Erneuerbare EnergienWarum geht beim Wasserstoff so wenig voran?

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Hat Tanken mit Wasserstoff eine Zukunft? Kürzlich schloss Shell alle Wasserstofftankstellen in den USA und Großbritannien.
Hat Tanken mit Wasserstoff eine Zukunft? Kürzlich schloss Shell alle Wasserstofftankstellen in den USA und Großbritannien. (Foto: imago images, Bearbeitung: SZ)

Wasserstoff, so heißt es immer wieder, ist der Energieträger einer klimaneutralen Zukunft. Aber der Aufbau der nötigen Infrastruktur kommt einfach nicht in Gang. Fünf Gründe, warum es hakt – und wie es besser ginge.

Von Christoph von Eichhorn

Alle 20 Minuten, so eine Schätzung, erscheint derzeit irgendwo auf der Welt eine neue wissenschaftliche Arbeit zu Wasserstoff – wie man ihn herstellt, transportiert, speichert, in Fahrzeugen oder Fabriken verwendet. Das schätzt ein Team um Iain Staffell vom Centre for Environmental Policy am Imperial College in London. Angefacht hat diese Begeisterung auch die Politik: Rund 60 Staaten weltweit haben eine Wasserstoffstrategie vorgelegt, vor fünf Jahren auch Deutschland. Kurz darauf folgte ein EU-weiter Plan. Credo der Europäer: Die Produktion des Energieträgers sollte stark anwachsen, möglichst mithilfe erneuerbarer Energien. Die dazu nötigen Elektrolyseure – Apparate, die Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen können – sollten von Europa in die ganze Welt exportiert werden. Wasserstoff sollte so zu einer zentralen Säule für den Klimaschutz werden.

Sollte, sollte, sollte. Spricht man heute mit Menschen aus der Praxis und liest einige der vielen Abhandlungen, stößt man oft auf Worte wie „Ernüchterung“, „Bremsspur“ und „Realitätscheck“. So sind gerade einmal 200 Megawatt Elektrolysekapazitäten in Europa angeschlossen, dabei sollten es schon 30 Mal mehr sein. Die Wasserstoffziele der EU „werden unter den derzeitigen Umständen wahrscheinlich nicht erreicht“, heißt es in einer aktuellen Studie der Universitäten Bonn und Köln. Immer lauter wird zudem die Frage gestellt, wie sinnvoll manche der hochfliegenden Ziele sind – und ob Wasserstoff tatsächlich so alternativlos ist.

Wasserstoff ist komplizierter als gedacht

Südlich von Baden-Württemberg an der Grenze zur Schweiz rauscht der Hochrhein und liefert ununterbrochen Energie. Beste Voraussetzungen, um neben Strom auch etwas Wasserstoff herzustellen – dachte sich vor einigen Jahren der Energieversorger Naturenergie, der im Ort Grenzach-Wyhlen ein großes Wasserkraftwerk betreibt. Als die damalige Bundesregierung 2020 ihre Wasserstoffstrategie vorlegte, hatten die Ingenieurinnen und Ingenieure des Unternehmens bereits eine Produktion für grünen Wasserstoff aufgebaut. Grün bedeutet, dass der Wasserstoff aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, hier aus Wasserkraft: Die Elektrizität spaltet im Elektrolyseur Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff. Fossile Treibhausgasemissionen entstehen dabei nicht – auch nicht, wenn der Wasserstoff später in einer Brennstoffzelle wieder zu Strom wird.

Was einfach klingt, birgt manche Überraschung. „Wir hatten insgesamt gut drei Jahre lang Stillstand“, sagt Olaf Schäfer-Welsen, der die Wasserstoffproduktion bei Naturenergie leitet. Mitten in der Corona-Pandemie seien Ablagerungen im Elektrolyseur aufgetreten, ein Überdruck entstand, Kalilauge trat aus. Der Hersteller aus Italien baute alles auseinander, untersuchte die Teile, schrieb Berichte, verbesserte die Anlage, schraubte sie wieder zusammen. Vor einem halben Jahr ging sie wieder in Betrieb. „Eine ziemlich langwierige Geschichte“ sei das gewesen, erzählt Schäfer-Welsen – auch wenn der Elektrolyseur nun effizienter laufe als zuvor.

Möglich, dass es sich um Kinderkrankheiten handelt, wie sie bei der Entwicklung neuer Technologien oft auftreten. Im Fall von Wasserstoff kommt eine knifflige Logistik dazu. In Grenzach-Wyhlen fehlen – wie praktisch überall – Hochdruckspeicher, um Wasserstoff für längere Zeit zwischenzulagern. Stattdessen strömt das Gas in einen Tanklaster. Ist dieser voll, geht es ab zum Kunden, und die Produktion steht still, bis wieder ein Lkw dort steht. Vor einigen Wochen sei sehr viel erneuerbarer Strom im Netz gewesen, womit sich die Wasserstoffproduktion ökonomisch gelohnt hätte, sagt Schäfer-Welsen. „Wir mussten vorher aber abbrechen, weil die Speicher voll waren.“ Abhilfe könnte ein Wasserstoff-Kernnetz aus Rohrleitungen schaffen, das derzeit für Deutschland geplant wird. In Grenzach-Wyhlen hoffen sie darauf, dass eine dieser Pipelines in einigen Jahren auch zu ihnen führen wird. Eine wirtschaftlich bedeutsame Rolle dürfte Wasserstoff auf absehbare Zeit in Grenzach-Wyhlen aber nicht spielen, schätzt Schäfer-Welsen.

Wasserstoff ist teuer

Noch vor einigen Jahren war die Hoffnung, dass grüner Wasserstoff schnell billiger wird so wie Solarstrom oder Windenergie. Doch in den vergangenen Jahren sind die Kosten für Elektrolyse-Wasserstoff eher gestiegen – unter anderem wegen höherer Lohnkosten und Preissteigerungen bei kritischen Rohstoffen für den Bau der Elektrolyseure. Auch der Strompreis ist gestiegen, was sich direkt auf die Wasserstoffherstellung auswirkt.

In der EU Wasserstoff zu produzieren, kostet heute zwischen 111 und 223 Euro pro Megawattstunde (MWh). Das ist deutlich mehr als der Preis für fossiles Erdgas, der zuletzt bei 32 Euro pro Megawattstunde lag. Auch Wasserstoffimporte sind bislang deutlich teurer als fossile Energieträger. Angesichts der Kosten sei „eine Umstellung auf wasserstoffbasierte Verfahren für die Industrie nicht wettbewerbsfähig“, schreiben daher Forschende der Universitäten Bonn und Köln.

Hier rächt sich der hastig begonnene Ausbau der Infrastruktur für Flüssigerdgas (LNG) infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Überkapazitäten für LNG könnten den Preisunterschied zwischen grünem Wasserstoff und fossiler Konkurrenz in den kommenden Jahren noch vergrößern, schätzen Experten. Die klimafreundliche Option wird so immer unwirtschaftlicher, weil reichlich klimaschädliches Gas zur Verfügung steht. Wie es weitergeht, ist unsicher. Die Internationale Energieagentur rechnet für die nächsten Jahre mit sinkenden Kosten für die Herstellung von grünem Wasserstoff, etwa aufgrund fallender Preise für Solarstrom. In Teilen Chinas, Chiles und Argentiniens könnte grüner Wasserstoff demnach bis 2030 mit der fossilen Konkurrenz gleichziehen. In Europa dürfte es aber wohl länger damit dauern.

Vom Strom überholt

Wasserstoff konkurriert aber nicht nur mit fossilen Energieträgern, sondern auch mit Elektrizität. Wärmepumpen, die Gebäude kühlen oder heizen, laufen mit Strom, nicht mit Wasserstoff. Der wäre dafür ohnedies noch viel zu teuer. Als entschieden kann auch das Rennen um die Autos von morgen gelten. Jeder fünfte weltweit verkaufte Neuwagen fährt elektrisch, während Brennstoffzellen-Pkws ein Nischenmarkt geblieben sind. Zuletzt brach die Nachfrage nach Wasserstofffahrzeugen aufgrund hoher Kosten und wenig Auswahl regelrecht ein. Kürzlich schloss etwa Shell alle Wasserstofftankstellen in den USA und Großbritannien.

„Mittlerweile sind die Kosten und Reichweiten der Batterien so viel besser geworden, dass selbst im Schwerlastverkehr nicht mehr sicher ist, dass ausschließlich Wasserstoff oder dessen Derivate zum Einsatz kommen werden“, sagt Marc-Simon Löffler vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in Stuttgart. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, formuliert es noch offensiver: Es sei „nur noch eine Frage der Zeit, bis der Elektro-Lkw wirtschaftlich die Nase vorn hat“.

Das Problem sind die hohen Umwandlungsverluste: Von der Wasserstoffproduktion über den Transport bis zur kalten Verbrennung in der Brennstoffzelle geht weit mehr als die Hälfte der für die Wasserspaltung eingangs eingesetzten Energie verloren. Ohne den Umweg durch Elektrolyse und Brennstoffzelle kann dieser Strom weitgehend verlustfrei Motoren oder andere Maschinen antreiben. Wo es geht, ist es heute praktisch immer effizienter, Strom einzusetzen.

Unbedingt notwendig, um fossile Energieträger zu ersetzen, schien Wasserstoff bislang dort, wo hohe Temperaturen nötig sind, etwa in der Schwerindustrie. Doch auch hier schreitet die Elektrifizierung voran. Hohe Prozesswärme können mittlerweile auch elektrische Induktionsöfen, Wärmepumpen und Boiler liefern. In der Aluminium-, Gießerei- und Kupferherstellung ist die Umstellung auf Strom deshalb schon weiter gekommen als der Betrieb mit Wasserstoff, heißt es in einer Studie des Umweltbundesamts.

„Die Anzahl der Anwendungen, die von Wasserstoff in naher Zukunft wettbewerbsfähig bedient werden können, ist geringer als vor einigen Jahren angenommen“, sagt Marc-Simon Löffler. Hier sei eine gewisse „Ernüchterung“ zu beobachten. Immerhin als Rohstoff für die Chemieindustrie dürfte klimafreundlicher Wasserstoff auf lange Sicht weiter unabdingbar sein.

Entweder die Regulierung lähmt – oder sie fehlt

Zwar wünscht sich die Politik regelmäßig einen schnelleren Wasserstoffhochlauf. Herunterfahren müsste sie dafür aber wohl ihre Regelungswut. Olaf Schäfer-Welsen von Naturenergie kann seinen Wasserstoff beispielsweise derzeit nicht als nachhaltig zertifizieren und vermarkten – obwohl der Strom dafür vom Wasserkraftwerk nebenan stammt. Solch eine direkte Verbindung ist rechtlich aber nicht vorgesehen. „Wir müssten zuerst mit dem Strom ins Verteilnetz, um dann wieder vom Verteilnetz zurück ins Kraftwerk zu kommen, und dann könnten wir den Strom so nutzen, wie wir ihn jetzt nutzen“, sagt Schäfer-Welsen. Das erfordere unter anderem zusätzliche teure Transformatoren. Solche Regularien seien daher „einfach schwierig umzusetzen“.

Maßgeblich ist die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU: Produzenten von grünem Wasserstoff müssen nachweisen, dass der Strom dafür aus regenerativen Quellen ins Netz eingespeist wird – zum Beispiel durch den Bau eines Solarkraftwerks. Nur wenn dies gerade Strom liefert, darf Wasserstoff sprudeln. Das soll verhindern, dass Wasserstoff etwa aus schmutzigem Kohlestrom hergestellt wird. Was gut gemeint ist, wirkt in der Praxis als große Hürde. Ein Papier des Ingenieurverbands VDI schlägt daher vor, einen Restanteil an CO₂-Emissionen hinzunehmen, um die Wasserstoffproduktion anzukurbeln. Langfristig erledige sich das Problem von selbst, wenn der Anteil erneuerbarer Energien im Strommix steige.

