Weibliche Herrschaft:Das strenge Regiment der Mütter

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Bei den Tüpfelhyänen haben die Weibchen die Macht. Missliebige Verehrer schicken sie gezielt in die Wüste - dadurch vermeiden sie effektiv Inzucht.

Monika Offenberger

Weibchen sind bei den Tüpfelhyänen sozial höher gestellt als Männchen. An der Spitze jedes Clans steht ein Alpha-Weibchen, auch die nächsthöheren Plätze sind von Geschlechtsgenossinnen besetzt. Die Männchen machen auch eine Rangfolge aus - doch selbst ihr Primus ist schlechter gestellt als das sozial niedrigste Weibchen. Gewöhnlich machen die Männchen daher einen Bogen um die Weibchen. Gelegentlich wird einer von ihnen jedoch unmissverständlich eingeladen. "Dann läuft das Weibchen dem Männchen hinterher und will sich paaren", sagt Oliver Höner, Evolutionsbiologe vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW).

Eine Hyänenmutter und ihr Junges: Die Macht ist weiblich. (Foto: Foto: dpa)

Mit Kollegen beobachtet Höner seit zehn Jahren die Tüpfelhyänen des Ngorongoro-Kraters in Tansania. Aufgrund genetischer Analysen kennen sie die Verwandtschaftsverhältnisse aller Tiere der momentan acht dort lebenden Clans. So konnte das Berliner Forscher-Team belegen, dass die Weibchen auch bei der Partnerwahl das Sagen haben - und dabei effizient Inzucht vermeiden. Nach welchen Regeln sie vorgehen, beschreiben die Forscher in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature (Bd. 448, S. 798, 2007).

Kinder blutsverwandter Eltern leiden viel häufiger an Erbkrankheiten oder Fehlbildungen als Kinder nicht verwandter Eltern. Um dieses erhöhte Gesundheitsrisiko zu vermeiden, ist Geschlechtsverkehr zwischen Geschwistern - und oft auch zwischen Verwandten zweiten Grades wie Cousin und Cousine - in vielen Ländern verboten oder zumindest tabu. Auch für in Gruppen lebende Tiere ist Inzucht ein Problem. Wenn sie nah verwandt sind, vermeiden sie daher auch sich zu paaren. Stattdessen suchen sich Tiere solche Partner, deren Erbgut sich mit hoher Wahrscheinlichkeit vom eigenen unterscheidet. Die finden sie am ehesten in der Fremde.

Hyänen-Mütter sind alleinerziehend

Bei den meisten Tierarten wandert bevorzugt ein Geschlecht fort, während das andere an Ort und Stelle bleibt. So verlassen etwa die jungen Weibchen zahlreicher Vogelarten ihre Geburtsgruppe und schließen sich einer anderen Gemeinschaft an, um sich fortzupflanzen. Bei Säugetieren ist es meistens umgekehrt, so auch bei den Tüpfelhyänen: Die Männchen gehen, die Weibchen bleiben. Den Grund für diese Rollenverteilung sieht Oliver Höner darin, dass Hyänenmütter den Nachwuchs allein großziehen. Sie säugen ihre Jungen - pro Wurf eines oder zwei - 15 Monate lang mit einer fett- und energiereichen Milch. Um diese zu produzieren, müssen sie das Nahrungsangebot genau kennen. Und das gelingt ihnen am besten im vertrauten Revier.

"Weil Mütter wesentlich mehr Zeit und Energie in den Nachwuchs investieren als Väter, sollten sie noch größeres Interesse daran haben, lebenstüchtige Junge zu kriegen, also Inzucht zu vermeiden", erklärt Oliver Höner ein Denkmodell der Evolutionsbiologen. Männchen dagegen setzen durch Inzucht weniger aufs Spiel, sie haben im Laufe ihres Lebens mehr Gelegenheit zur Fortpflanzung. Nach dieser Argumentation sollten Männchen weniger motiviert sein, ihren Geburts-Clan zu verlassen, als die Weibchen.

