Wassermangel:Bis zum letzten Tropfen

Spanien versteppt, in den USA schrumpfen die Stauseen, Australien fährt immer kleinere Ernten ein: Die Hälfte der Weltbevölkerung ist heute schlechter mit Wasser versorgt als die Bewohner des antiken Rom.

Richard Friebe

Wer immer der Erde ihren Namen gegeben hat, es war ein Irrtum. Der Planet müsste "Wasser" heißen, nicht Erde. Mehr als zwei Drittel der Oberfläche sind von Wasser bedeckt. Auf dem Planeten gibt es 1.500.000.000.000.000.000.000 Liter Wasser. Es füllt die Ozeane, Seen, Flüsse und Swimmingpools, es lagert und fließt unterirdisch, vereist die Pole, schwebt als Dampf in der Atmosphäre. Die Wassermenge ist gigantisch, und doch leidet die Menschheit unter zunehmender Wasserknappheit.

Wasser Haiti

Wo es knapp wird, ist Wasser ein umkämpftes Gut, so wie auf Haiti nach dem Hurrikan

Hanna

im Jahr 2008.

(Foto: Foto: AP)

Peter Gleick, Präsident des auf Wasserfragen spezialisierten Pacific Institute in Oakland, USA, fasst die Situation vieler Menschen in einem Vergleich zusammen: Die Hälfte der Weltbevölkerung sei heute schlechter mit Wasser versorgt als die Bewohner Roms vor 2000 Jahren. Mehr als eine Milliarde Menschen müssen täglich verschmutztes Wasser trinken. Und das, obwohl in den vergangenen Jahren Millionen Menschen durch Hilfsprogramme erstmals Zugang zu sauberem Wasser bekommen haben. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind 88 Prozent aller Erkrankungen weltweit auf verschmutztes Trink- und Brauchwasser zurückzuführen.

Die Situation verschärft sich stetig. Durch die globale Erwärmung geht in Gletschern gebundenes Süßwasser verloren. Der Report "Global Outlook for Ice and Snow" des Umweltprogramms der Vereinten Nationen besagt, dass 40 Prozent der Weltbevölkerung ihre sichere Wasserversorgung wegen des Verlustes von Eisflächen in den Hochgebirgen einbüßen könnten.

Zunehmender Wassermangel beeinträchtigt auch die Landwirtschaft und damit die Produktion von Nahrungsmitteln. Der Klimawandel bringt Niederschlagsmuster durcheinander - manche Gegenden leiden an Dürre, andere werden von ungewöhnlichen Starkregen überschwemmt. Regen- und Trockenzeiten verschieben sich.

Immerhin verbrauchen die gut sechs Milliarden Menschen Wasser nicht auf die gleiche Weise wie andere Ressourcen. Es kann nicht wie etwa fossile Brennstoffe nur einmal aus dem Boden geholt und genutzt werden, bis die Vorräte irgendwann erschöpft sind. Der Wasserkreislauf ist das größte, gegen Störungen widerstandsfähigste und verlässlichste Recyclingsystem der Erde. Doch stößt dieses natürliche Wiederaufbereitungssystem laut dem aktuellen Report "The World's Water" des Pacific Insitute an seine Grenzen.

Der Mensch entnimmt dem Recyclingsystem vielerorts mehr, als es nachliefern kann. "Peak Water" wird das Phänomen genannt - analog zu Peak Oil. Messbar ist das in dramatisch sinkenden Grundwasserständen und vergifteten Seen wie etwa im Norden Chinas oder in katastrophalen Ernteausfällen in Australien; im Schrumpfen des Tschad-Sees ist es zu sehen, der mehr als 90 Prozent seiner Fläche verloren hat, ebenso im Austrocknen des Rio Grande im Westen Nordamerikas kurz vor seiner Mündung, in der fortschreitenden Versteppung Spaniens und in vielen anderen vergleichbaren Entwicklungen.

Stauseen, die nichts mehr zu stauen haben

Jüngstes Beispiel sind Nachrichten aus Indiens Metropole Mumbai. Die Stadt ist bekannt dafür, dass sie während der Monsun-Saison regelrecht im Wasser ertrinkt. Doch in diesem Jahr füllen sich die Wasserspeicher bisher nicht ausreichend. Die Gründe sind vielfältig. Die Wassernachfrage ist in Mumbai durch die wachsende Einwohnerzahl, aufgrund vermehrten Wohlstandes und intensivierter Landwirtschaft gestiegen.