Elementar wäre zudem ein Plan, um Wasserstoff in großem Stil zu speichern. In der Nähe von Hamburg möchte etwa die Firma Storengy Wasserstoff in einer unterirdischen Salzkaverne einlagern. In solchen Hohlräumen wird bislang Erdgas gespeichert, Pilotprojekte lassen vermuten, dass das auch mit Wasserstoff klappt. Aber: „Es fehlen noch regulatorische Maßnahmen, um eine finale Investitionsentscheidung zu treffen“, sagte der Projektleiter Gunnar Assmann kürzlich auf einer Konferenz.

So vermisst die Industrie derzeit von der Bundesregierung eine Speicherstrategie, in der die Vergütung der Einlagerung geregelt ist oder mögliche Zuschüsse für den Bau der Kavernen. Der Staat müsste sich die Speicher also etwas kosten lassen. Doch nur mit ihnen kann ein funktionierender Wasserstoffmarkt entstehen. Ohne Angebot eben keine Nachfrage.

Weitblick lohnt sich

Das behäbige Tempo des Wasserstoffhochlaufs hat Folgen: So gab Airbus kürzlich bekannt, die Entwicklung eines wasserstoffbetriebenen Passagierflugzeugs zu verschieben, mit der Begründung, dass „die Entwicklung eines Wasserstoff-Ökosystems“ nicht weit genug fortgeschritten sei.

Dabei gilt der Langstrecken-Flugverkehr als einer der Bereiche, in denen es langfristig kaum Alternativen zum Wasserstoffeinsatz gibt, damit die Welt klimaneutral wird. Unabkömmlich ist Wasserstoff auch bei der Herstellung von Düngemitteln und anderen chemischen Prozessen, etwa in Raffinerien. „Stahlherstellung ist ein weiterer vielversprechender Bereich“, schreiben Forscher um Nathan Johnson vom Imperial College London in einer Analyse. Die erste Stahlfabrik, die Wasserstoff nutzt, dürfte in Schweden im kommenden Jahr in Betrieb gehen.

Auch China investiert kräftig. Bereits heute kontrolliert das Land 40 bis 60 Prozent des Markts für Elektrolysetechnik, warnen die Bonner und Kölner Forscher. Setzt sich dieser Trend fort, könnte Europas geopolitische Abhängigkeit von China weiter wachsen. Doch Deutschland muss sich nicht verstecken, betont Marc-Simon Löffler. In den vergangenen Jahren seien etwa etliche Zulieferer aus der Automobilindustrie in die Herstellung von Elektrolyseuren eingestiegen. „Das geht von einzelnen Komponenten bis zum Anbieter von Komplettsystemen.“

Was bleibt von der Wasserstoff-Zukunft?

Ohne Wasserstoff wird es in Zukunft nicht gehen. Nur wird die Wasserstoff-Ökonomie vermutlich eine Nummer kleiner ausfallen als noch vor ein paar Jahren prognostiziert. So haben die Analysten von Bloomberg New Energy Finance ihre Prognosen für den künftigen Wasserstoffbedarf im Jahr 2050 nach unten korrigiert, von 500 bis 800 auf nun rund 400 Millionen Tonnen. Auch das ist freilich noch eine gewaltige Menge.

Dass der künftige Bedarf an Wasserstoff geringer ausfallen dürfte, birgt dabei auch eine gute Nachricht: Die Welt muss vielleicht gar nicht so viel Geld in neue Infrastruktur und Technologie stecken; ein klimaneutrales Energiesystem könnte günstiger sein als gedacht.

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