Erneuerbare Energie:Wo Strom aus Wasserkraft nicht immer gut für die Umwelt ist

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Mit neuen Anlagen und Kabeln auf dem Meeresgrund treibt Norwegen die Energiewende voran. Für die Klimabilanz ist das positiv, doch die Natur leidet oft.

Von Henrike Wiemker

Wer mit dem Flugzeug ins norwegische Trondheim reist, braucht starke Nerven - oder einen Platz am Gang ohne Blick aus dem Fenster. Die Maschine sinkt im Landeanflug direkt über dem Trondheimfjord, das Wasser kommt näher und näher, man erkennt kleine Schaumkronen auf einzelnen Wellen und rechnet schon fast mit einem Platschen. Dann setzen die Räder ruckelnd auf der Landebahn auf. Genau wie die Stadt selbst ist auch der Flughafen dicht am Wasser gebaut.

Wasser dominiert die norwegische Landschaft auf spektakuläre Weise, gleichzeitig ist es die wichtigste Stromquelle des Landes: 1625 Wasserkraftwerke decken 96 Prozent des Strombedarfs. Dahinter steht nicht etwa eine bewusste Entscheidung aus Klimagründen, sondern es hat sich historisch so entwickelt. Um eine Energiewende, wie sie in Deutschland mühevoll politisch vorangetrieben wird, muss man sich in Norwegen zumindest für den Stromsektor keine Gedanken machen.

So günstig die Wasserkraft aber fürs Klima sein mag, so belastend ist sie für die Natur. Jedes Kraftwerk verändert das Ökosystem eines Flusses, manchmal auch einer ganzen Landschaft. Bei der Forschungsorganisation Sintef in Trondheim sucht man deshalb nach Möglichkeiten, die Energiequelle ökologisch verträglicher zu machen. Umweltingenieur Atle Harby hält fest: "Grundsätzlich muss bei der Wasserkraft immer eine Abwägung getroffen werden zwischen ihrem gesellschaftlichen Nutzen und dem Verlust der Ökosysteme."

Aus einem brausenden Fluss wird ein kleiner Bach. Manche Fische kommen da nicht mehr durch

Diese Abwägung ist nicht immer einfach. "Die meisten ökologischen Folgen", erklärt Harby, "entstehen durch reduzierte Wasserstände in Flüssen oder fast ausgetrocknete Flussbetten." Was das in der Praxis bedeutet, lässt sich weiter südlich am Fluss Otta beobachten. Mit dem Auto geht es dorthin, knapp 300 Kilometer über die Fernstraße E6. Die schlängelt sich eher wie eine kleine Landstraße über die Höhenzüge des Dovrefjells. Nur selten trifft man auf Gegenverkehr, der Blick geht mal weit über grasbewachsene Hochebenen, mal konzentriert auf die schmale Straße zwischen Felswand und Abhang. Hier dominiert die Natur.

Die Otta schließlich liegt abseits der Fernstraße und braust türkisblau durch ein kleines, bewaldetes Tal - noch. Ein Teil des Walds am Hang ist abgeholzt, Bagger rollen über Kies und Geröll. Hier entsteht das Kraftwerk "Nedre Otta", derzeit das größte Ausbauprojekt für Wasserkraft in Norwegen.

Lisbeth Giverhaug ist im Otta-Tal aufgewachsen und hat sieben Jahre lang gegen den Ausbau gekämpft, gemeinsam mit Naturschützern und der lokalen Tourismusbranche. "Wir haben meterweise Gesetze zum Artenschutz, rote Listen, die Wasserrichtlinie, wir waren bei den Parteien, im Parlament, im Ministerium - es interessiert sie nicht", ärgert sich die kleine, energische Frau mit grauen Strähnen im windzerzausten Haar. "Ich liebe dieses Tal! Es ist ein Stück Kultur, das hier verloren geht", sagt sie.

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