Wasser:Waffe und Werkzeug

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Wasser: mal Sintflut, mal heiß ersehnter Regen, mal begehrt, mal gefürchtet. (Foto: dpa)

Es bringt Leben und Tod, Krieg und Frieden. Seine Abwesenheit lässt alles verdorren, seine Überfülle kann alles wegspülen: Zwei neue Bücher bieten eine faszinierende Reise durch die Welt des Wassermanagements.

Von Michael Bauchmüller

Was Wasser zu stiften vermag, an Leben, Nahrung, Mythen, an Phantasie und Energie, und damit auch an Unfrieden: Vielleicht erzählt das kein Fluss so gut wie der Brahmaputra. Entsprungen in einer tibetanischen Sandwüste, windet er sich durch Indien, ehe er sich in Bangladesch mit dem Ganges vereinigt. Alles fließt mit diesem Fluss.

Da wäre etwa die Brahmaputra-Frage, die derzeit Indien und China miteinander beschäftigt. China plant riesenhafte Staudämme, um aus der Kraft des Tsangpo, wie er dort heißt, Strom zu gewinnen. Ein indischer Fluss unter chinesischer Kontrolle: So könnte das Wasser zur Waffe werden, zum strategischen Werkzeug zwischen zwei der mächtigsten Staaten der Welt.

Ohnehin hat Indien ganz eigene Pläne mit dem Fluss. Denn in Teilen des Subkontinents wird das Wasser knapp, weil immer mehr Menschen, immer mehr Felder damit versorgt werden wollen. Die indische Regierung verfolgt deshalb seit einiger Zeit einen gigantomanen Plan, das

"National River Linking Project". Mit künstlichen Kanälen soll ein neues Wassersystem entstehen, das 37 große Flüsse miteinander verknüpft und ihr Wasser in die trockenen Regionen des Landes transportiert. Dreh- und Angelpunkt: der Brahmaputra.

Das wiederum alarmiert Indiens Nachbarn Bangladesch. Sollte Indien beginnen, seine Flüsse künstlich zu regulieren, dann könnte das für das letzte Land am Lauf des Brahmaputra katastrophale Folgen haben: Im flachen Bangladesch würde sich das salzige Meerwasser umso weiter ins Landesinnere vorarbeiten, je weniger Wasser der Unterlauf dieses Flusssystems führt, die Meghna - mit Folgen für Landwirtschaft und Ernährung. Und das in einem Land, das sein fruchtbares Land gerade den Flüssen verdankt, dessen Aufstieg und Niedergang buchstäblich am Wasser hängt.

So nüchtern, so eindrücklich beschreibt der norwegische Historiker und Geologe Terje Tvedt die Welt des Wassers. Er nimmt seine Leser mit an die Schnittstellen von Wasser und Zukunft. Eine davon, wieder am Brahmaputra, ist der Himalaja, der als "Wasserturm" auch die Zukunft Chinas, Indiens, Pakistans beeinflusst. "Ein ganzer Kontinent wird ängstliche Blicke auf dieses Gebirge werfen", so Tvedt. Derweil ringen Indien und Pakistan um den Gletscher Siachen, die "Wasserbank" der Region. Er speist den so wichtigen Indus.

Wasserbanken, Wassertürme, Wasserfürsten - Tvedt erzählt vom Wasser anhand von Episoden über "Wasserfürsten" wie China, die Wasser unter ihre Kontrolle bringen; "Wasserbanken" wie Gletscher, die zu schmelzen drohen und dann nicht nur als Reserve verloren gehen, sondern auch Meeresspiegel ansteigen lassen; und "Wassertürme" wie den Nil, die halbe Kontinente versorgen und gerade deshalb zum Zankapfel werden. Es sind Geschichten über einen Stoff, der in manchen Regionen nicht weiter der Rede wert ist, in anderen aber über Leben und Tod, Krieg und Frieden, Reichtum und Armut entscheidet.