Gleichzeitig fällt weniger Regen als in der Vergangenheit. Dazu kommen erhebliche Verluste durch falsches Management sowie marode Wasserspeicher und -leitungen, in denen immense Mengen Wasser verloren gehen. Diese Faktoren beschreiben nicht nur die Probleme einer Metropole, sie sind der gemeinsame Nenner der weltweiten Wasserkrise.

Wer die Probleme rund um das Wasser versteht, versteht auch die Probleme der Erde am Anfang des 21. Jahrhunderts. Wasser wird verschwendet, und es ist extrem ungerecht verteilt. Um Wasser entzünden sich politische Konflikte wie um Öl oder Erdgas. Die Nahrungsmittelversorgung der Welt hängt daran. Es dringt in sämtliche Bereiche der globalen Wirtschaft, der Politik, der Menschenrechte, der Umwelt und der Gesundheit der Menschen.

Der Umgang mit Wasser ist auch ein Gradmesser dafür, inwieweit Regionen, Staaten und die internationale Gemeinschaft in der Lage sind und sein werden, diese Krisen zu meistern. "Wasserknappheit ist immer ein Ergebnis politischer Entscheidungen", heißt es in einem Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen. Eines der acht Millenniumsziele der UN ist es, bis 2015 die Zahl der Menschen, die kein sauberes Trinkwasser und keine hygienische Grundversorgung haben, im Vergleich zu 1990 zu halbieren. Während seit 1990 1,6 Milliarden Menschen Zugang zu Trinkwasser bekommen haben - scheint das Hygiene-Ziel in weite Ferne gerückt zu sein.

Gesetze zum Wasserverbrauch

Die Verfügbarkeit von Wasser bleibt ein Ergebnis der einfachsten ökonomischen Gleichung aus Angebot und Nachfrage. Diesem Marktmechanismus müsste aber eine sinnvolle "Water Governance", ein kluges Ressourcenmanagement zur Seite gestellt werden, um die Wasserkrise zu bekämpfen. Es braucht Gesetze, die zum Beispiel im Sommer das Wässern privater Rasenflächen regulieren.

Landwirten sollte geholfen werden, Anlagen zur sparsamen Tropfbewässerung zu installieren. So ließe sich der Verbrauch senken. Eine Pipeline, die Wasser in einen Ballungsraum leitet, kann das Angebot von Wasser erhöhen. Genau hier stoßen die althergebrachten großtechnischen Methoden, mit Wasserknappheit umzugehen - neue Stauseen, neue Kanäle, neue Pipelines - derzeit aber vielerorts an ihre Grenzen. Im Westen der USA etwa, dort schrumpfen die riesigen Speicherseen wie Lake Powell und Lake Mead am Colorado River seit Jahren. Sie sind ein typisches Signal für Peak Water. Jedes neue Stauseeprojekt ist sinnlos, wenn es nichts mehr zu stauen gibt.

Wenn alte Quellen nicht mehr genug Wasser liefern, muss die Menschheit neue suchen. Etwa dort, wo sich das meiste Wasser befindet, in den Ozeanen. Bisher stammen etwa 0,5 Prozent des weltweit für Haushalte, Industrie und Landwirtschaft verbrauchten Süßwassers aus Entsalzungsanlagen.

Die Kosten und der Energieaufwand sind enorm, deshalb verwundert es kaum, dass die meisten Anlagen in den an Öl und Öldollars reichen, aber an Süßwasser armen Golfstaaten stehen. Doch mit neuen, sparsameren Verfahren, etwa der so genannten Membran-Filtration, und angesichts wahrscheinlich steigender Wasserpreise könnte die große Zeit des Süßwasserproduktion aus dem Meer bald anbrechen.

In den Industrieländern, deren Bevölkerung einen hohen Pro-Kopf-Verbrauch hat, liegt allerdings ein weit größeres und kostengünstigeres Potential: Industrie, Landwirtschaft und auch private Haushalte sollten weniger Wasser verbrauchen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: