Waffentechnologie:Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin

Militärroboter und Maschinen verändern das Wesen gewaltsamer Auseinandersetzungen: Wenn Soldaten aus sicherer Entfernung mit dem Joystick töten, könnte die Hemmschwelle für Kriege sinken.

Christian Weber

Die Kriege der Menschen haben sich in den letzten 5000 Jahren häufig verändert, doch eines zeichnete sie bislang alle aus: Wer an ihnen teilnahm, riskierte sein Leben. Mit dem Einsatz von unbemannten Militärrobotern beginnt sich diese fundamentale Tatsache derzeit zu ändern. Die Frage ist, ob das gut ist.

-

Ein ferngesteuerter Spähroboter inspiziert eine mögliche Straßenbombe in Bagdad. Seit Beginn des Irakkrieges hat das US-Militär sein Arsenal an Kriegsrobotern am Boden und in der Luft extrem ausgeweitet; die Systeme werden zunehmend intelligenter und könnten bald autonom agieren.

(Foto: AFP)

Es ist keine hypothetische Frage. Wie etwa der führende Experte zu diesem Thema, Peter Singer, ein Direktor bei der Brookings Institution in Washington, kürzlich auf einer Veranstaltung der TNG Technology Consulting in München berichtete, sind Roboter längst dabei, die Schlachtfelde´r zu erobern:

So verfügte etwa die US-Streitkräfte noch zu Beginn des Irakkrieges im Jahr 2003 gerade mal über eine Handvoll unbemannter Flugkörper; mittlerweile betreibt sie 12.000 Bodenroboter und 7000 in der Luft.

Die sogenannten Predator-Drohnen etwa werden meist von Kontrollzentren in Nevada vom Sessel aus gesteuert. Am Ende eines soldatischen Arbeitstages, angefüllt mit Aufklären, Zerstören und Töten aus gut 11.000 Kilometern Entfernung, können die Joystick-Krieger nach Hause fahren, die Tochter von der Schule abholen und den Rasen mähen. So gewinnt ein verbrauchter Slogan der alten Friedensbewegung eine ganz neue Bedeutung: "Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin."

Strategie-Experte Singer ist davon überzeugt, dass die Militärroboter den Krieg revolutionieren werden wie die Erfindung der englischen Langbogen, des Schießpulvers oder der Atombombe. Neue strategische, politische, juristische und ethische Fragen stellen sich.

"Die technische Entwicklung ist unabsehbar"

Schon die technische Entwicklung ist unabsehbar, warnt Singer und verweist auf die Dynamik der Informationstechnologie und der Ingenieurskunst. "Heute hat eine elektronische Grußkarte mehr Rechenpower als die gesamten US-Streitkräfte im Jahre 1960 hatte." Wer will da wirklich wissen, was uns militärtechnisch im Jahr 2060 erwartet?

BigDog

BigDog, ein vierbeiniger Ausrüstungsroboter für schweres Gelände, entwickelt von der Firma Boston Dynamics.

(Foto: Boston Dynamics)

Die Prototypen der nächsten Generation zeigen, wohin der Trend geht: weg vor allem von menschenähnlichen Dimensionen und Formen. Ein Überblicksartikel der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Scientific American stellt das kommende Arsenal vor:

Da gibt es BigDog, einen vierbeinigen Ausrüstungsroboter für schweres Gelände oder den Aufblasroboter ChemBot, der derzeit von der University of Chicago und der Firma iRobot entwickelt wird und aussieht wie ein erschlaffter Gummiball: Er kann mit Hilfe von Druckluft seine Form verändern und sich derart durch enge Spalten und Löcher zwängen.

Die kalifornische Technologiefirma AeroVironment arbeitet an einer millimeterkleinen Spähdrohne, die mit der Größe und Flugtechnik eines Kolibris das feindliche Lager erkunden soll.

Manche Wissenschaftler phantasieren bereits über Nano-Militärroboter, die im menschlichen Körper automatisch Wunden verschließen - oder verursachen. Näher an der Gegenwart und am anderen Ende der Größenskala steht das raumschiffartige, unbemannte High-Altitude-Airship-Projekt (HAA) von Lockheed Martin, das mit einem Radar von der Größe eines Fußballfeldes ausgerüstet sein wird und bis zu einem Monat in knapp 20.000 Metern Höhe verbleiben soll.

Verführerische Optionen

US-Drohnen mit Billig-Software 'angezapft'

Eine Drohne vom Typ MQ-1 Predator. Diese unbemannten Kleinflugzeuge werden meist von Kontrollzentren in Nevada vom Sessel aus gesteuert.

(Foto: dpa)

Die technischen Phantasien verbinden sich mit einem auf den ersten Blick starken ethischen Argument: Wenn denn schon ein Militäreinsatz für notwendig erachtet wird, was spricht dagegen, unsere Leute aus den Gefechten herauszuhalten? Zumal ja vor allem die Bodenroboter derzeit noch meist für akzeptable Zwecke eingesetzt werden:

Die verbreiteten PackBots etwa werden vor allem ausgeschickt, um Scharfschützen auszuspähen; oder sie übernehmen die Arbeit der Räumkommandos, schließlich explodieren im Irak jeden Tag Straßenbomben. Singer versteht die neue Begeisterung der Militärs für die putzigen Kleinroboter, die man durch ein Fenster in ein Haus werfen kann, das sie dann erkunden.