Es sind aber auch Geschichten vom Überfluss: jenen Überfluss, der die Niederlande seit Jahrhunderten dazu zwingt, mit Pumpen das Grundwasser in Schach zu halten; und der Venedig zunehmend vor die Frage stellt, wie die Stadt in der Lagune einen steigenden Meeresspiegel überleben soll. Tvedt ist nicht alarmistisch, aber er schreibt: "Zum ersten Mal sind wir alle dazu verurteilt, die heutige Gesellschaft zu gestalten, indem wir auf Vorhersagen über die Zukunft des Wassers reagieren."

Es ist eben beides: mal Sintflut, mal heiß ersehnter Regen, mal begehrt und mal gefürchtet. Das zeigt auch die Streitschrift der Politikwissenschaftlerin Petra Dobner. Während sich Tvedt auf die großen Zusammenhänge stützt, bemüht sie die eher kleineren: die manische Wassersparsamkeit in deutschen Haushalten; die aus ihrer Sicht irrsinnige Angewohnheit, kistenweise Mineralwasser zu schleppen, statt gutes Wasser aus der Leitung zu trinken; die chronische Überbeanspruchung der Ressource Wasser durch Industrie und Landwirtschaft.

Und natürlich spielen da auch die vielen kleinen und großen Zielkonflikte des Alltags eine Rolle, etwa die Angewohnheit mancher Landsleute, zwar den Müll säuberlich zu trennen, aber Medikamente leichtfertig über die Kloschüssel zu entsorgen. Oder vor lauter Sympathien für erneuerbare Energien zu vergessen, dass der Mais für die Biogasanlagen nur unter erheblichem Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden heranreift. Damit, und mit einem leidenschaftlichen Plädoyer gegen die Liberalisierung der Wasserwirtschaft, lässt sie es aber im Wesentlichen bewenden - was der Komplexität des Themas Wasser am Ende aber nicht gerecht wird.

Tvedt macht das geschickter, wenngleich sich auch über seine Schlussfolgerungen streiten lässt. Alle seine Episoden, seine kleinen Reiseberichte verbinden Vergangenheit und Zukunft. So bettet er die ägyptische Geschichte in die Geschichte des Nils ein, gibt aber zugleich einen Ausblick auf eine schwierige Zukunft: Die Anrainer des Oberlaufs wollen künftig mehr vom Fluss für sich nutzen. Währenddessen schmiedet Ägypten selbst Pläne, ein künstliches Niltal in der Sahara zu schaffen, bewässert durch einen neuen Nebenarm des Flusses. Winston Churchill verglich Ägypten einmal mit einem Tiefseetaucher, dessen langer Atemschlauch der Nil sei, schreibt Tvedt. "Diese Verwundbarkeit, die aus der Lage am unteren Ende des Wasserlaufs resultiert, wird in Zukunft noch größere geopolitische Bedeutung erlangen." Schließlich steige der Wasserbedarf entlang des ganzen Flusses.

Wenn mehr Menschen zum Überleben mehr Wasser brauchen, dieses aber begrenzt ist - was dann? Tvedt setzt auf große Lösungen, auf Technologie. Im großen Stil ließe sich Meerwasser künstlich entsalzen, selbst Wüsten erhielten so neue Perspektiven. Flüsse ließen sich künstlich umleiten, etwa von Sibirien bis hinüber nach Zentralasien. Solche Eingriffe sieht er durchaus in der Logik der Menschheitsgeschichte: Schließlich machten Kanäle und Aquädukte die Menschen erst unabhängig von der Nachbarschaft zu Quellen oder Flüssen. Das 21. Jahrhundert sähe dann nicht mehr künstliche Bewässerungssysteme, sondern von Menschenhand geschaffene Flusslandschaften.

"Ein bedingter Technologieoptimismus ist wohl der einzige Optimismus, der anhalten wird", schreibt Tvedt. Den daraus resultierenden neuen Umweltproblemen geht er nicht nach. Sie werden dann das nächste große Kapitel, in der ewigen Geschichte des Wassers.

Terje Tvedt: Wasser. Eine Reise in die Zukunft. Ch. Links Verlag, 2013. 256 Seiten, 19,90 Euro.

Petra Dobner: Quer zum Strom. Eine Streitschrift über das Wasser. Verlag Klaus Wagenbach, 2013. 94 Seiten, 14,90 Euro.

© SZ vom 07.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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