Weg mit der Wegwerfgesellschaft!:Die Natur ist kein Einwegartikel

Der Schutz der globalen Artenvielfalt ist kein Luxus, sondern Investitionspolitik für wirtschaftliche Stabilität und friedliche Entwicklung. Er ist unumgängliche Voraussetzung für die Überwindung der Armut und Grundlage für das Überleben.

Klaus Töpfer

Weg mit der Wegwerfgesellschaft! Das muss gebieterisch das Motto für eine Weltbevölkerung sein, die bereits im Jahre 2050 mehr als 8,5 Milliarden Menschen zählen wird. Dieses bewusste oder unbewusste Wegwerfen, das "Prinzip Wegwerf", ist ein Kennzeichen der ach so modernen Wohlstandsgesellschaft des Nordens.

Weg mit der Wegwerfgesellschaft!: Klaus Töpfer war von 1987 bis 1994 Bundesumweltminister, arbeitete anschließend als Bundesbauminister und leitete von 1998 bis 2006 das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi. Seit einem Jahr ist er Professor an der Tongji-Universität in Schanghai.

Klaus Töpfer war von 1987 bis 1994 Bundesumweltminister, arbeitete anschließend als Bundesbauminister und leitete von 1998 bis 2006 das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi. Seit einem Jahr ist er Professor an der Tongji-Universität in Schanghai.

(Foto: Foto: AP)

Dieses Prinzip kann nicht die Grundlage sein dafür, dass alle diese Menschen ein menschenwürdiges Leben führen können - dass sie genug zu essen und zu trinken haben, dass sie ein Dach über dem Kopf haben, dass sie sich bilden und ausbilden können und ihren Kindern eine gute Zukunft erarbeiten.

Die Natur kennt keine Abfälle

Was werfen wir nicht alles weg! Die Abfallberge der modernen Konsumgesellschaft sind Jahr für Jahr weiter angewachsen. Erst in jüngster Vergangenheit ist es gelungen, diese Abfallberge etwas zu vermindern. Gelungen ist es durch die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft, in der der Produzent von der Wiege bis zur Bahre seines Produktes verantwortlich für dieses gemacht wurde. Kreislaufwirtschaft folgt dem Beispiel der Natur. Die Natur kennt keine Abfälle.

Das Prinzip Wegwerf, wir finden es in unserer Energieproduktion. Die geringen Wirkungsgrade der Nutzung von Kohle, Mineralöl und Gas in den Verbrennungsprozessen sind nichts anderes als ein Beleg dafür, dass wir in großen Mengen diese kostbaren fossilen Rohstoffe wegwerfen. Ein Wirkungsgrad von 47 Prozent bei einem modernen Kohlekraftwerk heißt nichts anderes, als dass 53 Prozent der Energie weggeworfen wird. Bei der Verwendung von Benzin und Diesel in unseren Autos ist dieser Prozentsatz sogar noch höher.

Das Prinzip Wegwerf gilt überall, auch in unserem Umgang mit der Vielfalt der Natur. Die Roten Listen der ausgestorbenen oder vom Aussterben bedrohten Tiere und Pflanzen werden permanent länger. Diese Roten Listen sind nichts anderes als eine makabre Auflistung der weggeworfenen Natur. Weggeworfene Arten, die ihren Lebensraum verlieren, weil der Mensch Feuchtgebiete trockenlegt, nährstoffarme Böden künstlich anreichert, weil Siedlungs- und Infrastrukturflächen weiterhin bis zu 100 Hektar am Tag allein in Deutschland auffressen. Das Prinzip Wegwerf also auch im Verhältnis zur natürlichen Vielfalt.

Kaum jemand ist sich im Alltag bewusst, was da eigentlich weggeworfen wird, wenn wieder eine Art bedroht ist. Dabei steigen die Gefahren für die Lebensräume von Tieren und Pflanzen deutlich weiter an. Die Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft bewirkt, dass immer mehr Tiere und Pflanzen aus gänzlich anderen Umweltbedingungen eingeschleppt werden.

Eine Invasion derartiger standortfremder Arten löst immer und immer wieder Rückwirkungen auf die Stabilität von Natur und Umwelt in den "Einwanderungsländern" dieser Arten aus. Dutzende und Aberdutzende Beispiele finden wir auch bei uns in Deutschland. Besondere Beachtung finden dabei diese einwandernden Tiere und Pflanzen, die auch die Gesundheit der Menschen unmittelbar betreffen.

Leistungen, auf die wir nicht verzichten können

Weitreichende Auswirkungen auf die Vielfalt von Natur und Umwelt, auf die Stabilität der Lebensräume für Pflanzen und Tiere gehen auch vom Klimawandel aus. Die einzelnen Arten können sich sehr unterschiedlich an die Geschwindigkeit dieses Klimawandels anpassen. Einige können "ihrem Klima hinterherwandern" - die Berge nach oben, in Richtung Norden. Andere verlieren ihre natürlichen Voraussetzungen, können nicht überleben, sterben ab.

Die Natur ist kein Einwegartikel

Aber was ist schon so schlimm daran, wenn die natürliche Vielfalt an Tieren und Pflanzen abnimmt? Muss es uns ernsthaft bekümmern, so fragen viele, wenn wir die Smaragdeidechse nicht mehr in den Steilhängen der Weinberge finden? Wenn die Würfelnatter aus den Staustufen der Lahn verschwindet, ist das ein Grund zur Sorge? Ist Artenvielfalt und ihre Erhaltung nicht nur ein Anliegen von Tierliebhabern und Pflanzensammlern, die sich an den farbenfrohen Verschiedenheiten von Fauna und Flora berauschen? Ist es ein Luxusartikel?

