen Wein zu komponieren, lauscht er in den Boden, spürt der Natur nach und lässt sich von keinen Moden verbiegen. Etwa so.

Erntemaschinen, Infrarotspektroskopie und Edelstahlwaagen passen leider nicht so diese verklärten Vorstellungen vom glücklichen Winzer. Selbst die Keller kleiner Spitzenerzeuger verbreiten wenig Romantik. Bei Philipp Kuhn in Laumersheim kniet ein Mitarbeiter in Handwerkerarbeitskluft und Gummistiefeln zwischen Barrique-Fässern. Darin reift Rotwein, aber im Moment steckt eine Bohrmaschine im Fass. Das Gerät hat einen Quirl aufgesetzt, in etwa so einen, den man im Baumarkt kauft, um Zement zu vermischen. Im Rotweinfass wirbelt der Bohrmaschinenquirl noch einmal alles auf: Ein erwünschter Fermentationsprozess mag nicht recht einsetzen. Manchmal braucht der Wein ein paar Schubser. Am Ende wird daraus ein fantastischer Spitzenwein. Nur Hochglanz-Romantik erzeugt die Bohrmaschine nicht, das ist halt so. Auch unwahrscheinlich, dass sich die Wein-Lyrik der Fachmagazine und Händler auf die Bohrmaschine beziehen wird, obwohl ihr Einsatz wichtig ist.

Die Schritte auf dem Weg zum fehlerfreien, reintönigen Wein zum fairen Preis waren meist klein und manche klingen banal: "Die Hygiene ist in den vergangenen Jahrzehnten enorm verbessert worden", sagt Monika Christmann, Leiterin des Instituts für Önologie in Geisenheim und Präsidentin der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV) in Paris. Unerwünschte Mikroorganismen fühlten sich früher im Holz der Fässer wohl, in denen alle Weine vergoren wurden. Besonders die Einführung hochwertiger Edelstahltanks trug dazu bei, dass weniger Fehlaromen durch eingeschleppte Mikroorganismen den Wein verhunzten.

Wie dreckig die Vergangenheit sein konnte, davon zeugt ein kleiner Behälter mit Alkohollösung, der auf dem Schreibtisch des Önologen de Orduña Heidinger in Nyon steht. In der Flüssigkeit schwimmen Schmeißfliegen. Die Insekten stammen aus einer gut 250 Jahre alten Flasche Wein, die bei Ausgrabungen in Frankreich entdeckt worden ist. Der Korken war unbeschädigt, die Fliegen müssen also mit dem Wein in die Flasche gekommen sein. "Der Wein war widerlich", sagt de Orduña Heidinger, "fäkal, ranzig, schwefelig, sämtliche scheußlichen Geschmäcker, die Mikroorganismen über die Zeit produzieren können."

Ein Extrembeispiel, natürlich. Doch auch in anderen alten Weinen finden sich Rückstände primitiver Kellertechnik: Im Fachmagazin PNAS berichteten Wissenschaftler in diesem Sommer, dass 170 Jahre alter Champagner, der auf dem Grund der Ostsee gefunden wurde, stark mit Eisen- und Kupferrückständen belastet war. Die modernen Edelstahltanks geben hingegen keine Rückstände ab. Auch die Saftpressen im Keller arbeiten längst schonender. Es wird alles unternommen, dass die Kerne in den Beeren nicht verletzt werden. "Das trägt sonst zu viele Phenole in den Wein, und diese Gerbstoffe hinterlassen dann ein bitteres Aroma", sagt Christmann.

Wenn der Most dann in die Gärtanks gefüllt wird, haben Winzer oder Kellermeister auch dank moderner Analysetechnik eine genaue Vorstellung davon, welche Hefe sie nutzen werden. "Eine Hefe braucht bei der Gärung bis zu 40 Mikro- und Makronährstoffe", sagt Christmann. Wenn die Analyse ergibt, dass im Most ein wichtiger Nährstoff fehlt, dann wird während der Gärung etwas zugegeben: zum Beispiel Diammonphosphat, eine Aminosäure, die auch als Dünger eingesetzt wird.

Insbesondere große Betriebe setzen auf Reinzuchthefen, das reduziert das Risiko, dass die Gärung misslingt. Auch das klingt technisch. "Aber das sind einfach Hefen, die sich im Keller schon einmal bewährt haben und deshalb gezielt vermehrt werden", sagt Fischer. Sie bringen besondere Fertigkeiten mit: Die Hefe "Assmannshausen" etwa verleiht dem oft blassen Spätburgunder ein etwas kräftigeres Rot. Andere Hefestämme setzen besonders viele Thiole frei, die frische, fruchtige Aromen liefern - aber nur für Weine taugen, die jung getrunken werden, weil diese Stoffe nicht sehr lange stabil bleiben. Wollen Winzer lagerfähige Weine, dann wählen sie Hefen, die Vorläufermoleküle bilden, aus denen sich erst während der Lagerung langsam Aromen bilden. "Die meisten Weine werden heute aber jung getrunken, und die meisten Kunden mögen die fruchtbetonten Weine", sagt Fischer. Die Fruchtigkeit eines Weins lässt sich auch über die Temperatur bei der Gärung steuern: Je kühler, desto langsamer arbeitet die Hefe und produziert regelrechte Fruchtbomben. "Das ist, als würden Sie den Kopf in einer Obstschale vergraben", sagt Kuhn. Bei höheren Temperaturen verflüchtigen sich viele dieser Aromastoffe mit dem Kohlendioxid aus dem Tank.

Manchmal ist auch etwas Reinzuchthefe nötig, um eine etwas träge Spontangärung anzuschubsen. Philipp Kuhn überlässt meistens den Mikroorganismen sowie Hefen aus dem Weinberg und dem Keller die Arbeit. So wie früher, als die Winzer noch keine Hefen kaufen konnten und die alkoholische Gärung eben von alleine einsetzte. Ein Weinkeller ist schließlich nicht steril. Nur manchmal haut das nicht so gut hin, wie bei dem Grauburgunder im Kuhnschen Keller. Ein steile Treppe führt in einen Raum hinab, in dem es warm und feucht ist. In einem der etwa 20 Edelstahltanks geht es rund: Es blubbert kräftig aus der Gärpfeife. Das ist eine Art Siphon, ein gebogenes Rohr, das mit einer Flüssigkeit gefüllt ist. So kann das Kohlendioxid aus dem Tank entweichen, das sich bildet. Der Grauburgunder wollte erst nicht so recht gären. "Der Most war bockig", sagt Kuhn. Der Winzer hat deshalb noch einmal nachgeholfen und eine gärfreudige Sekthefe zugesetzt. Wenn es die Natur nicht alleine richtet, dann kann ein undogmatischer Winzer heute eingreifen.

Dennoch bleibt Wein komplex und ordnet sich nicht zu 100 Prozent dem Willen des Winzers unter. In Geisenheim steht Monika Christmann in einem nüchternen Raum vor sechs baugleichen Edelstahltanks. Darin setzen die Forscher gelegentlich sechs Portionen des identischen Mostes mit der jeweils exakt gleichen Menge derselben Hefe an. "Und jedes Mal unterscheiden sich die sechs Weine", sagt Christmann. Warum? "Wir fliegen zum Mond, aber wir können trotzdem noch keine Gärung exakt vorhersagen." Doch selbst wenn eine Gärung im Detail sogar bei Einsatz modernster Technik zu einem gewissen Grad unbeherrschbar bleibt, eines können Winzer und Kellermeister mit hoher Zuverlässigkeit: reintönige, technisch saubere Weine zu fairen Preisen herstellen.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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