Waldbrände in Russland:Die Angst vor der Wolke

In Russland brennen nuklear verseuchte Gebiete - droht jetzt eine neue Tschernobyl-Wolke? Strahlenschützer geben Entwarnung: Wegen der günstigen Wetterlage und der geringen Strahlung erwarten sie keine Gefahr für Deutschland.

Katrin Blawat

Wird es über Deutschland eine zweite Tschernobyl-Wolke geben? Diese Frage dürften sich viele Menschen stellen, nachdem sie die offizielle Bestätigung der Behörden gehört haben: In Russland brennen auch radioaktiv verstrahlte Gebiete, etwa in der Region unweit von Tschernobyl in der Ukraine. Auf die Frage, was das für Deutschland bedeute, haben Strahlenschutzexperten wie Peter Jacob, Direktor des Instituts für Strahlenschutz des Münchener Helmholtz-Zentrums, eine so klare wie beruhigende Antwort: "Nichts." Auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) sagt, dass sich in Deutschland niemand vor Radioaktivität in der Luft fürchten müsse.

Waldbrände in Russland

In Russland brennen Gebiete, die bei der Katastrophe von Tschernobyl verstrahlt wurden. Eine radioaktive Wolke wie 1986 droht Deutschland nach Expertenmeinung aber nicht.

(Foto: dpa)

Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen sorgt die seit Tagen herrschende Windströmung dafür, dass sich die Luft über Russland nur wenig bewegt. Anders als bei der Explosion in Tschernobyl werden radioaktive Partikel durch die Flammen nicht kilometerhoch in die Luft geschleudert. Brandwolken bewegen sich typischerweise in einer Höhe von 100 bis 200 Metern, und dort herrschen viel niedrigere Windgeschwindigkeiten als in mehreren Kilometern Höhe. "Das ist nicht mit der Situation zu vergleichen, wie wir sie beispielsweise nach dem Vulkanausbruch auf Island hatten", sagt Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst.

"Verglichen mit Tschernobyl ist das gar nichts"

Den Berechnungen der Meteorologen zufolge könnten sich bis zum Wochenende allenfalls einige Partikel Richtung Norden nach Sibirien ausbreiten. "Aber nicht nach Deutschland", sagt Friedrich. Verlässliche Vorhersagen, die über das Wochenende hinausgehen, seien zurzeit noch nicht möglich. Entscheidend für die Ausbreitung der Partikel ist auch der Niederschlag: Regen lässt die Partikel schneller zu Boden sinken.

Die aktuelle Wetterlage ist nicht der einzige Grund, warum Experten Entwarnung für die Situation in Deutschland geben. "Verglichen mit der Radioaktivität, die nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl freigesetzt wurde, ist das jetzt gar nichts", sagt Strahlenschutzexperte Peter Jacob.

Er und seine Kollegen können sich unter anderem auf ihre Erfahrung mit früheren Bränden stützen. Auch im Jahr 2002 standen große Torfgebiete in Russland in Flammen. Damals registrierte das BfS an seiner Messstelle nahe Freiburg zwar Spuren radioaktiven Cäsiums. Diese wurden aber eindeutig als unbedenklich eingestuft, sie lagen im Bereich weniger Mikro-Becquerel.

"Bei den diesjährigen Bränden haben wir noch keine Radioaktivität in Deutschland gemessen", sagt BfS-Sprecher Florian Emrich. "Ob sich daran in nächster Zeit etwas ändern wird, lässt sich derzeit kaum abschätzen." Das BfS unterhält ein bundesweites Netz von Messsonden, sodass jede radioaktive Strahlung sofort registriert würde, wie Emrich sagt.

Cäsium bleibt 100 Tage im Körper

Die Region um Tschernobyl ist seit 1986 vor allem mit Cäsium-137 kontaminiert. Dieses verliert wie jedes radioaktive Material mit der Zeit einen Teil seiner Strahlenlast. Im Fall des Cäsiums dauert es 30 Jahre, bis sich die Hälfte des strahlenden Materials zersetzt hat. "Was da jetzt brennt, ist also nur noch ein kleiner Teil dessen, was nach der Explosion frei wurde", sagt Jacob, zumal der Boden schon einiges von der strahlenden Substanz aufgenommen habe.

Allerdings sinkt radioaktives Material in Torf- und Waldböden langsamer in tiefere Schichten hinab als etwa auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Kontaminierte Partikel, die auf der Oberfläche oder in den Bäumen gebunden bleiben, können entweder mit dem Ruß in die Luft steigen oder bei Löschversuchen ins Grundwasser gelangen. Unklar ist bislang allerdings, ob in Russland bereits Radioaktivität in der Luft gemessen wurde.

Gefährlich ist die Langzeitwirkung

Die Vorstellung, radioaktive Partikel einzuatmen, beunruhigt zwar - die größte Gefahr sei dies aber nicht, wie Jacob sagt. "Radioaktives Cäsium schadet vor allem durch seine Langzeitwirkung", sagt der Münchener Strahlenschutzexperte. "Atmet man es ein, bleibt es nur etwa 100 Tage im menschlichen Körper. Das reicht nicht, um wirklich große Schäden anzurichten." Viel gefährlicher ist es, wenn man dem strahlenden Material lange Zeit ausgesetzt ist. Das müssen nun vor allem die Menschen in Russland befürchten, wenn das Cäsium mit dem Ruß Land erreicht, das bislang nicht kontaminiert ist und auf dem vielleicht noch Viehzucht oder Ackerbau betrieben wird. Dringt das strahlende Material dort in den Boden ein, kann es schnell in die Nahrungskette gelangen.

Dieses Szenario kann nicht nur die Menschen rund um Tschernobyl betreffen, sondern auch diejenigen in der Nachbarschaft der Plutoniumfabrik Majak. Dort ist das Gelände seit einer Explosion im Jahr 1957 vor allem mit radioaktivem Strontium belastet. Auch bei diesem Material ist die Langzeitwirkung am gefährlichsten; es zerfällt ähnlich langsam wie Cäsium.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: