Zoologie:Liedermacher der Meere

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Alle Buckelwalmännchen einer Population singen exakt das gleiche Lied.

(Foto: mauritius images)
  • Manche Wale stimmen eine Art Gesang an, der Melodie und Rhythmus hat und in dem Strophen wiederkehren.
  • Dass lediglich die männlichen Tiere singen, und das am häufigsten zur Paarungszeit, deutet darauf hin, dass die Gesänge mit der Partnersuche zu tun haben.
  • Doch wahrscheinlich haben die Lieder noch andere Funktionen.

Von Tina Baier

Tief in den Ozeanen ist es, anders als die meisten Menschen glauben, nicht viel stiller als an Land. Hält man ein Unterwasser-Mikrofon etwa in eine Schule von Delfinen, ertönt ein Wirrwarr von Pfiffen und Klicklauten, das an die Geräuschkulisse eines Spielplatzes erinnert. "Fast alle Meeresbewohner machen irgendeine Art von Geräusch", sagt Fabian Ritter, Meeresbiologe bei der Walschutzorganisation WDC. Insbesondere die Wale sind sehr gesprächig. Doch während sich Zahnwale wie Delfine, Pott- und Schweinswale vor allem über einzelne Laute verständigen, stimmen viele Bartenwale eine Art Gesang an, der Melodie und Rhythmus hat und in dem sich wiederkehrende Strophen unterscheiden lassen - so wie in den Liedern der Menschen.

Warum die Tiere singen und was die Gesänge bedeuten, kann noch niemand so genau erklären. Doch je länger Biologen der Unterwassermusik lauschen, umso deutlicher zeichnet sich ab: Walgesänge sind eine Form der Kommunikation, die sich ähnlich wie die menschliche Sprache kontinuierlich weiterentwickelt.

Die Lieder verschiedener Arten von Bartenwalen unterscheiden sich stark. Blau- und Finnwale haben ein vergleichsweise schlichtes Repertoire. "Die komplexesten Lieder von allen singen die Buckelwale", sagt Fabian Ritter. Der Gesang dieser zwölf bis 15 Meter langen Tiere, die in allen Meeren der Welt leben, basiert auf Tonfolgen, die mehrere Sekunden lang dauern.

Vier bis sechs dieser Basiseinheiten bilden eine Teilstrophe, zwei Teilstrophen eine Strophe, die die Wale zwei bis vier Minuten lang wiederholen. Diesen Abschnitt des Gesangs bezeichnen Walforscher als Thema. Mehrere dieser Themen hintereinander ergeben dann ein Lied, das etwa 20 Minuten lang dauert. "Die Lieder der Buckelwale sind wahrscheinlich die komplexeste Form der Kommunikation, die es im Tierreich gibt", sagt Ritter.

Dass lediglich die männlichen Tiere singen, und das am häufigsten zur Paarungszeit, deutet darauf hin, dass die Gesänge mit der Partnersuche zu tun haben. "Wahrscheinlich erkennen die Weibchen am Gesang der Männchen, wie fit ein Tier ist, und entscheiden sich aufgrund dieser Information für einen Partner", sagt Ilse Van Opzeeland, Meeresbiologin am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Die Tiere komponieren regelrechte Paarungshits.

Alle Männchen einer Population blubbern haargenau dasselbe Lied - aber nur eine Saison lang. Im Jahr darauf haben die Wale ein neues Lieblingslied, das aber auf dem alten basiert. Die Tiere stellen Strophen um, dichten an verschiedenen Stellen etwas hinzu, oder lassen etwas weg. Steht das neue Repertoire, singen wieder alle Wale exakt gleich. "Wie das funktioniert, ist nicht ganz klar", sagt Ritter. Gibt es einen Vorsänger, den alle anderen imitieren? Oder findet gar so etwas wie ein Dialog zwischen den Tieren statt, in dem sich die Wale auf den nächsten Gassenhauer einigen?

Imponiergehabe der Männchen

Klar ist, dass die Lieder einer Population auf diese Weise von Jahr zu Jahr immer komplizierter werden. Die Triebkraft für diese Entwicklung hin zu immer schwierigeren Liedern könnte sein, den Weibchen zu imponieren, mutmaßt Van Opzeeland. "Männchen, die in der Lage sind, sich eine derart komplizierte Abfolge von Tönen zu merken, signalisieren damit, dass sie wirklich fit sind."

In der Evolutionsbiologie spricht man auch vom Handicap-Prinzip. Das klassische Beispiel dafür ist der lange, prächtige Schwanz des Blauen Pfaus. Die langen Federn sind überall im Weg und behindern die Vögel bei der Flucht vor Feinden. Männchen, die trotz dieses Nachteils überleben und es auch noch schaffen, dabei gut und nicht völlig zerrupft auszusehen, sind in den Augen der Weibchen besonders fit. In Analogie signalisieren die Buckelwal-Männer durch ihren komplizierten Gesang vielleicht, dass sie es sich locker leisten können, Zeit und Energie in aufwendige Darbietungen zu stecken, weil sie überschüssige Kraft haben.

