Süddeutsche Zeitung

Walfang:"Wir stehen vor der nächsten großen Dezimierungswelle"

Japan und Norwegen versammeln immer mehr Gegner des Walfang-Moratoriums um sich. Warum die kommerzielle Jagd auf die Meeressäuger verboten bleiben sollte, und wie das Fehlen einer einzelnen Art ein Öko-System kippen lassen kann, erklärt der Meeresbiologe Boris Culik.

Oliver Das Gupta

sueddeutsche.de: Warum sollte kommerzieller Walfang verboten bleiben?

Boris Culik: Die Kontrolle des Walfangs wäre sehr schwierig - und ist jetzt schon problematisch. Es gibt einige Länder, die ja noch immer Wale jagen wie Island und Japan. Wie viele das genau sind, weiß man nicht, den offiziellen Zahlen sollte man nicht zu viel Glauben schenken, denn in japanischen Geschäften findet sich auch Walfleisch von Arten wie Blauwal und Finnwal, die geschützt sind.

Also: Wenn das Moratorium gelockert oder gekippt werden sollte, stehen wir vor der nächsten großen Dezimierungswelle.

sueddeutsche.de: Warum finden wir Wale eigentlich wichtig?

Culik: Wale sind faszinierende Symbole. Sie sind Säugetiere, lebendgebärend und damit uns Menschen einfach näher als Fische. Natürlich haben Meeressäuger auch einen gesteigerten Sympathiewert nach Filmen wie Flipper und Free Willy.

sueddeutsche.de: Und welche Bedeutung haben sie wirklich in der Natur? Welche Auswirkungen hätte verstärkter Walfang für Flora und Fauna der Ozeane?

Culik: Das lässt sich nicht so leicht sagen, denn die ökologische Forschung ist hier noch nicht so weit fortgeschritten. Allerdings gibt es durchaus aufschlussreiche Fälle.

sueddeutsche.de: ...wie zum Beispiel?

Culik: Bartenwale, also Blau- und Finnwale, die in arktischen Gewässern vor ungefähr 40 Jahren nahezu ausgerottet wurden. Diese Wale ernähren sich von Leuchtgarnelen, Krill. Mit der Dezimierung der Wale nahmen die Populationen an anderen Krill-Konsumenten wie Pinguinen und Seehunden deutlich zu.

Das heißt also: Durch den Wegfall eines großen Räubers in einem Öko-System nutzen andere die freigewordenen Ressourcen.

sueddeutsche.de: In diesem Fall ist das Öko-System aber offensichtlich nicht gefährdet durch den Wegfall einer Tierart.

Culik: Auf jeden Fall hat es sich verändert.

Hier ein anderes Beispiel von der nordamerikanischen Westküste: Der Schwertwal, auch Killerwal genannt, frisst eigentlich gerne Seehunde. Diese sind wiederum dezimiert aufgrund des Fischmangels, der aus der Überfischung und womöglich auch der Klimaerwärmung resultiert. Darum fressen Killerwale inzwischen vermehrt Seeotter, die sich wiederum von Seeigeln ernähren.

Seeigel sind bekannt dafür, dass sie den Kelp, also den langen Seetang, knapp über der Wurzel abbeißen. Ohne die Regulation durch Fischotter fallen den Seeigeln ganze Tangwälder so zum Opfer,

Der Killerwal dezimiert jetzt die Population der Otter, dadurch entsteht ein Überschuss an Seeigeln, was dazu führt, dass es kaum mehr Seetangwälder gibt. Der Tang wiederum ist die Kinderstube für viele Fischarten, deren abnehmende Bestände jetzt wiederum Seehunde und auch die Fischerei gefährden

In diesem Fall ist der Fischotter eine "keystone species", eine Schlüsselart, durch deren Reduzierung ein ganzes Öko-System kippen kann.

sueddeutsche.de: Welche Walarten sind bereits vor dem Moratorium durch Fang gefährdet oder ausgerottet worden?

Culik: Ein Beispiel direkt vor unserer Küste: Der nordatlantische Grauwal lebte bis vor etwa 300 Jahren in der Elbmündung. Diese Art wurde von unseren Vorfahren erfolgreich bejagt - und ausgerottet.

Durch den Walfang waren eine ganze Reihe von Walarten fast ausgestorben, aber einige haben sich in den letzten Jahren erholt. Das Moratorium hat sich also auf jeden Fall ausgezahlt.

Allerdings wirkt sich das Fangverbot nur auf das direkte Töten der Meeressäuger aus, also auf die Jagd. Aber wir beobachten in den Meeren eine Menge menschlichen Raubbau.

Wir entziehen den Walen durch legale und illegale Fischerei langsam die Lebensgrundlage. Wir fischen uns in der Nahrungspyramide immer weiter nach unten: Sind die großen Fischarten erst eliminiert, nehmen wir uns die nächst kleineren vor. Für die großen Räuber wie die Wale bleibt nur wenig zum Fressen übrig. Ein Beispiel dafür ist die Heringfischerei im Nordatlantik.

Das andere Problem sind die Fischerei-Fangpraktiken. Denken Sie an die Thunfisch-Fischerei, wo ganze Delfinschwärme von Netzen mit eingeschlossen werden.

Und schließlich fangen Stell- und Treibnetze weltweit unkontrolliert so genannten Beifang, darunter auch Kleinwale, die elend in den Netzen ertrinken. Die Zahlen der auf diese Weise zu Tode gekommenen Meeressäuger liegen nach Schätzungen zwischen 300.000 und 600.000 pro Jahr.

Daneben gibt es aber noch andere Faktoren, die den Meeressäugern zusetzen.

sueddeutsche.de: Welche wären das?

Culik: Beispielsweise intensiver Schiffsverkehr und Umweltverschmutzung.

Der Nordkapper, eine große Bartenwalart, ist zum Beispiel nach wie vor sehr stark gefährdet. Da er vor der von Schiffen stark befahrenen amerikanischen Ostküste sein Jagdrevier und Kinderstube hat, sterben durch Kollisionen mit Schiffen viele Tiere.

Ein anderer Fall ist der Jangtse-Flussdelfin. Durch die starke Verschmutzung in China ist er vermutlich ausgestorben.

Der Grauwal im West-Pazifik wird wahrscheinlich auch zugrunde gehen, weil dort die Aufzuchtgebiete in Regionen liegen, in denen man Erdölvorkommen gefunden hat.

Das Walfangmoratorium hat also eine wichtige Signalwirkung und muss unbedingt erhalten werden. Was den Schutz der Wale angeht, so müssen wir aber auch die anderen Probleme in den Griff bekommen: den Raubbau an den Meeren und seinen Geschöpfen und die ungebremste Verschmutzung ihrer Lebensräume.

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