Waldbrände in den USA:Die Feuerspringer von Montana

In den Rocky Mountains haben Waldbrände in den vergangenen Jahrzehnten massiv zugenommen. Verwegene Feuerwehrleute mit Fallschirmen kämpfen dagegen an.

Christopher Schrader

Wenn der Winter nach Missoula kommt, kann Dan Cottrell endlich wieder flicken und nähen. Der Feuerwehrmann verbringt dann seine Tage an einer alten Industrienähmaschine und fertigt dicke, feuerfeste Overalls an. Die Kleidung will sorgfältig geschneidert sein, schließlich soll sie ihn beschützen, wenn er aus einem Flugzeug über brennenden Wäldern abspringt.

Waldbrand in Montana, 2001

Waldbrand in Montana 2001. Von März bis November ist Waldbrandsaison in den Rocky Mountains.

(Foto: AP)

Später inspiziert Cottrell die Fallschirme, die in einer doppelstöckigen Halle zum Trocknen hängen. Er zieht die Falten auseinander und prüft das blau oder rot schimmernde Gewebe auf beginnende Risse. Und er kontrolliert das Haltbarkeitsdatum der Bündel in den Regalen hinter dem langen Packtisch, aus denen die Männer bei Alarm ihre Fallschirme ziehen. Spätestens alle sechs Monate werden die Gespinste aus Nylon und Schnüren neu verpackt, damit sich an den Falten keine Schwachstellen bilden. Natürlich machen das nur die Feuerwehrleute, die wie Cottrell eine Lizenz zum Falten haben.

Von März bis November ist Waldbrandsaison in den Rocky Mountains. Bei Alarm müssen die Feuerspringer binnen Minuten ihre Ausrüstung anlegen und in die DC-3 oder die kleinere Sherpa klettern. Aus dem Flugzeug springen sie über schwer zugänglichen Brandherden ab, möglichst wenn das Feuer noch relativ klein ist.

Die Maschinen stehen am Rande des Flughafens von Missoula im Südwesten Montanas, den die Bewohner der Universitätsstadt international nennen, weil auch Maschinen aus dem benachbarten Kanada landen. Von hier aus erreichen die Feuerspringer die wilde Berglandschaft der Rocky Mountains, den Yellowstone-Nationalpark und ein Dutzend geschützter staatlicher Wälder. Ihre Feuerwache ist die größte "Smokejumper"-Basis des Landes; von den landesweit 400 Fallschirm-Feuerwehrleuten sind hier 75 stationiert, ihr Einsatzgebiet reicht von New Mexico bis Alaska und nach Westen bis zur Pazifikküste.

Sie haben viel zu tun, die Brände in den USA sind in den vergangenen Jahrzehnten immer bedrohlicher geworden. Die Saison, in der Feuer durch die Rockies brennen, hat sich seit den 1970er-Jahren um 78 Tage verlängert. Die Behörden zählen nun im Mittel 74.000 Feuer pro Jahr, die 2,7 Millionen Hektar Wildnis vernichten. In der Statistik verbrannter Flächen seit 1960 belegen die Jahre 2004 bis 2007 die ersten vier Plätze; nur zwei Jahre der Zeit vor 1996 schaffen es unter die ersten Zehn.

Mehr Siedler - mehr Feuer

Weltweit Schlagzeilen machen vor allem Feuer in den Hügeln über Los Angeles, die von den heißen Santa-Ana-Wüstenwinden angefacht werden. Aber auch in eher undramatischen Jahren wie 2009 und 2010 lodern spektakuläre Feuer: In Utah brannte ein Waldstück durchgehend von Juli bis Oktober. In Idaho vernichtete Ende August ein Brand 134.000 Hektar Gras- und Buschland, das Wildpferden als Lebensraum diente. Und am Rande von Boulder bei Denver in Colorado vernichtete das Fourmile-Canyon-Feuer Anfang September 170 Häuser, 3500 Anwohner wurden evakuiert.

Feuerspringer Flugzeug

Feuerspringer-Flugzeuge stehen auf dem Flughafen von Missoula im Südwesten Montanas.

(Foto: Christopher Schrader)

Dass im Westen der USA zunehmend Menschen in der Wildnis siedeln, erklärt die Zunahme der Brände zum Teil; auf jeden Fall bringt es die Feuerwehrleute zusätzlich in Bedrängnis. Manchmal würden sie die Flammen lieber sich selbst überlassen. "Oft landen wir nur, um das Feuer ein wenig zu lenken, nicht um es zu löschen", sagt Dan Cottrell. Das markiert einen Wandel in der Politik der Behörden im Westen. "Als ich anfing, war die Devise: Jeder Brand muss bis zehnUhr morgens gelöscht sein", sagt der inzwischen grauhaarige Kevin Ryan vom Feuerlabor des US Forest Service, das in Missoula neben der Basis der Smokejumper liegt. "Heute betrachten wir Feuer als natürlichen Teil der Landschaft."

Aber das Zuschauen kommt im Fall bewohnter Gebiete nicht in Frage. Auch jene Amerikaner, die sich zum Ruhestand den Traum vom Haus in der Wildnis der Rocky Mountains erfüllt haben, erwarten, dass die Feuerwehr ihr Leben und ihren Besitz schützt.

Die urigen Blockhütten mitten im Wald haben aber bisweilen einen fatalen Effekt: Sie können ein natürliches und für viele Bäume ungefährliches Feuer nach oben verstärken - zu den Kronen der Bäume. Die typischen Hölzer der nördlichen Rocky Mountains, Ponderosa und Lodgepole Pine sowie Douglas Fir (Gelb- und Küstenkiefer und Douglasie) tragen ihre Äste weit oben. Feuer am unteren Stamm schadet ihnen kaum, im Gegenteil, teilweise brauchen sie die Hitze, damit sich ihre Zapfen öffnen und die Samen auf den fruchtbaren, vom Feuer gefegten Waldboden fallen können.

Einen ebenso negativen Effekt hatte die Brandbekämpfungspolitik vergangener Jahrzehnte. Die Zehn-Uhr-morgens-Regel hat zu einem gewaltigen Anwachsen des Unterholzes geführt, das nicht mehr in natürlichen Zyklen abbrannte. Darunter sind mittelhohe Büsche und Bäume, die bis an die unteren Äste der Fichten reichen. Bricht jetzt Feuer aus, findet es sehr schnell so viel Nahrung, dass es kaum noch zu beherrschen ist. "Das eine Prozent der Brände, das außer Kontrolle gerät, verursacht 85 bis 90 Prozent der Kosten", sagt Ron Steffens vom Green Mountain College in Vermont, der im Winter als Professor und im Sommer als Feuerwehrmann arbeitet.

Mehrere Faktoren verschärfen die Situation: Klimaforschern zufolge lässt die globale Erwärmung den Schnee in den Bergen früher schmelzen und beschert der Landschaft im Frühling höhere Temperaturen. Und dann ist da die Dachtrespe, ein aus Europa eingeschlepptes Gras, das die Amerikaner cheatgrass nennen, weil seine Samen einst Weizensaatgut verunreinigt hatten. Inzwischen steht das fremde Unkraut in den Wäldern bis zu 90Zentimeter hoch - und ist ein perfekter Brandbeschleuniger. "Wo das Gras wächst, können alle drei bis fünf Jahre Feuer ausbrechen", sagt Kevin Ryan. "Wo es nicht wächst, ist nach einem Brand 35 bis 50 Jahre lang Ruhe."

Die Käfer und das Feuerlabor

Mountain pine beetles

Eine Gefahr für die Wälder sind die Mountain pine beetles. Sie breiten sich seit einigen Jahren dramatisch aus.

(Foto: Christopher Schrader)

Eine weitere Gefahr für die Wälder sind kleine braune Käfer, die Mountain pine beetles. Sie sind an sich alte Bewohner der Wälder, breiten sich aber seit einigen Jahren dramatisch aus. Im Lubrecht Experimental Forest bei Missoula macht sich Frank Maus vom nationalen Forstdienst mit Hammer und Stemmeisen auf die Suche nach den Insekten. Er geht zu einem Waldstück, wo die Stämme rote Bänder tragen. "Diese Bäume sind schon tot", sagt er, "sie wissen es nur noch nicht."

Er sucht nach einem wachsartigen Knubbel in der Rinde, wo der Baum vergeblich versucht hat, die Eindringlinge mit Harz zu bekämpfen. Darunter setzt Maus das Werkzeug an und meißelt ein großzügiges Stück Borke vom Stamm. Dann bohrt er im feuchten Holz und legt sich ein braunes Korn auf die Handfläche. Es fängt bald an, mit sechs Beinchen in der Luft zu rudern.

"Die Käfer befallen die Bäume zu Tausenden und legen ihre Eier unter die Rinde", sagt der Förster. Dort zapfen die Larven die Nährstoffkanäle des Baumes an und bringen ihn so um. Die zunehmende Wärme, oder genauer die abnehmende Kälte im Winter, beschleunigt die Fortpflanzung der Insekten. "Sie schaffen jetzt jedes Jahr einen Lebenszyklus statt wie früher nur alle zwei Jahre", sagt der Förster. Die Bäume bleiben als leblose Gerippe zurück, bis sie umstürzen oder noch stehend zur Beute der Flammen werden. In den gesamten Rocky Mountains sammelt sich dieser Brennstoff an.

Was das alles bedeutet, erkundet das Feuerlabor des US Forest Service - wo die Mitarbeiter absichtlich Feuer legen. Herzstück des Instituts ist eine drei Stockwerke hohe Halle mit einem gewaltigen Kamin und zwei Windkanälen. Hier zündeln die Wissenschaftler mit Holz oder halben Dachstühlen, geben dabei die Eigenheiten des Wetters vor und fangen sämtliche Verbrennungsprodukte auf. "Die Halle enthält genügend Sauerstoff, wir müssen keine Luft unkontrolliert zuströmen lassen", schwärmt Kevin Ryan. Das erlaubt es den Forschern, exakte Bilanzen der Energie, der chemischen Prozesse und der Wärmeentwicklung eines Brandes aufzustellen.

Besonders interessant sind die Experimente bei trockener Luft. "Die macht hier im Sommer jeden Feuerwehrmann nervös", sagt Ryan. Die Versuche aber lassen sich besonders gut im Winter starten, wenn die Bergluft draußen kalt und trocken ist. Wird sie im Labor aufgewärmt, "geht die relative Luftfeuchtigkeit in den Keller", erklärt Ryan. Holz entzündet sich dann besonders gut; das Feuer lodert heiß zum großen Abzug auf, von Ryans Instrumenten überwacht.

Rechts in der Ecke steht noch ein gläserner Zylinder, der wie ein überdimensionierter Kaminofen für das Wohnzimmer wirkt. Hier können die Forscher sogenannte Feuertornados auslösen, lokale Wirbel von großer Zerstörungskraft, die sich bei bestimmten Windverhältnissen dort bilden, wo das Feuer besonders viel Nahrung findet.

Aus solchen Wirbeln schießen Glutpartikel heraus und überspringen schnell die Schneisen, die Feuerwehrleute geschlagen haben, um einen Waldbrand zu kontrollieren oder eine Sicherheitszone zu schaffen. Die Daten aus den Experimenten fließen inzwischen direkt in die Einsatzplanung, weil Kevin Ryan und seine Kollegen Simulationsprogramme entwickelt haben, die die Ausbreitung des Feuers berechnen.

Dan Cottrell und seine Feuerspringer müssen sich auf diese Software verlassen, wenn der Alarm durch ihre Basis gellt. Sie schlüpfen in die Arme ihres dicken Overalls, ziehen zwischen den Beinen einen Latz nach vorn und schließen das fünf Kilogramm schwere Gewand mit langen Reißverschlüssen. Ein hoher Kragen verhindert, dass fliegende Glut oder Holzsplitter unter den Helm geraten, das Gesicht verbirgt sich hinter einem Visier. Auf dem Rücken tragen die Smokejumper ihren Fallschirm, vorn die Reserve und darunter den Rucksack mit ihrer Ausrüstung. In den Seitentaschen des Anzugs stecken Axt, Messer und ein Seil für die Landung im Baum.

40 Kilogramm Ausrüstung

Feuerspringer

Dan Cottrell inspiziert die Fallschirme. Bei 460.000 Absprüngen hat sich sechs Mal der Hauptfallschirm nicht geöffnet, sondern nur die Reserve.

(Foto: Christopher Schrader)

"Wir tragen schnell 40 Kilogramm Ausrüstung am Körper", sagt Cottrell. "Und zusammen mit den Motorsägen und den Pappkartons voller Vorräte, die mit Lastfallschirmen abgeworfen werden, können 70 Kilogramm pro Smokejumper zusammenkommen."

Aus den Kartons müssen die Feuerwehrleute mehrere Tage leben, sie enthalten neben Wasser vor allem konservierte, kalorienreiche Lebensmittel. "Wir haben inzwischen viele kreative Rezepte, wie man Spam zubereiten kann", sagt Cottrell, denn das Dosenfleisch bietet gut haltbare, reiche Ernährung.

Dick gepolstert und schwer bepackt hasten die Helfer dann am gerahmten Filmposter von "Red Skies of Montana" vorbei zum Flugzeug. In dem Film von 1952 spielt Richard Widmark einen Feuerspringer, der in Missoula stationiert ist. Über der Brandstelle angekommen, werfen Cottrells Männer einen Probeschirm ab, um die lokalen Windverhältnisse zu testen. Dann springen sie einzeln oder zu zweit ab; die Reihenfolge haben sie vorher ausgelost.

Ihre Anzüge verhindern, dass sich Äste in den Körper bohren, wenn Cottrell oder seine Kollegen in einem Baum hängen bleiben. Wegen des rauen Terrains misslingt so manche Landung, jede hundertste, schätzt der Feuerwehrmann, führt zu einer Prellung am Arm oder einem verstauchten Knöchel. Zu Tode gestürzt sei aber noch keiner: Bei 460.000 Absprüngen hat sich sechs Mal der Hauptfallschirm nicht geöffnet, sondern nur die Reserve. Es sind aber Kollegen unten in den Feuern umgekommen, der letzte im Jahr 2000.

"Alles in allem ist die Fahrt zur Arbeit gefährlicher", sagt Cottrell im durchsichtigen Bemühen zu untertreiben. Den Einsatz beschreibt er darum als "harte und dreckige Arbeit mit der Schaufel". Die Feuerspringer versuchen nur selten, Brände direkt zu löschen, weil sie meistens keinen Zugang zu Wasser haben. Stattdessen legen sie Gegenfeuer oder schlagen Schneisen, die dem Feuer Grenzen setzen sollen.

Ihr wichtigstes Werkzeug ist die Pulaskiaxt, eine Kombination aus Beil, Hammer und Spitzhacke, mit der die Männer Gräben in den Waldboden schlagen. Wo nur kleine Büsche brennen, kann schon eine solche Barriere das Feuer stoppen. Sonst benutzen die Feuerwehrleute Motorsägen, um ein Gebiet von Brennstoff zu säubern. Allerdings können sich die Verhältnisse auch plötzlich ändern, und wenn sich Feuertornados bilden, müssen die Männer zuerst an ihre eigene Sicherheit denken. Darum hat Cottrell eine eiserne Regel: "Lande nie auf einem Hang über dem Feuer, wenn es die Chance hat, nach oben zu brennen."

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