In einer Art musikalischer Revolution hören sie schlagartig auf, ihr altes Lied zu variieren. Und stimmen den neuen Hit aus dem Westen an

Weibchen zu beeindrucken, ist aber vermutlich nicht die einzige Funktion der Walgesänge. Darauf deuten unter anderem sogenannte Playback-Studien hin, die zeigen, dass nicht nur weibliche Wale reagieren, wenn man ihnen unter Wasser den Gesang eines - in Wahrheit nicht vorhandenen - Männchens vorspielt, sondern auch die männlichen Tiere. "Unsere Untersuchungen haben zudem ergeben, dass Buckelwale, anders als bisher angenommen, nicht nur zur Paarungszeit singen", sagt Van Opzeeland. Die Tiere, die jedes Jahr zwischen ihren Paarungsgebieten in tropischen und subtropischen Gewässern und ihren Fressgebieten in den polaren Meeren hin und her schwimmen, singen auch während ihrer Wanderungen.

Vieles deutet zudem darauf hin, dass verschiedene Populationen von Walen derselben Art per Gesang miteinander kommunizieren. Die Buckelwale im Osten Australiens zum Beispiel übernehmen alle paar Jahre das Lied ihrer Artgenossen von der Westküste.

Vermutlich hören sie sich die neuen Tonfolgen von einzelnen Tieren ab, die aus dem Westen zu ihnen herübergeschwommen sind. In einer Art musikalischer Revolution hören sie schlagartig auf, ihr altes Lied zu variieren und stimmen stattdessen den Hit aus dem Westen an. "Rätselhaft ist, warum dieser Austausch immer nur von West nach Ost stattfindet und nie umgekehrt", sagt Ritter. Von der australischen Ostküste aus wandern die Lieder - nicht die Wale - dann im Lauf der folgenden Jahre immer weiter nach Osten bis zu Tieren in Französisch-Polynesien, einer knapp 6000 Kilometer entfernten Inselgruppe.

Wissenschaftler um Jenny Allen von der australischen University of Queensland haben die Gesänge der ostaustralischen Wale vor und nach einer solchen Revolution verglichen und herausgefunden, dass das neue Lied viel simpler aufgebaut ist als das alte (Proceedings of the Royal Society B).

Doch warum geben die Wale plötzlich ihr Lieblingslied auf? "Möglicherweise stoßen die Tiere ab einem bestimmten Grad von Komplexität schlicht an die Grenzen ihrer Merkfähigkeit", sagt Van Opzeeland. Und weil sie das Lied nicht mehr verändern können, indem sie es weiter verkomplizieren, machen sie einen radikalen Schnitt. Eine andere Erklärung wäre, dass es sich mit den Liedern der Buckelwale ähnlich verhält wie mit menschlichen Gesängen: Irgendwann kann man auch den größten Hit nicht mehr hören. In diesem Fall würden sich die Tiere aktiv entscheiden, ihr Repertoire zu ändern, weil ihnen das neue Lied besser gefällt.

Einen musikalischen Austausch gibt es auch zwischen Walpopulationen, die in Hörweite voneinander entfernt leben, wie die Buckelwale vor Gabun und die Tiere in der Nähe von Madagaskar. In einer Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift Royal Society Open Science erschienen ist, beschreibt die US-amerikanische Meeresbiologin Melinda Rekdahl, dass sich der Gesang der beiden Populationen zwar unterscheidet, dass es in den Liedern aber auch Stellen gibt, die identisch sind.

Trompeter auf der Jagd

Es ist, als ob die Tiere der beiden Populationen eine gemeinsame Sprache, aber unterschiedliche Dialekte sprechen. Meeresbiologe Fabian Ritter vermutet, dass das gemeinsame Lied einer Buckelwal-Population, auch eine Art gemeinsame Identität schafft, und dass die Tiere anhand des Gesangs erkennen, ob ein Individuum zur eigenen Population gehört oder zu einer fremden. Von Pottwalen sind solche Dialekte schon länger bekannt, und unter Delfinen hat sogar jedes Tier einen eigenen Signaturpfiff, an dem sich die Tiere gegenseitig erkennen.

Wie und von wem junge Buckelwale das Lied ihrer Population lernen, ist noch nicht genau bekannt. "Klar ist aber, dass die Lieder von einer Generation an die nächste weitergegeben werden", sagt Ritter. Seiner Ansicht nach ist es deshalb nicht übertrieben, bei den Gesängen der Buckelwale von einer Art Kultur zu sprechen. Zumindest, wenn man sich darauf einlässt, als Kultur nicht nur typisch menschliche Errungenschaften wie Malerei, Literatur und Theater gelten zu lassen.

Die Blauwale im Atlantik singen von Jahr zu Jahr tiefer und leiser. Weil es mehr Wale gibt oder weil sie etwas ausprobieren?

Fasst man den Begriff weiter, meint Kultur eine bestimmte Gewohnheit oder eine Fertigkeit, die Mitglieder einer Gruppe von Artgenossen unterscheidet, und die sie untereinander weitergeben. Und zwar nicht durch Vererbung, sondern durch sogenanntes soziales Lernen. Dabei macht der Schüler oft die Handlungen seines "Lehrers" möglichst genau nach. So betrachtet, können nicht nur Menschen eine Kultur entwickeln, sondern unter anderen auch Schimpansen, Orang-Utans, Rabenvögel, Elefanten und eben auch Wale. "In der Regel sind es Arten, die in komplexen sozialen Gefügen leben, in denen sich die Tiere gegenseitig als Individuen wahrnehmen, miteinander kommunizieren und kooperieren", sagt Ritter.

Tierische Kultur in diesem Sinne gibt es unter den Buckelwalen nicht nur bei den Gesängen. Auch in der Art und Weise, wie die Tiere jagen, finden sich regionale Unterschiede. Buckelwale in den Küstengewässern vor Alaska zum Beispiel fangen oft gemeinsam ganze Fischschwärme in einer Art Netz aus vielen kleinen Luftblasen.

"Dabei hat jedes Tier eine ganz bestimmte Aufgabe", sagt Ritter. Der "Trompeter" beispielsweise stößt einen charakteristischen Laut aus, kurz bevor ein anderes Tier dann das Blasennetz legt. Die Bedeutung dieses Tons ist noch nicht geklärt, aber Meeresbiologen haben beobachtet, dass Beutefische panisch aus ihrem Schwarm ausbrechen, wenn man ihnen diesen Ton vorspielt, auch wenn weit und breit kein Wal in Sicht ist. So, als wüssten die Fische, dass dieses Geräusch Gefahr bedeutet. Buckelwale in anderen Regionen der Welt kennen diese Art zu jagen dagegen nicht.

Genau wie kulturelle Errungenschaften beim Menschen muss auch tierische Kultur nicht starr sein, sondern kann sich im Lauf der Zeit weiterentwickeln. Ob die schon seit einiger Zeit beobachteten Veränderungen des Gesangs von Blauwalen ebenfalls ein Fall von kultureller Evolution sind, ist noch nicht bekannt. Die Gesänge der Blauwale sind viel schlichter als die der Buckelwale. "Oft geben sie über Stunden die immer gleichen Töne von sich", sagt Ritter. Allerdings singen Blauwale, die mit einer Länge von bis zu 33 Metern die größten lebenden Tiere sind, viel lauter. Ihre Stimme ist mehrere Hundert Kilometer weit zu hören. Wäre das nicht so, würde sie auch niemand hören, da Blauwale fast immer allein unterwegs sind, mit großem Abstand zu Artgenossen.

Schon seit einiger Zeit registrieren Wissenschaftler, dass die Tonhöhe, in der die Blauwale im Atlantik singen, kontinuierlich sinkt. Vor Kurzem haben Meeresforscher der University of Brest in Frankreich genau dasselbe Phänomen bei Blau- und Finnwalen im Indischen Ozean nachgewiesen. Die Tiere singen von Jahr zu Jahr tiefer. Das bedeute gleichzeitig, dass sie leiser singen, schreiben die Forscher um Emanuelle Leroy im Journal of Geophysical Research: Oceans.

Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise müssen die Tiere nicht mehr so laut rufen, um gehört zu werden, da es aufgrund verschiedener Schutzmaßnahmen wieder mehr Blauwale gibt, sodass sich der Abstand der Tiere voneinander verringert hat, mutmaßen die französischen Forscher. Eine andere Theorie hat mit der Versauerung der Ozeane aufgrund der steigenden CO₂-Konzentrationen zu tun. Möglicherweise sind die Rufe in saurem Wasser weiter zu hören, sodass die Blauwale ihre Lautstärke reduzieren können.

Vielleicht haben die beobachteten Veränderungen aber auch gar nichts mit der Umwelt zu tun. In Anbetracht dessen, was man über die Gesänge der Buckelwale herausgefunden hat, ist durchaus vorstellbar, dass die Blauwale einfach mal ein neues Lied ausprobieren wollten. Oder dass ihnen ihre neue tiefe Stimme einfach besser gefällt.

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