Deutschland verbraucht zu viel Holz - das ist das Ergebnis einer Studie der Umweltschutzorganisation WWF in Zusammenarbeit mit der Universität Kassel, die der SZ vorab vorliegt. Pro Kopf wird hierzulande mehr als doppelt so viel Holz verbraucht wie im weltweiten Durchschnitt. Doch auch global gesehen ist die starke Nachfrage nach Holz laut dem WWF nachhaltig nicht zu decken.
In den vergangenen 60 Jahren ist der weltweite Verbrauch von Holz demnach um fast 60 Prozent gestiegen. Zwischen 4,3 und 5 Milliarden Kubikmeter Holz wurden im Jahr 2020 weltweit aus den Wäldern geerntet. Das sind laut der Studie bis zu zwei Milliarden Kubikmeter zu viel. Ein so hoher Bedarf lässt sich demnach nicht nachhaltig decken, die Biodiversität der Wälder sei gefährdet. Für die kommenden Jahrzehnte warnen die Autoren der Studie zudem vor einer weiter wachsenden Kluft zwischen Angebot und Nachfrage, denn der Bedarf an Holz steigt weltweit rasant.
Etwa die Hälfte des geernteten Rohstoffs wurde 2020 als Energieholz zum Heizen oder Kochen verwendet, die andere Hälfte zur industriellen Herstellung von Papier, Zellstoff und weiteren Materialien. Auch auf die Frage nach nachhaltigen Lösungen scheint für viele Branchen Holz die Antwort zu sein. Holz wird zunehmend als Alternative zu fossilen Rohstoffen verwendet, wie etwa für holzbasierte Biokunststoffe oder zellulosehaltige Fasern für Textilien. Die zahlreichen Möglichkeiten für den Einsatz von Holz sorgen für einen branchenübergreifenden Wettbewerb um den vielseitigen Rohstoff und treiben damit die Preise in die Höhe. Laut dem Statistischen Bundesamt lag der Preis für Rohholzprodukte in Deutschland im April um mehr als ein Drittel über dem Preis vor zwölf Monaten.
Der WWF fordert, dass die Entscheidung über die sinnvollste Verwendung von Holz nicht von Finanzmärkten bestimmt werden dürfe, sondern in Politik und Gesellschaft diskutiert und priorisiert werden müsse. "Besonders die energetische Nutzung von Holz, also zum Heizen und zur Energieerzeugung, frisst ein massives Loch in die Waldbestände", sagt Susanne Winter, Programmleiterin Wald beim WWF. Wird frisch gewonnenes Holz zum Heizen verbrannt, entfällt auch die Möglichkeit, den Rohstoff mehrfach zu verwenden.
Wichtig sei daher, Holz für langlebige Zwecke zu verwenden und eine Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Erst am Ende des Kreislaufs, nach Wiederverwendung und Recycling, solle Holz zur Energiegewinnung eingesetzt werden. Auch Gabriele Weber-Blaschke, Professorin in der Holzforschung der TU München, sieht die sogenannte Kaskadennutzung von Holz als einen wichtigen Schritt zum effizienteren Einsatz des Rohstoffs. Besonders in der Baubranche sei Holz eine sinnvolle Lösung, wenn es beispielsweise nach langjähriger Verwendung als Balken oder Möbel im nächsten Schritt zur Spanplatte verarbeitet und erst im letzten Schritt energetisch genutzt werde. "Je länger die Nutzungsdauer ist, desto länger wird der Kohlenstoff festgelegt", sagt die Expertin.
Trotz großer Waldflächen kann Deutschland seinen Bedarf schon heute nicht mehr mit den eigenen Ressourcen decken.
Wird mehr Holz geerntet als im gleichen Zeitraum nachwächst, entsteht langfristig eine Versorgungslücke. Der WWF gibt als Grenze für eine nachhaltige, weltweite Holznutzung die jährliche Entnahme von 50 bis maximal 80 Prozent des Holzes an, das im gleichen Zeitraum wieder zuwachsen kann. Besonders in den europäischen Ländern sei diese Grenze teilweise schon überschritten. Trotz großer Waldflächen kann Deutschland laut WWF seinen Pro-Kopf-Bedarf an Holz von etwa 1,35 Kubikmeter ohne Rinde schon heute nicht mehr mit den Ressourcen im eigenen Land decken.
Langfristig gesehen hat der hohe Holzkonsum dramatische Folgen, denn der Verlust von Waldflächen geht auch mit dem Verlust von Lebensräumen einher. Intensiv bewirtschaftete Holzplantagen, die heute bereits etwa drei Prozent der weltweiten Forstflächen ausmachen, tragen hingegen kaum zur Biodiversität bei. Außerdem führt die Übernutzung des Waldes zu einem geringeren Speichervermögen für Kohlenstoff, wodurch der Klimawandel weiter vorangetrieben wird.
Zunehmende Trockenheit, Hitze und Stürme stellen neben dem Holzhunger der Menschen eine zusätzliche Gefahr für die Wälder dar. Wetterextreme, Waldbrände oder Schädlingsbefall sorgen dafür, dass weniger Holz zur Verfügung steht. "Durch extreme Trockenheit ist in bestimmten Gegenden Deutschlands besonders die Fichte schon stark betroffen", erklärt Weber-Blaschke. Zur besseren Anpassung der Wälder an höhere Temperaturen gebe es zwar Möglichkeiten, verschiedene Baumarten zu kombinieren oder Bäume aus anderen Klimazonen in die heimischen Wälder einzubringen. Hier gebe es jedoch Risiken, wie etwa durch eingeschleppte Schädlinge.
Die Wissenschaftler des WWF gehen anhand von Verbrauchstrends der vergangenen Jahre von einem Bedarfswachstum an Holz von bis zu 28 Prozent bis 2050 aus. Gleichzeitig könnten die Auswirkungen des Klimawandels dazu führen, dass die Menge an verfügbarem Holz um bis zu 35 Prozent sinkt. Verschiedene Szenarien der Studie zeigen, dass es kaum möglich ist, den Bedarf bis 2050 zu decken. "Es ist ein Teufelskreis, an dessen Ende die Zerstörung von unersetzlichen Wäldern wie dem Amazonas steht", sagt Susanne Winter vom WWF. Ohne politische Steuerung drohe den bereits übernutzten Wäldern eine noch schnellere Degradierung.