Bei etwas Nachdenken über diese Bewertungen kommt man schnell ins Grübeln, sieht man sehr schnell, dass eine derartige Position gänzlich unhaltbar geworden ist. Mit der Vielfalt der Natur, mit der Stabilität dieser Ökosysteme verliert die Menschheit ganz unmittelbar Leistungen, die bisher von der Natur mehr oder weniger kostenlos erbracht wurden. Leistungen, die eine unverzichtbare Grundlage für Wohlstand und Überleben der Menschheit darstellen: Wasser und Böden, Genvielfalt und Naturprodukte, Aufnahmefähigkeit von Kohlendioxid.

Die Beispiele sind zahllos. Ein Feuchtgebiet, das trockengelegt und für landwirtschaftliche Produktion genutzt wird, ist als "unterirdischer Wasserturm" nicht mehr verfügbar. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem nächsten starken Regen Böden abgeschwemmt werden, dass das Niederschlagswasser unmittelbar in die Bäche und Flüsse gelangt und damit die Hochwasserwahrscheinlichkeit ansteigt - alle diese Leistungen, die bisher von Feuchtgebieten erbracht wurden, entfallen. Sie können bestenfalls durch künstliche Eingriffe in die Natur, durch Dämme und Deiche, teuer aufgefangen werden.

Erhaltung von Vielfalt ist eine ertragreiche Investition

Artenvielfalt zu schützen heißt also auch, Leistungen der Natur für den Menschen zu sichern. Niemand würde in der Wirtschaft den Kapitalstock eines Unternehmens oder einer Volkswirtschaft schlicht und einfach nutzen, ohne in diesen wieder zu reinvestieren. Das könnte dazu führen, dass man eine Zeitlang recht "preiswert" produzieren kann. Sehr bald wird man aber merken, dass der Kapitalstock aufgezehrt und damit die Produktion unmöglich gemacht wird.

Mit dem Naturkapital ist dies ebenso. Immer und immer wieder ist die Verlockung sehr groß, dieses Kapital und seine Leistungen schlicht und einfach zu nutzen, nicht aber in dieses zu reinvestieren. So wird der Kapitalstock der Natur immer kleiner, die damit verbundenen Leistungen der Natur werden geringer und gefährdeter.

Die Erhaltung von Vielfalt, die Stabilität von Ökosystemen ist damit eine sehr ertragreiche Investition für die weitere wirtschaftliche Entwicklung weltweit. Überall dort, wo Natur übernutzt wurde, wo dieses Kapital bedenkenlos zur Subvention wirtschaftlicher Tageserfolge gebraucht und missbraucht wurde, sind die damit verbundenen Auswirkungen desaströs.

Die Natur ist kein Einwegartikel

Zu Recht hat Kofi Annan, der ehemalige Generalsekretär der UN, festgestellt: "Wohlstand, aufgebaut auf der Zerstörung der Umwelt, ist kein wirklicher Wohlstand, bestenfalls eine kurzfristige Milderung der Tragödie. Es wird kaum Frieden, wohl aber mehr Armut geben, falls dieser Angriff auf die Natur anhält."

Die Erhaltung der Artenvielfalt ist somit keineswegs ein Luxusartikel. Es ist für das Überleben der Menschheit wichtig, dass nicht nur die Smaragdeidechse und die Würfelnatter ihren Lebensraum behalten, sondern vor allem auch die weniger "attraktiven" Arten.

So zeigt die Rote Liste für Deutschland, dass bei den Pflanzen besonders Moose und Flechten, Algen und Pilze auf dieser Aussterbeliste vermerkt sind - Arten also, die dem Wanderer im Walde kaum in besonderer Weise auffallen. Gerade diese Arten aber sind für die Stabilität des Ökosystems von weitreichender Bedeutung.

Der Schutz der Artenvielfalt ist also Investitionspolitik für wirtschaftliche Stabilität und friedliche Entwicklung. Es ist Kofi Annan zuzustimmen, dass eine Missachtung der Vielfalt in der Umwelt das friedliche Zusammenleben der Menschen in Frage stellt. Es muss sichergestellt werden, dass die Erhaltung dieser Vielfalt möglich ist, ohne dass dadurch die Lebensbedingungen der Menschen in diesen Regionen beeinträchtigt werden.

Daher muss es auch auf der Bonner Konferenz darum gehen, für diese Leistungen der Ökosysteme einen fairen Vorteilsausgleich zu erarbeiten. Die Menschen, die Vielfalt erhalten und sichern, müssen einen wirtschaftlichen Vorteil davon haben. Dies würde auch ihre Bereitschaft, für die Erhaltung dieser Vielfalt zu arbeiten, deutlich erhöhen.

Von den Ärmsten der Armen kann nicht einfach erwartet werden, dass sie kostenlos die Vielfalt der Natur erhalten und sichern, die für das Überleben gerade der Menschen in den hochentwickelten, reichen Ländern unbedingt erforderlich ist.

Es ist somit zu wünschen, dass die Vertragsstaatenkonferenz in Bonn ein neues, ein wirksames Signal an die Politik gibt. Artenschutzpolitik ist zentraler Bestandteil von Friedens- und Wirtschaftspolitik, ist unumgängliche Voraussetzung für die Überwindung von Armut in dieser Welt. Dabei darf man nicht erneut den Fehler machen, Artenvielfalt nur dort einzufordern, wo man für sich selbst keine Einschränkungen befürchten muss.

Artenschutz beginnt zu Hause. In Deutschland müssen sich immer mehr Menschen bewusst werden, wie wichtig eben gerade die Smaragdeidechse und die Würfelnatter für das Überleben sind. Alle müssen darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Schönheit der Natur und der Landschaft, dass die Vielfalt der Schöpfung Gottes auch eine Grundlage für unser Leben und Überleben darstellen.

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