Selbst einen Absturz aus dem ersten Stock überleben sie meist unbeschadet, und wenn nicht, tut das niemandem weh. "Wenn ein Roboter stirbt, muss man nicht dessen Mutter schreiben."

Andererseits führt die Möglichkeit, einen militärischen Einsatz ohne eigene Opfer zu bestreiten, zu verführerischen Optionen: Politiker, die keine aufgebrachte Öffentlichkeit fürchten müssen, die um ihre toten Soldaten trauert, tun sich leichter damit, einen Krieg zu beginnen.

So hat die USA in Pakistan bereits mehr als 130 Luftangriffe mit Drohnen gegen Standorte von al-Qaida und den Taliban geführt - dreimal mehr Einsätze, als die US-Airforce in der Eröffnungsrunde des Kosovo-Krieges geflogen hat. Da bei diesen Roboterangriffen keine amerikanischen Leben gefährdet sind, werden sie von den Medien wenig beachtet und im Kongress nicht diskutiert. Die Hemmschwelle für die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln sinkt.

Drohnen töten auch Zivilisten

High-Altitude-Airship-Projekt (HAA)

High-Altitude-Airship-Projekt (HAA) Das High-Altitude-Airship-Projekt (HAA) von Lockheed Martin soll mit einem Radar von der Größe eines Fußballfeldes ausgerüstet sein und bis zu einem Monat in knapp 20.000 Metern Höhe verbleiben.

(Foto: Lockheed Martin Corporation)

Vielleicht sollte die US-Öffentlichkeit beachten, dass die Drohneneinsätze bislang nicht nur 40 militante Islamistenführer getötet haben, sondern auch geschätzte 200 bis 1000 Zivilisten, kritisiert Singer.

Nach Recherchen vor Ort befürchtet er, dass der zunehmende Einsatz von Kriegsrobotern dem Ansehen und dem Anliegen des Westens schadet. Eine führende pakistanische Tageszeitung habe die USA wegen der unbemannten Angriffe zur offiziellen Hassfigur ernannt, in der Rocklyrik der Region sei "Drohne" zu einem geläufigen Urdu-Wort geworden: Mit ihm bezeichnet man Amerikaner, die einen feigen Kampf führen.

Das mag Militärs wenig berühren, die hoffen, dass sie dank ihrer technologischen Überlegenheit Siege ohne eigene Opfer feiern können. Doch auch hier warnt Singer, dass bereits über 40 Staaten an Militärrobotern arbeiten, manche Technologien seien sogar begabten terroristischen Bastlern zugänglich.

So würde die Hisbollah im Libanon bereits die ersten eigenen Drohnen lenken. Zu denken geben sollte der Fall des 77-jährigen, blinden Bastlers Maynard Hill: Ihm gelang es bereits 2003, ein selbst gebautes Modellflugzeug über den Atlantik zu bringen. Hitlers Ingenieure hatten das in umgekehrter Richtung noch vergebens versucht. Singer kommentiert lakonisch: "War goes Open Source."

Höchste Zeit also, dass sich die Staaten der Welt ähnlich wie bei den ABC-Waffen um eine Kontrolle des Roboterwesens kümmern - zumal die ethischen Probleme wachsen werden, weil die Systeme zunehmend intelligenter, autonomer und auch im Bodeneinsatz tödlicher werden.

So hat der in Deutschland eher durch Flachbildschirme bekannte Samsung-Konzern den mit einem Maschinengewehr bestückten SGR-1-Roboter entwickelt, der mit Tageslicht- und Infrarotkamera, Hitzesensoren und Bewegungsmeldern ausgerüstet, Menschen auch in der Nacht noch in vier Kilometer Entfernung identifizieren und erschießen kann.

Wer haftet für Systemfehler?

JamBot, a ChemBot

JamBot, ein Aufblasroboter aus dem ChemBot-Programm des Pentagon, entwickelt von der Firma iRobot: Das Gerät kann mit Hilfe von Druckluft seine Form verändern und sich durch enge Spalten und Löcher zwängen.

(Foto: iRobot Corporation)

Wie die Korea Times vergangene Woche berichtete, will die Regierung den Roboter noch dieses Jahr an der Grenze zur demilitarisierten Zone zwischen den beiden Koreas testen.

Selbst wenn man annimmt, dass eine derartige Methode der Selbstverteidigung angemessen ist, bleibt die Frage, wer etwa für einen Fehler des Systems haftbar ist: der Betreiber, der Hardware-Hersteller, der Software-Programmierer?Und wie verhält es sich mit dem Operator in Nevada, der die Drohne in Pakistan steuert: Darf er als legaler Kombattant im Sinne der Genfer Konventionen betrachtet werden, den man als Gegner in dessen Vorgarten erschießen darf?

Als Peter Singer sich beim Internationalen Roten Kreuz in Genf erkundigte, ob die Organisation sich nicht mit dem Krieg der Maschinen beschäftigen wolle, beschied man ihm, dass man sich nicht um Science Fiction kümmern könne.

Derweil gab es 2007 einen Zwischenfall in Südafrika: Bei einer Übung sollte ein automatisches Anti-Luftwaffen-System in den Himmel schießen. Wegen einer Software-Panne senkte das Maschinengewehr jedoch seinen Lauf und schoss im Kreis um sich. Als ihm endlich die Munition ausging, lagen neun tote Menschen auf dem Boden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: