Süddeutsche Zeitung

Waffentechnologie:Die elektrische Kanone

Die US-Marine will mit einer Railgun Projektile mit fünffacher Schallgeschwindigkeit abfeuern. Die Geschosse sollen 200 Kilometer weit fliegen und ohne Sprengstoff mehr Zerstörungskraft entwickeln als heutige Marschflugkörper.

Christopher Schrader

Wie eine richtige Kanone sieht das Ding im Marineforschungszentrum Dahlgren in Virginia eigentlich nicht aus. Es ist ein zusammengeschraubter Metallkasten von rund 20 Metern Länge, dessen eine Seite aus der Hallenwand ragt. Am anderen Ende sind Dutzende Elektrokabel angebracht, jedes so dick wie ein Handgelenk.

Auf dieser Seite ist auch eine Öffnung, wo Forscher ein Projektil ins Rohr stecken und mit einem Stock an die richtige Stelle schieben. Bis hier ähnelt der Ladevorgang dem auf einem historischen Kriegsschiff vor Trafalgar.

Aber wenn die Forscher in Dahlgren auf den Knopf drücken, fliegt die Kugel mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit aus dem Rohr. Ein tiefes Loch in einem mit Sand gefüllten Aluminiumbehälter vor der Tür zeugt von der Wucht dieser Kanone.

Mit ihrer Höllenmaschine haben die amerikanischen Marineforscher soeben einen neuen Weltrekord aufgestellt. 33 Megajoule Energie haben sie dem laut Presseberichten gut drei Kilogramm schweren Geschoss mitgegeben - dreimal so viel wie bei Versuchen im Januar 2008. Ein Strom von fünf Millionen Ampere floss dabei kurzzeitig aus einer Bank von Kondensatoren durch die Kanone und das Projektil.

Der Probeschuss bedeute, "dass die Marine mindestens 200 Kilometer weit schießen kann", sagte der Leiter des Forschungsprogramms, Konteradmiral Nevin Carr.

Auf einem Schiff installiert könnte ein solches Geschütz Munition mit fünffacher Schallgeschwindigkeit abfeuern. Die Geschosse würde beim Einschlag allein wegen ihrer kinetischen Energie ganz ohne Sprengstoff mehr Zerstörungskraft entwickeln als die heute raketen- oder düsenbetriebenen Marschflugkörper - bei einem Bruchteil der Kosten. "Velocitas eradico" heißt darum das Motto des Programms; was im Lateinischen ungefähr bedeutet: "Ich bin die Geschwindigkeit und richte zugrunde."

Das Prinzip einer solchen Schienenkanone (englisch railgun) hatten schon deutsche Forscher gegen Ende des Zweiten Weltkriegs entworfen. Auch Iraks Diktator Saddam Hussein experimentierte vor dem Golfkrieg im Jahr 2003 damit.

Im Inneren der Kanone laufen entlang der Bohrung zwei dicke elektrische Leiter. Zwischen diese Schienen wird das Projektil eingelegt, das dann den Stromkreis schließt. Fließt ein starker Strom, entsteht um beide Schienen ein Magnetfeld, das die Kugel beschleunigt - laut Unterlagen der Forscher in Dahlgren mit der 45000-fachen Erdbeschleunigung. Kein Wunder, dass sie sich fragen, wie das Projektil das übersteht, zumal die Navy sich noch wünscht, es während des Fluges per Satellit ins Ziel zu lenken.

Sicher ist, dass die Kanone unter der ungeheuren Wucht leidet. Der Rückstoß ist schließlich genauso groß wie die Beschleunigung des Projektils. Das Geschoss muss bis zum Ende des Rohres mechanischen Kontakt zu den Stromschienen behalten, dort reibt bei Mach 5 Metall auf Metall. Außerdem bildet sich extrem heißes Gas, die Anlage muss also gewaltige Hitze verkraften. Trotzdem sollen die Stromschienen absolut präzise positioniert bleiben, damit der erste Schuss nicht der letzte ist.

Die US-Marine möchte zukünftige, von Elektromotoren betriebene Zerstörer mit solchen Kanonen ausrüsten. Sechs Schuss pro Minute sollen sie abgeben können. Dabei würden sie fast ein Viertel der elektrischen Leistung verbrauchen, die der Maschinenraum bereitstellt.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2010/mcs
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