Wasserverschmutzung:Falsche Fische, dreckige Brühe

Knapp fünf Milliarden Menschen leben im Einzugsgebiet stark belasteter Flüsse. Unter dem Dreck leiden auch die Umwelt und die Wirtschaft.

Katrin Blawat

Für den britischen Autor Fred Pearce war es eine "irritierende" Erkenntnis: zu bemerken, dass große Teile der Erde, besonders die Flüsse, nicht mehr viel mit den Karten in seinem Atlas zu tun haben. "Viele Flüsse sterben ab, statt anzuschwellen", schreibt Pearce in seinem Buch "Wenn die Flüsse versiegen". "Der Nil in Ägypten, der Gelbe Fluss in China, der Indus in Pakistan, der Colorado und der Rio Grande in den USA - von allen wird berichtet, dass sie im Sand versickern, manchmal Hunderte Meilen vom Meer entfernt."

Wasserverschmutzung: Die Postkarten-Idylle trügt: Der Nil ist - wie viele andere große Flüsse weltweit - in einem beklagenswerten Zustand.

Die Postkarten-Idylle trügt: Der Nil ist - wie viele andere große Flüsse weltweit - in einem beklagenswerten Zustand.

(Foto: AFP)

Pearce nennt das eine "Art erdgeschichtliche Katastrophe". Es ist aber vor allem eine menschliche: Im Einzugsgebiet des Nils leben mehr als 180 Millionen Menschen. Wo der Fluss auf seinem Weg zum Mittelmeer nicht versiegt, leidet die Wasserqualität wegen der dichten Bevölkerung immer mehr.

Und der Nil ist nicht der einzige Fluss, um den sich außer dem Umweltjournalisten Pearce auch Wissenschaftler sorgen. Umweltforscher um Charles Vörösmarty von der City University of New York haben den Zustand der Flüsse weltweit untersucht und im Fachmagazin Nature (Bd.467, S.555, 2010) Weltkarten veröffentlicht, auf denen große Teile des Planeten in alarmierendem Rot leuchten.

Besonders betroffen sind der Studie zufolge der größte Teil Europas, die USA, weite Gebiete Zentralasiens und Indiens, der Nahe Osten und der Osten Chinas. Knapp fünf Milliarden Menschen, also etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung, leben im Einzugsgebiet stark belasteter Flüsse, schreiben die Forscher. Als weitgehend unbelastet gelten lediglich die Flüsse in Nordkanada und Alaska sowie der unbesiedelte Teil des Amazonas.

Zum düsteren Ergebnis der aktuellen Bestandsaufnahme tragen eine Reihe von Faktoren bei; 23 haben die Forscher untersucht: die Verschmutzung mit Unkrautgiften ebenso wie ein zu hoher Stickstoffgehalt, die Unterbrechung des natürlichen Flussverlaufes durch Staudämme und Wasserreservoirs oder viele eingewanderte Fischarten. Letztere machen das Flusswasser zwar nicht zu einem Gesundheitsrisiko für den Menschen. Doch der Verlust der Biodiversität, unter anderem gefördert durch invasive Arten, gibt auf Vörösmartys Skala ebenso Minuspunkte wie eine schlechte Wasserqualität.

In den industrialisierten Gebieten wie in Europa sind Qualität und Infrastruktur des Wassers größtenteils gut; selbst eigentlich problematische Gebiete wie die iberische Halbinsel haben viel weniger Probleme, als es das trockene, heiße Klima und die vergleichsweise intensiv betriebene Landwirtschaft und Industrie erwarten ließen. Eine ausgefeilte Bewässerungstechnik und der Bau vieler Wasserreservoirs haben diesen Erfolg ermöglicht - jedoch auf Kosten der Ökologie.

Schwindende Artenvielfalt

Wo Staudämme den natürlichen Flussverlauf unterbrechen, wo Überflutungsland einer vermeintlich wirtschaftlicheren Nutzung weichen muss (wie beinahe überall in den Industrieländern), da schwindet auch die Artenvielfalt. Die aber ist nicht nur aus einer romantischen Naturverklärung heraus schützenswert. So regulieren verschiedene Mikroben- und Pflanzenarten den Stickstoffgehalt eines Flusses. Gerät das Gleichgewicht der Bakterien und Pflanzen durcheinander, kann das für alle Lebewesen im Fluss schwerwiegende bis tödliche Auswirkungen haben - auch für solche, die der Mensch fangen und verkaufen will.

Auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern schwindet die Artenvielfalt in den Flüssen - zusätzlich fehlt es dort an Maßnahmen, um die Wasserversorgung der Menschen zu sichern. In Indien etwa kommen mehrere ungünstige Faktoren zusammen: Perioden mit trockener Hitze wechseln sich mit heftigen Regenzeiten ab. Dies machte eigentlich eine gut ausgebaute Infrastruktur nötig, um die Menschen großflächig und regelmäßig mit Wasser zu versorgen. Die Investitionen seien jedoch gering, weshalb der Subkontinent schlechter dastehe als viele andere Teile der Welt, schreiben die Autoren.

Kritik äußern sie an der Art und Weise, wie unter anderem in Europa die Wasserqualität verbessert wird; die Ursachen der Verschmutzung würden selten behoben. "Unsere Studie zeigt, dass es wie in der Medizin effizienter ist, eine Diagnose zu stellen und dann die lokalen Ursachen zu beheben anstatt die Gefahren durch kostspielige Behandlungen zu senken", sagt Vörösmarty.

Blieben die Ursachen der Flussbelastungen erhalten, erhöhe das die Kluft zwischen armen und reichen Ländern, außerdem verschärfe es den Konflikt zwischen menschlicher Nutzung und dem Schutz der Artenvielfalt. Die Forscher plädieren für einen vorausschauenden Umgang mit Flusslandschaften, zum Beispiel könne der Erhalt von Flussauen Überschwemmungen entgegenwirken.

Ob ein solches Umdenken die Situation in den Flüssen wirklich ändern kann, bleibt ungewiss. Schließlich zählen die Wissenschaftler selbst jene Fragen auf, die sie aufgrund mangelnder Daten unbeantwortet lassen mussten: Wie wirken sich Medikamentenreste aus, die seit einiger Zeit immer wieder in Flusswasser gemessen werden? Was passiert, wenn mehrere Faktoren zusammenwirken? Die Antworten könnten erneut Anlass zu Irritationen geben.

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