Frauen geben bei der Partnerwahl den Ton an - zumindest bei den Tüpfelhyänen. (Foto: Foto: dpa)

Hyänen-Weibchen suchen Männchen aus

Tatsächlich aber wandern die jungen Männchen ab, sobald sie geschlechtsreif sind. Dieser vermeintliche Widerspruch war für die Evolutionsforschung lange Zeit schwer zu verstehen. Die Berliner Forscher haben eine Erklärung: "Die Weibchen haben klare Vorstellungen, mit wem sie sich paaren wollen", sagt Höner. Wer nicht zu den Auserwählten gehört, versucht sein Glück in einem anderen Clan.

Dass Hyänen-Weibchen bestimmen können, von wem sie sich begatten lassen, verdanken sie der Anatomie ihrer Geschlechtsorgane. Die Klitoris ist extrem verlängert und sieht dem Penis der Männchen ähnlich. Dieser Pseudopenis ist keine Besonderheit der Hyänen; er findet sich bei vielen anderen Säugetieren, darunter dem Europäischen Maulwurf und bei einigen Primaten. Allerdings zeigt das kuriose weibliche Genital der Hyänen mit der Öffnung nach vorne. Deshalb müssen die Weibchen aktiv mithelfen, damit der Geschlechtsakt vollzogen werden kann. "Das Männchen muss sich bei der Kopulation ziemlich verrenken, weil es den Penis von hinten in die entgegengesetzte Richtung einführen muss", beschreibt Höner den Vorgang. Das Weibchen braucht nur einen Schritt nach vorn zu machen, und nichts geht mehr.

Doch nach welchen Kriterien treffen die Weibchen ihre Wahl? Um dies zu klären, haben die Forscher genetische Analysen an 426 Jungen gemacht - das sind 65 Prozent aller Jungtiere, die von 1996 bis 2006 im Ngorongoro-Krater geboren wurden. "Wir wissen genau, welche Männchen Väter wurden und wie nah oder fern sie mit ihrer jeweiligen Partnerin verwandt sind", sagt Höner. Die Analyse brachte zwei verblüffend einfache Regeln ans Licht, nach denen die Weibchen ihre Partner auswählen. Zum einen bevorzugen junge Weibchen solche Männchen, die kürzer als sie in der eigenen Gruppe leben - egal, ob sie dort geboren oder eingewandert sind. So vermeiden die Weibchen Inzucht mit ihren Vätern, Onkeln und Brüdern, ohne dass sie diese kennen müssen. Zudem paaren sich ältere Weibchen am liebsten mit Männchen, die Regel eins erfüllen und zudem schon länger der Gruppe angehören.

Wie sich zeigte, werden die Regeln eingehalten. Keines von 110 Weibchen bekam Junge von einem ihrer Söhne, nur eines hatte Nachwuchs mit dem leiblichen Vater. Dieses Partnerwahlverhalten vermeidet nicht nur effektiv Inzucht, es beeinflusst auch den Fortpflanzungserfolg der Männchen: Wer sich dem Clan mit den meisten jungen Weibchen angeschlossen hatte oder dort geblieben war, hatte nach Jahren dreimal so viele Nachkommen (im Mittel 1,5 Junge pro Jahr) wie eines, das zu einem anderen Clan gezogen war (im Mittel 0,5 Junge pro Jahr).

Männchen achten nur auf die Zahl der jungen Weibchen

Offenbar wissen die Männchen um die Vorlieben der Weibchen, denn die geschlechtsreifen Männchen blieben bevorzugt in - oder wanderten zu - demjenigen Clan, dem die meisten jungen Weibchen angehörten. Andere Kriterien spielten keine Rolle, weder die Beutedichte des Reviers noch die Anwesenheit von Rivalen. Die paarungswilligen Männchen scheinen sich nicht mal dafür zu interessieren, wie viele Mütter, Schwestern und Tanten in einem bestimmten Clan leben. Das Inzucht-Tabu unter Tüpfelhyänen ist allein das Verdienst ihres strengen Matriarchats.

© SZ vom 17.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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